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PROGRAMMATIC

Alternative Datenkonzepte für Post-Cookie Programmatic Advertising

Anton Priebe, 20. März 2022
Bild: Rommel Davila – Unsplash

Ein großer Teil des Programmatic-Geschäfts fußt noch immer auf dem Dateneinsatz über Third-Party-Cookies. Doch die Möglichkeiten dieses Systems fallen zunehmend schmaler aus, denn sowohl striktere Datenschutzbestimmungen als auch Maßnahmen der Browserhersteller wirken den Drittanbietercookies entgegen. Die Werbeindustrie schaut sich daher vermehrt nach Alternativen für Mediavermarktung und -einkauf um. Dabei geht es vor allem um Konzepte, die ohne direkten Personenbezug auskommen, und solchen, die die “alte” Third-Party-Intelligenz mit neuen technischen Mechaniken erhalten sollen. ADZINE hat sich umgehört, wie der aktuelle Stand ist und welche Methoden dabei besonders im Fokus stehen.

Zwei Irrtümer in der Werbeindustrie

Bild: Mediaplus Sascha Dolling, Mediaplus

“Sprechen wir heute über eine Post-Cookie-Welt, wird dies oft mit dem Ende des datengestützten Marketings gleichgesetzt. Allerdings handelt es sich dabei in zweifacher Hinsicht um einen großen Irrtum”, ist Sascha Dolling, General Manager bei Mediaplus International, überzeugt. “Denn einerseits wurde bisher weder von technischer noch von rechtlicher Seite das Ende von Cookies beschlossen. Vielmehr werden der Verwendung von Cookies künftig nur sehr enge Grenzen gesetzt, die das ungefilterte und großflächige Markieren von Internetnutzern unterbinden.”

Der zweite Irrtum wiederum sei, dass dies zu weniger Daten im Marketing führen würde. Der zunehmende Einsatz verschiedener digitaler Geräte laufe auf mehr marketingrelevante Datenbestände hinaus – lediglich die Struktur habe sich verändert. Die Fragmentierung der Datenlandschaft münde allerdings in einer Reichweitenproblematik. “Genügten früher wenige Anbieter von Daten – häufig im Paket mit Media –, um eine Zielgruppe wirksam zu erreichen, muss heute für reichweitenstarkes Data Driven Marketing zunächst eine den Datenquellen angepasste Strategie entwickelt und eine geeignete technische Infrastruktur geschaffen werden, damit aus einem Daten-Flickenteppich ein überzeugendes Data-Strategy-Mosaik wird.”

First-Party-Datenstrategien und notwendige Kooperationen

Werbetreibende und Publisher gehen das Problem jedoch an. Sie erkennen laut Dolling vor allem den Wert der eigenen Daten und arbeiten an der Infrastruktur, um diese datenschutzkonform einzusetzen. “Gleichzeitig erleben anonyme Datenarten eine wahre Renaissance in der Digitalwerbung. Von feineren und durch psychologische Verfahren veredelte kontextuelle Daten bis hin zu Geodaten angereichert durch unterschiedlichste, alternative Datenquellen werden Datenstrategien kreativer, mutiger und vielfältiger.” Dabei spielt auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Parteien eine entscheidende Rolle. Anstatt kleine, abgeschottete und in der Reichweite wirkungslose Datensilos zu schaffen, werden kooperative Ansätze notwendig, meint Dolling. “Data Clean Rooms sind hier ein erster Ansatz für die Auswertung von Daten. Ähnliche Ansätze wird es auch für die Aktivierung der Daten, also für die Kampagnenauslieferung geben müssen.”

Bild: United Internet Media Alwin Viereck, United Internet Media

“Data Clean Rooms sind eine neuere Gattung von Tools, mit deren Hilfe man die Daten verschiedener Identifier zu einer gemeinsamen Zielgruppe modellieren und in einer Demand-Side-Plattform aktivieren kann”, erklärt Alwin Viereck, Head of Programmatic, Ad Technology & Product vom Vermarkter United Internet Media.” Das Besondere daran sei, dass man die Daten “nicht in einen Topf schmeißen” muss, sondern die statistische Repräsentation von Identity-Graphen beziehungsweise First-Party-Daten von mehreren Advertisern und Publishern, respektive auch möglichen Drittanbietern, nutzt. Damit würden sich Data Clean Rooms vor allem für internationale Advertiser eignen, die nicht auf nationale Addressability-Lösungen setzen können.

Drei Ansätze von Vermarkter-Seite

Viereck definiert zum aktuellen Zeitpunkt drei Modelle, die sich für das Digitalmarketing der Zukunft abzeichnen: Kohorten-Targeting, 1:1-Targeting via Login-ID und Contextual Targeting. “Beim Kohorten-Targeting kommen First-Party-Daten des Publishers zum Einsatz, mittels derer die Demand-Seite vorher abgestimmte Kohorten-Audiences beim Publisher einbuchen kann”, so Viereck. Dies geschehe sowohl über den klassischen Pretargeted Deal, eine Kuratierung auf der Seite der Supply-Side-Plattform (SSP) oder via Data-Marketplace-Audience-Buchung in der Demand-Side-Plattform (DSP).

