First-Party-Datenstrategien und Cookie-Alternativen der Digitalvermarkter
Anton Priebe, 22. February 2023Die Digitalvermarkter stehen aktuell vor einer ganzen Reihe an Herausforderungen, um ihr Werbegeschäft zukunftssicher zu machen. Der Abschied vom Third-Party-Cookie ist eine der größten Hürden, die es zu überwinden gilt, auch wenn Google seine “Gnadenfrist” für Chrome immer wieder nach hinten verschiebt. In diesem Zuge hat sich der Blick der Vermarkter mit wachsendem Interesse auf die eigene Datenlandschaft gerichtet – möglichst gewinnbringende First-Party-Datenstrategien müssen her, um weiterhin personalisiert werben zu können. Damit einher geht die Schwierigkeit, die Adressierbarkeit der Werbemaßnahmen sicherzustellen. Nachdem wir einen kurzen Blick auf die technologischen Baustellen in der Digitalvermarktung geworfen haben, wollen wir nun ergründen, wie die Top-Agof-Publisher strategisch an den Aufbau von First-Party-Daten herangehen und auf welche cookielosen Alternativen ihr Targeting-Angebot aufbaut.
First-Party-Datenstrategie unverzichtbar
Die Bedeutung von First-Party-Daten haben alle Vermarkter erkannt. Es gibt inzwischen keinen unter den Top-Agof-Publishern mehr, der nicht verstärkt strategisch eigene Daten aufbaut. Wie Christopher Reher, General Director Data von Axel Springer All Media (ASAM), bemerkt, ist der Aufbau von Profilen “als Baustein zukünftiger Vermarktungsstrategien unabdingbar”. Seit zwei Jahren arbeitet Reher mit seinem Team “intensiv” daran. Auch im Hause RTL steht das Thema oben auf der Agenda. “In den letzten 24 Monaten haben wir unsere eigenen Kapazitäten an Data Scientists und einem Chief Innovation Officer, der in unserer neuen Organisation bewusst mehr Freiraum für Grundlagen- und angewandte Forschung mit seinem Team betreiben kann, massiv ausgebaut”, gibt Dr. Oliver Vesper, Chief Digital Officer und Deputy CEO der RTL Ad Alliance, zu Protokoll.
Eine Möglichkeit, Informationen über seine Website-Besucher zu erlangen, ist der direkte Weg – den hat Burda eingeschlagen. “Mithilfe von intensiven Nutzerbefragungen erfahren wir immer mehr über unsere User und können auch sozio-demographische Kriterien als First-Party-Targetings ermöglichen. Diese Daten wollen wir so breit wie möglich verfügbar machen”, erklärt Sabrina Büchel, Executive Director von Burda Forward. Doch Daten allein machen noch kein Targeting aus, denn eine Grundvoraussetzung dafür ist Adressierbarkeit der Zielgruppen. Mit dem Schwund der Third-Party-Cookies legt die Werbeindustrie ihr Augenmerk aktuell besonders auf drei alternative Ansätze: kontextuelle, ID- und Data-Clean-Room-Lösungen.
Contextual – Standardisierung und eigene Technologien
Contextual ist für niemanden Neuland, doch fehlende Standardisierung stellt noch immer eine Herausforderung dar. Oder wie Jens Depenau von der GroupM treffend formuliert: “Zum Contextual-Werbestandard ist es noch ein langer Weg”. Um dieser Herausforderung zu begegnen und die Standardisierung voranzutreiben, haben sich daher einige der großen Vermarkter zusammengetan. “Als erste im deutschen Markt wenden wir zusammen mit der Ad Alliance, Ströer und OSDS den vom OVK entwickelten Classifier für Agenturbuchungen an und können so die Forderung der Agenturen nach Einheitlichkeit auf der Publisher-Seite umsetzen”, sagt Christopher Reher von ASAM. Dieser Standard wurde von der Adtech & Programmatic Unit des Online-Vermarkterkreis im BVDW entwickelt. Der Classifier soll publisher- und vermarkterübergreifend Umfelder nach gleichem Ansatz einordnen und so Transparenz für Mediaeinkäufer schaffen. Daneben existieren Ansätze wie die Seller Defined Audiences (SDA) vom IAB, die von vielen Marktteilnehmern unterstützt werden, nicht zuletzt von Google.
Das Medienhaus Burda Forward baut auf beide Ansätze und hat selbst eine Contextual-Lösung entwickelt, um seine First-Party-Daten zu nutzen. Diese analysiert, verschlagwortet und kategorisiert die gesamten eigenen Inhalte semantisch. Büchel ist von der Technologie überzeugt: “Viele Tests in den letzten Monaten haben gezeigt, wie leistungsstark diese Lösung im Vergleich zu marktüblichen Contextual-Services ist, sowohl durch die höhere Datenqualität als auch eine umfangreichere Abdeckung von Themenbereichen.” Neben IAB- oder individuellen Kategorien können auch Datenpunkte wie Wetterdaten, TV-Umfelder oder Finanzmarktdaten hinzugezogen werden.
In der Bewegtbild-Welt geht es ebenfalls voran. “Neben Audience-Daten sind kontextbezogene Daten eine wichtige Targeting-Methode, die wir auf verschiedene Weise integriert haben, zum Beispiel durch unsere Partnerschaft mit Doubleverify und die Implementierung von Content Objects für CTV- und BVOD-Umgebungen”, erklärt Oliver Vesper von der RTL Ad Alliance. Content Objects enthalten statt den reinen kontextuellen Kategorien variable Informationen zum spezifischen Inhalt, wie etwa den Titel der Serien-Episode oder Altersbeschränkungen. “Darüber hinaus haben wir Partnerschaften für ID-freies soziodemographisches Targeting geschlossen und werden in Kürze auf Basis von TV-Segmenten spezifische Segmentierungsoptionen anbieten”, so Vesper weiter.
