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MOBILE - Interview mit Pan Katsukis, Remerge

“Advertising-IDs haben in der App-Welt ausgedient”

Anton Priebe, 5. Mai 2021
Bild: Remerge Pan Katsukis, CEO und Co-Founder von Remerge

Apples App Tracking Transparency (ATT) ist derzeit in aller Munde. Der Konzern erschwert dem Werbeökosystem seit kurzem den Zugang zu seiner Advertising-ID IDFA. Advertiser und App-Publisher können Informationen über Nutzer oftmals nicht mehr zuordnen, geschweige denn erheben, was wiederum personalisierte Werbung limitiert. Pan Katsukis von Remerge sieht darin kein Problem, sondern vielmehr eine neue Möglichkeit durchzustarten. Das Berliner Unternehmen hat 2014 als Demand-Side-Plattform (DSP) mit App-Retargeting angefangen und operiert heute weltweit erfolgreich als einer der am stärksten wachsenden Adtech-Player aus Europa. Im Interview erklärt Katsukis, warum IDs bei Remerge eine kleine Rolle spielen, wieso er ATT als Chance sieht und weshalb Mobile-IDs bald ganz ausgedient haben könnten.

ADZINE: Hallo Pan, wie würdest du Remerge in einem Satz beschreiben?

Pan Katsukis: Wir sind eine App-DSP und schalten im Managed Service Werbekampagnen für unsere Kunden, wobei wir deren Audiences aufsetzen und optimieren.

ADZINE: Während andere Mobile-Player momentan bangen, wollt ihr einen neuen Business-Zweig aufbauen. Bisher lag euer Fokus darauf App-Nutzer zu reaktivieren, jetzt wollt ihr zusätzlich in den Bereich Neukundenakquise gehen. Wie sieht euer Wettbewerb dort aus und wie kommt ihr dazu?

Katsukis: Der Wettbewerb bei der User Acquisition ist deutlich größer als beim App-Retargeting, aber dafür ist der Markt auch etwa fünf- bis sechsmal so groß. Im programmatischen Bereich gibt es nur eine handvoll an globalen Playern, mit denen wir teilweise schon im App-Retargeting-Bereich konkurrieren.

Bei der User Acquisition starten wir zwar bei null, aber wir haben unsere Learnings und Kunden aus dem Retargeting plus das Wissen über No-ID-Inventar. Wir haben schon Ende 2019 angefangen, Lösungen und Tools für No-ID-Inventar zu entwickeln.

ADZINE: No-ID-Inventar ist ein gutes Stichwort. Identity ist ein Thema, das uns auch im Web schon länger umtreibt. Wie kommt ihr in der App-Welt ohne IDs aus? Woran erkennt ihr eure User, wenn nicht am systemischen Identifier?

Katsukis: Vorab – Retargeting ohne ID funktioniert nicht. Es gibt zwar technische Möglichkeiten wie Finger Printing, aber die sind klar gegen die Richtlinien der Store-Betreiber. So riskiert der Kunde, aus dem Store zu fliegen oder wir selbst verlieren unsere Certified Partner ID von Apple. Dann könnten wir beispielsweise keine Attribution mehr von Apples SKAdNetwork bekommen.

Deswegen geht es eher darum zu verstehen, was das Ziel der Brand ist, also was sie mit ihrer Werbung erreichen will. Diese Ziele gilt es, ohne ID zu erreichen, zum Beispiel mit dem kontextuellen Umfeld. Im Grunde genommen versucht man eine Reihe an anderen Attributen abzugreifen, zum Beispiel die Beschreibung der App oder die aktuelle Uhrzeit, und mit guten Creatives zu arbeiten, sodass der richtige User die App installiert und im Idealfall einen Einkauf tätigt.

ADZINE: Wie funktioniert dann die Wirkungsmessung?

Katsukis: Dafür haben wir unser Incrementality-Produkt. Das basiert auf einem relativ bekannten Setup aus der Wissenschaft, zum Beispiel aus der Pharma-Industrie. Dort arbeitest du mit einer Test- und eine Kontrollgruppe. Die einen bekommen ein Placebo und die anderen das echte Arzneimittel. So kannst du die Wirkung prüfen.

Übersetzt in die Marketingwelt bekommt eine Gruppe das Werbemittel und die andere keins ausgespielt. So siehst du in der Test-Gruppe beispielsweise einen Uplift um 5 Prozent bei der Conversion Rate und vielleicht eine Steigerung des Return on Ad Spend um 300 Prozent.