Das zweite Modell versucht, das bestehende System nicht nur in Ansätzen zu erhalten, sondern auch zu verbessern. “Login-basierte Identifier bilden in der Zukunft die Alternative zum Third-Party-Cookie”, ist Viereck überzeugt. “Auf dieser Basis können Publisher und Advertiser über die programmatische Strecke das bisherige Modell des Audience Targetings weiterhin nutzen.” Die Demand-Seite müsse hier nur aktiv das jeweilige ID-System unterstützen, wobei sich so auch First-Party-Daten der Advertiser anwenden lassen.

Das Kontext-Targeting helfe vor allem den Publishern, die nicht über eine breite Login-Basis von Usern verfügen – also die Mehrheit. “Es ist vorgezeichnet, dass dieser Traffic nach dem Wegfall der Third-Party-Cookies nicht mehr in dem Maße adressierbar ist, wie man das bisher gewohnt war. Alternative muss daher das Umfeld-Targeting sein, ob nun in klassischer kontextueller Variante oder ergänzt um semantische Logik”, sagt Alwin Viereck. Den Makel hebt er bei dieser Lösung direkt hervor: “Die traurige Wahrheit ist leider, dass die Ergebnisse in Summe trotz verbesserter Techniken des Machine Learnings sowie der künstlichen Intelligenz nicht mit denen des 1:1-Targetings vergleichbar sind.”

Wie schlau ist Contextual heute?

Bild: Seedtag Tim Beckmeyer, Seedtag

Dagegen halten die Contextual-Anbieter. “Viele unterschätzen, wie intelligent und datengetrieben Contextual Advertising schon heute ist. Mithilfe von künstlicher Intelligenz, Machine Learning und Natural Language Processing geht das weit über einfache Keyword Erkennung hinaus”, so Tim Beckmeyer, Programmatic Lead Germany bei Seedtag. Die heutige Technologie verfüge über ein menschenähnliches Verständnis eines jeden Artikels, das Bilder mit einschließt. Auch sogenannte “High Attention Areas” ließen sich bestimmen, um Botschaften dort zu platzieren, wo sie am ehesten gesehen werden.

Die Nachfrage nach kontextuellen Lösungen sei vor allem auf Kundenseite groß. “Contextual ist ja nichts Neues. Es gibt zahlreiche Brands, die schon länger auf Contextual als ein Bestandteil in ihren Mediaplänen setzen”, meint Beckmeyer. “Der bevorstehende Wegfall von Third-Party-Cookies hat dem Thema aber zuletzt einen enormen Schub verliehen, das merken wir sehr deutlich. Die Nachfrage und vor allem die Bereitschaft, Cookieless-Lösungen mindestens mal zu testen, hat stark zugenommen.”

Agenturen, gerade im Bereich Programmatic, würden sich hingegen beim Abschied vom Cookie schwertun. Werbetreibende, die Programmatic inhouse betreiben, seien hier eher bereit, sich von alten Gewohnheiten zu trennen und erste Erfahrungen in dieser Disziplin zu machen. “Anders als etwaige ID-Lösungen oder andere Cookie-Alternativen ist Contextual schon heute voll einsatzfähig”, verrät er.

Digital Advertising der Zukunft

Der Contextual-Experte ist davon überzeugt, dass Kontext-Targeting weiter an Bedeutung gewinnen und vor allem im Bereich Programmatic noch wachsen wird. “Zudem werden Contextual-KI-Lösungen dafür sorgen, dass sich Werbetreibende von reinen Keyword-Ausschlusslisten verabschieden und nicht mehr ganze Kategorien ausgeschlossen werden müssen”, prognostiziert Beckmeyer. Es werde künftig vielmehr darum gehen, relevante Inhalte und Themen für sich zu identifizieren, was aus Advertiser-Sicht letztlich zu mehr Reichweite und für Publishern zu mehr Umsatz führen würde.

Fragt man Alwin Viereck, dominiert in Zukunft die ID-Variante. “Zukünftig wird es mehrere Lösungen geben, die meisten Vorteile aber bietet das 1:1-Targeting mit einer Login-ID. Es lassen sich höhere Umsätze erzielen, das Targeting funktioniert mit Server-seitigem Bidding und über mehrere Geräte hinweg sogar mit Frequency Capping”, so der Vermarktungs-Profi.

Bild: Adops Consulting Alexander Schott, Adops Consulting

Alexander Schott, Berater von Adops Consulting, sieht die Sache hingegen nicht so eindeutig. “Es wird an Alternativen gearbeitet: Sei es durch den Einsatz von Identity-Lösungen oder mit dem Schaffen von Produkten, die unabhängig von Userdaten gute Ergebnisse liefern, wie zum Beispiel Contextual Targeting. Insgesamt spürt man, dass sich noch nicht die eine Marktlösung ergeben hat, sondern vielfältige Lösungen im Aufbau sind”, so der Media-Experte. “Was sich davon am Ende durchsetzt, wird auch von noch zu schaffenden Standards abhängen, die die verschiedenen Möglichkeiten dann hoffentlich auch in der programmatischen Welt einfach verfügbar machen werden.”

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