Sowohl semantisches als auch kontextuelles Targeting gibt es bei United Internet Media schon seit über zehn Jahren, meint CEO Rasmus Giese. Er gibt jedoch zu bedenken: “Im Vergleich zu User-zentrierten Kampagnen sind Contextual-Lösungen fast immer nur die zweitbeste Lösung, da häufig vergessen wird, dass mit kontextuellem Targeting alleine kein übergreifendes Frequency Capping umgesetzt werden kann. Dies beansprucht Kampagnenbudgets und kann zum Beispiel für eine nicht gewünschte, hohe Frequenz bei der Ansprache einzelner User sorgen.”
Multi-ID-Strategien mit der NetID als Frontrunner
Diese Frequenzsteuerung kann durch Cookie-Ersatzstoffe wie etwa alternative ID-Lösungen ermöglicht werden. Giese ist sich seiner Sache sicher: “Der vielversprechendste Ansatz, die Addressability sicherzustellen, ist die ID-Lösung von NetID.” Bei dieser Aussage bekommt er Rückendeckung von Axel Springer. “Wir nutzen unter anderem die NetID als Publisher- und Vermarkter-übergreifende Lösung. Zusammen mit unseren Partnern Serviceplan, Ad Alliance und Motatos haben wir den ersten Vermarkter-übergreifenden NetID Case überhaupt geschafft und damit die Cross-Vermarkter-Tauglichkeit der NetID bewiesen”, propagiert Christopher Reher. United Internet Media hat zuletzt einen Case mit Publicis, Xandr und Electrolux realisiert. Damit geht die NetID zunehmend gegen die Kritik an, dass ID-Anbieter zu wenig Einblicke in deren Praxistauglichkeit geben.
In der Pilotphase mit der NetID befindet sich auch Burda Forward. Weitere Anbieter wie ID5 oder Liveramp sollen “intensiv getestet” werden, sagt Sabrina Büchel. “Schlussendlich werden wir uns gerade im programmatischen Bereich an der Marktentwicklung orientieren und uns auf die Lösungen konzentrieren, die für uns Sinn machen und vom Markt nachgefragt werden.” Es werde sich aber noch zeigen müssen, welche Rolle die IDs am Ende wirklich spielen können. “Denn auch hier geht es natürlich nicht ohne die umfassende Zustimmung oder auch den Login der User. Eben diese Hürden für unsere Nutzer möchten wir ja senken und haben nicht die Absicht, Login- oder Bezahlschranken aufzubauen”, führt Büchel aus.
Ströer setzt ebenfalls auf “eine Multi-ID-Strategie”, verrät Norman Birke, Vice President Product bei Ströer Media Solutions. Diese basiert auf den Technologien von NetID, ID5, Liveramp und weiteren. “Ergänzt wird dies durch die Bereitstellung der SharedID als First-Party-ID, um Nutzer:innen auf einzelnen Digitaldiensten adressierbar zu machen.” Birke weist hier auf damit erzielte Reichweitensteigerungen und den geringeren Preisdruck auf cookielosen Inventaren hin. “Schlussendlich kombinieren wir die First-Party-Daten unserer Publisher sowie dem Contextual Targeting, mit den alternativen IDs und den soziodemographischen Daten aus dem Datenpool der OS Data Solutions”, sagt Birke. So könne Ströer für jeden User in Echtzeit eine Vorhersage zu Alter und Geschlecht, aber auch zu den relevantesten Segmenten berechnen.
Erste Cases mit Data-Clean-Rooms
Eine weitere Möglichkeit, Adressierbarkeit herzustellen, bieten Data-Clean-Rooms. Hier werden Daten miteinander verknüpft, ohne sie tatsächlich unter den verschiedenen Parteien zu teilen. Clean-Rooms nehmen derzeit in der Werbeindustrie Fahrt auf und sollen unter anderem datenschutzkonformes Targeting zulassen. Einer der Vorreiter auf diesem Gebiet ist Axel Springer. “Wir haben die meisten Data-Clean-Rooms evaluiert und werden kontinuierlich weitermachen”, erklärt Christopher Reher. Ein starkes Beispiel für den Einsatz in der Vermarktung sei der Case, den Springer mit Renault, der Annalect und Infosum umgesetzt hat. “Damit haben wir gezeigt, dass First-Party-Daten in Verbindung mit Data-Clean-Rooms schon jetzt eine performante Alternative für die Zeit nach dem Third-Party-Cookie sind”, sagt Reher ohne Zweifel. “In einem Testzeitraum von zwei Wochen haben wir ein direktes A/B-Testsetup zwischen klassischem Sozio-Targeting und First-Party-Daten-Targeting laufen lassen. Das Ergebnis zeigte deutlich: Das First-Party-Daten-Targeting ist erfolgreicher.”
Nicht ganz so überzeugt von der Technologie gibt sich Burdas Sabrina Büchel. “Data-Clean-Rooms sind spannend für uns, sie zeigen aber leider aktuell noch oft ihre Tücken.” Die konkrete Anwendung gestalte sich häufig schwierig. Es seien jede Menge begleitende Aspekte zu klären, beispielsweise rechtliche Einschränkungen oder das Finden eines gemeinsamen Datenpunkts beziehungsweise einer ID, um die Daten zusammenzufügen. “Unsere ersten Tests haben gezeigt, dass es gerade auf den letzten Punkt ankommt, um dann wirklich das Potenzial heben zu können”, so Büchel.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie. Teil I bietet eine kurze Übersicht über die technologischen Baustellen. Im letzten Teil geht es um die Bedeutung von Programmatic Advertising vs. I/O-Buchungen unter den Vermarktern.
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