Warum Google die Privacy Sandbox auf 2024 schiebt – und Europa nur zuschaut
Heiko Staab, 10. August 2022In der vergangenen Woche ging ein Raunen durch die deutsche Adtech-Branche. Der Grund für die Verwirrung: Google kündigte an, den Zeitplan für die Einführung der Privacy Sandbox zu verschieben – um mindestens ein Jahr in die zweite Jahreshälfte 2024. Was ist passiert und wie geht es jetzt weiter?
Die neuen APIs liefern noch keine konstanten Ergebnisse
Wer genauer hinschaut, versteht den Delay. Die neuen APIs, an die sich Google im Hinblick auf die Abschaffung der Cookies von Drittanbietern gebunden hat, sind schlicht noch nicht bereit für eine groß angelegte Einführung. Denn Google hat sich gegenüber der britischen Competition and Markets Authority (CMA) verpflichtet, Third-Party-Cookies oder andere seitenübergreifende IDs erst dann final abzuschaffen, wenn eine gewisse Zahl an erfolgreichen Tests geeignete Ergebnisse für die Abschaffung aufgezeigt hat. Unklar ist jedoch, was „erfolgreich” in diesem Kontext eigentlich genau bedeutet und was die entsprechenden Standards dafür sind.
Die neuen API-Services wurden speziell für Adtech-Unternehmen entwickelt und stellen eine der größten nicht-trivialen Neuerungen seit Bestehen der digitalen Werbebranche dar, welche den Markt nachhaltig verändern werden. Die Integration dieser neuen API-Services in bestehende Tech-Umfelder und Plattformen birgt einen enormen Testaufwand für Adtech-Unternehmen. Hinzu kommt, dass die neuen Service-APIs in ihrer Performance und den Ergebnissen alles andere als konstant sind und dadurch ein wirtschaftliches Risiko für die digitale Werbebranche besteht. Im deutschen und europäischen Markt herrschen große Unsicherheit und Unmut über die anstehenden Veränderungen.
Bei Testing und Implementierung stehen rein europäisch ausgerichtete Unternehmen hinten an
Doch damit nicht genug: Auch die Koordination der Testings der neuen Funktionen ist eine enorme Herausforderung. Europa mit seiner bindenden DSGVO steht komplett hinten an, weil es keine konkreten Maßstäbe für das Testing der neuen Services gibt. Die Konsequenz daraus ist alarmierend: Die neuen API-Services wurden erst einmal außerhalb der EU getestet. Die „großen“ amerikanischen und international ausgerichteten Companies durften ran, rein europäische bzw. auf die EU ausgerichtete Adtech-Unternehmen können sich nur mit der Beobachterrolle abfinden. Zu diffus sind aktuell die rechtlichen Auslegungen in der Europäischen Union, zu uneinig sind sich die einzelnen Staaten in manchen Dingen untereinander, zu kompliziert ist die DSGVO in ihrer Auslegung und Interpretation, um Neuerungen globalen Ausmaßes in dieser Konstellation zu implementieren. Folglich interagiert Google auch lieber mit dem britischen Data Protection Act (kurz DPA) anstatt mit der EU.
Die DSGVO – eine gute Idee, mangelhaft umgesetzt
Die DSGVO sollte ursprünglich als neue Wirtschaftsverfassung des EU-Datenbinnenmarktes verstanden werden. Die gute Idee dabei war, den Datenschutz nicht als Bremsklotz für die wirtschaftliche Entwicklung zu verstehen, sondern den europäischen Unternehmen dadurch auf dem Markt eine Chancengleichheit einzuräumen. Schließlich wurden auch den großen Wettbewerbern aus Amerika und China, deren Geschäftsmodelle auf der Skalierbarkeit von Daten beruhen, Grenzen im Umgang mit den personenbezogenen europäischen Daten aufgezeigt. Doch die Realität sieht nun anders aus. Europa hinkt hinterher, die Entwicklung neuer Standards passiert anderswo.
Bestes Beispiel hierfür ist der Open Source Standard für künftige Identitätslösungen: die Unified ID 2.0 – diese wurde von Amazon global in die Amazon Web Services integriert. Europa? Außen vor! Hier wird die Unified ID 2.0 noch in das DSGVO-Korsett gezwängt, um dann für die EU als EU Unified ID (EUUID) ausgerollt zu werden. Viel zu spät für die europäischen Adtech-Unternehmen, die erst dann anfangen können, die neuen Standards zu etablieren, während alle anderen auf dem Weltmarkt ihre Hausaufgaben längst erledigt haben. Für die europäischen Unternehmen im internationalen Vergleich ist dies ein klarer Wettbewerbsnachteil, und das alles unter der Flagge des „Datenschutzes“. Eine äußerst kritische Entwicklung, die nicht nur die Adtech-Unternehmen betrifft, sondern alle Werbetreibenden, die Zugriff auf Werbeplätze im freien Internet haben wollen – von der Tageszeitung bis zum Fachblog.
Fazit: Trotz des Zeitaufschubs müssen digitale Geschäftsmodelle jetzt weitergedacht werden!
Um es klar zu sagen: Google und auch so manches andere große Unternehmen wäre wohl schon heute bereit für die Abschaffung der Third-Party-Cookies, nur viele andere noch nicht.
Trotz des Zeitaufschubs und der genannten Herausforderungen sollte dennoch nicht der Fehler begangen werden, die bis jetzt schon unternommenen Anstrengungen zur Entwicklung langfristiger, nachhaltiger Ansätze digitaler Geschäftsmodelle nicht weiterzuentwickeln – ganz unabhängig davon, wie Chrome vorankommt.
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