ADZINE: Dafür müssen aber die beiden User-Gruppen sehr homogen sein, um sie vergleichen zu können. Wie schafft ihr das?

Katsukis: Genau, das ist im Retargeting-Bereich relativ einfach, weil die ID die Nutzer klar voneinander trennt und Informationen daran geknüpft sind. Im No-ID-Bereich ist das schon schwerer und man arbeitet mit Nutzergruppen, die sich ähneln. Wir bekommen das mithilfe der First-Party-Daten unserer Kunden und den Parametern unserer Supply-Partner sehr gut hin.

ADZINE: Der No-ID-Bereich wird sich mit Apples ATT und iOS 14.5 sicherlich vergrößern. Was bedeutet das für euch und die App-Marketingwelt?

Katsukis: Bislang ist es noch eine Unbekannte, wie viel der Audience bei iOS 14.5 für Retargeting adressierbar bleibt. Es gibt ja noch den Opt-in und dann bekommt man Zugriff auf die IDFA, außerdem existieren immer noch ältere Versionen von iOS und Android. Aber es wird sicherlich ein Bruchteil vom heutigen Stand sein.

Fest steht, dass es ein sehr großer Eingriff von Apple ist. Es ist zu befürchten, dass CPAs durch die Decke gehen und Performance-Ziele nicht mehr zu erreichen sind, weil mehr und mehr No-ID-Inventar zur Verfügung steht, das mit Apples SKAdNetwork verknüpft ist. Ohne ID bleibt nur das SKAdNetwork zur Messung.

ADZINE: Was hat es mit dem SKAdNetwork auf sich?

Katsukis: Apple möchte verhindern, dass Attributionsanbieter wie beispielsweise Adjust & Co. IDs tracken, um Installationen und Umsätze zu messen. Daher bereitet der Konzern die Daten so auf, dass sie nicht mehr auf den einzelnen Nutzer heruntergebrochen werden können. Apple aggregiert also die Daten und gibt sie nicht zeitnah raus, sondern erst bis zu 24 Stunden nach der App-Installation. Für die Aktionen innerhalb der App ist das Zeitfenster sogar auf bis zu 72 Stunden erweitert. So lässt sich sehr schwer optimieren.

ADZINE: Wie groß ist der Anteil des Budgets euer Advertiser, das in Apple-Umgebungen fließt? Hast du eine Hausnummer für uns?

Katsukis: 41 Prozent. Der Rest ist Android.

ADZINE: Apropos Android – werden wir bei Google eine ähnliche Entwicklung sehen? Haben IDs in der App-Welt also ausgedient?

Katsukis: Ja, da bin ich mir sicher. Die Chrome-Teams definieren Privacy – das sieht man ja momentan in der Web-Welt – über Audiences und nicht über IDs. Android wird bestimmt nachziehen, aber dafür einen funktionierenden Ersatz anbieten im Gegensatz zu Apple.

Mit Ansätzen wie FLoC oder FLEDGE könnte man sogar noch Retargeting realisieren. Uns ist es eigentlich egal, ob wir eine spezifische ID targeten. Wir segmentieren eh nach Audiences.

ADZINE: Was tut Remerge, um den Schritt Richtung von der Werbeindustrie hin zu mehr Privatsphäre mitzugehen?

Katsukis: Wir haben noch nie Daten von verschiedenen Kunden vermischt, um Kundenprofile zum Targeting zu bauen. Das machen aber viele andere Anbieter. Von daher finden wir die Bestrebungen von Apple gut, denn auch wenn unsere Retargeting-Budgets darunter ein bisschen leiden, ist das für uns ein guter Zeitpunkt, um in User Acquisition hereinzugehen.

ADZINE: Als stark wachsendes Adtech-Unternehmen wärt ihr eigentlich prädestiniert für eine Finanzierung und ihr habt bestimmt schon das ein oder andere Angebot bekommen. Bisher seid ihr aber rein organisch gewachsen. Warum?

Katsukis: Wir hatten Glück, dass unser Modell gleich von Anfang an gut funktioniert hat und einer unserer Mitgründer direkt nach San Francisco rübergegangen ist, um dort ein Team aufzubauen. Das Timing war gut, denn App-Retargeting gab es da noch nicht. So konnten wir sehr schnell und stark wachsen und sind auch schnell profitabel geworden. Wir konnten das Geld gar nicht so schnell ausgeben, wie es hereingekommen ist. Das hilft uns auch aktuell diese schwierige Phase durchzustehen und in neue Produkte und Ideen zu investieren.

ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch, Pan!

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