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Video-Vermarktung 2.0: Von der Macht zur Anpassung

Dr. Oliver Vesper, 13. November 2019
Bild: Sven Scheuermeier; CC0 - unsplash.com

Keine Frage, die lineare TV-Welt in ihrer klassischen Form stößt an ihre Grenzen. Streamingdienste, Mediatheken und Videoplattformen scheinen sie nach und nach in den Schatten zu stellen. Doch bereits vor mehr als 100 Jahren wurde das Rieplsche Gesetz aus der Taufe gehoben (in den 2000er umgedeutet zum „Gesetz der Komplementarität der Medien“), das besagt, dass kein neues, höher entwickeltes Medium ein altes vollständig verdrängen könne. Fernsehen wird von neuen Videoformaten und dem sich wandelnden Nutzungsverhalten nicht vernichtet, sondern nur verändert. Ebenso werden allen Veränderungen im Video-Entertainment der letzten 15 Jahre zum Trotz die großen TV-Sender fortbestehen.

Das Internet kann durch Inhalte, Filme und Videos sowie Online Communities immer mehr Nutzerbedürfnisse umfassend bedienen. Auf der Basis von deren Interessen und Verhalten ist eine sehr gezielte Ansprache möglich – was das Internet für Werbetreibende äußerst attraktiv macht. Diese Vorzüge verändern wiederum die Nutzungsmotivationen der klassischen Medien. Unlängst wurde auf den Medientagen in München von führenden Branchenexperten festgestellt, dass dieser Wandel nicht nur in den jüngeren Zielgruppen deutlicher ausgeprägt ist, sondern bereits in der Gesamtbevölkerung angekommen ist. Viele Verbraucher surfen lieber im Internet oder wenden sich Mediatheken oder anderen Streaming-Dienstleistern zu.

Entgegen dem wachsenden Kampf um die Zuschauergunst gibt es noch viel Raum und Potenzial auszuschöpfen. Die TV-Branche ist nach anfänglichem Zaudern mit dieser Situation dennoch nicht erstarrt: Stattdessen hat sie ihren Blick für die Ausdifferenzierung der Medien in ihren Nutzungssituationen zunehmend geschärft und nicht ausschließlich auf die simple Gegenüberstellung von Koexistenz oder Verdrängung durch Tech-Plattformen wie Google, Amazon, Facebook und Apple geschaut. Noch ist lineares TV in Deutschland stark verbreitet, selbst jüngere Zielgruppen schauen weiterhin traditionell fern. Technisch getriebene Innovationen wie Addressable TV haben jedoch eine verbesserte Positionierung des klassischen TVs bewirkt. Diese hat nicht gänzlich zur fairen Gleichberechtigung mit den großen US-Techfirmen geführt, allerdings gelingt mit dieser digitalen Entwicklung für die TV-Branche ein Weg auf Augenhöhe – zudem bleiben die TV-Nutzungsdaten den Sendern exklusiv.

Wie kann sich die TV-Branche gegen die GAFAs behaupten?

TV-Konzerne richten ihr Augenmerk zunehmend auf ihre Rolle als Vermarkter und stellen sich die logische Frage: Wie können wir ganzheitlicher monetarisieren, damit wir auch zukünftig ein fortschrittliches Leistungsversprechen neben den GAFAs halten. Die Antwort liegt in der Hoheit über eine am Markt einzigartige Kombination aus Inhalten und Zuschauerdaten sowie das Besitzen, Betreiben und Individualisieren des eigenen Adtech Stacks inklusive einer Addressable-TV-Plattform.

Nach einer anfänglichen Konsolidierungswelle im TV- und Adtech-Markt, die wir weltweit beobachten konnten, sehen wir heute eine Investitionsbereitschaft in Programminhalte wie selten zuvor. Und die Energie auf eine ihrer größten Stärken als Content Owner zu setzen, ist weiterhin ausgesprochen hoch.

Gerade in diesem Universum der rasant wachsenden Plattformökonomie bilden Werbetechnologieanbieter für Fernsehunternehmen die entscheidende Grundlage für einen einheitlichen Datenverkehr. Sie gehören zur DNA der TV-Sender und bilden die unabdingbare Brücke zwischen digitaler Videowerbung und Werbung in traditionellen linearen TV-Programmen. Stets an der Schwelle zwischen Standardisierung und Innovation agierend, vernetzen die Werbetechnologieexperten die alte und neue Fernsehwelt und ermöglichen den Sendern sehr viel zielgenauere Erlösmodelle.

Gerade deshalb erfährt das Thema Addressable TV (ATV) in Europa gerade sehr viel Aufmerksamkeit: Werbetreibende können ihre datengetriebenen Methoden, die sie auf den Internet-Plattformen bereits nutzen, auf ihre Fernsehnutzungs- und Vermarktungsstrategie übertragen. ATV bietet so das Beste aus beiden Welten, gerade in Europa unterstützt durch den Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV) Standard.

Durch die ATV-Technologie werden diese Daten verfügbar gemacht, können in Echtzeit analysiert und in Bezug gesetzt werden. So entstehen spezifische Zielgruppensegmente auf der Basis ihres Seh- bzw. Nutzungsverhaltens. Im Ergebnis werden maßgeschneiderte Anzeigen an individuelle Geräte ausgespielt. In der Ausschöpfung der Reichweitenpotenziale der TV-Sender wird durch ATV auch das viel diskutierte TV-Wenigseher-Segment sehr effektiv erreicht.

Diese Fähigkeiten bieten nicht nur einen erfolgsversprechenden Ansatz gegen die Vormacht der Tech-Riesen, sondern es ist eine Methode, bei der alle gewinnen – Fernsehunternehmen, Werbetreibende und Konsumenten gleichermaßen. Klassische lineare TV-Nichtseher oder TV-Verweigerer hingegen werden natürlich in den digitalen Kanälen angesprochen.

Weiterentwicklung ist Fortschritt – Cross Device und OTT

Das klassische Fernsehen als Leitmedium durch digitale Infrastruktur und Business-Intelligenz in das neue Zeitalter zu transferieren, bringt noch mehr positive Verbundeffekte. Denn über eine einheitliche technologische Basis können Videokampagnen von ATV über digitales Instream und Outstream auf Webseiten und Apps hin verlängert werden. Perspektivisch erfolgt nun die weitere Cross-Device-Ausspielung in Display-Formate und sogar umgekehrt (z.B. von einem stern.de-Nutzer zum TV-Gerät via ATV).

Und je mehr Fernsehen via OTT geschaut wird, desto mehr befinden wir uns ohnehin in der digitalen Welt. Mit nur einem wesentlichen Unterschied: Ganze Werbeblöcke technisch und Business-logistisch auszutauschen oder und diese auf verschiedenen Geräten (Web, Mobile, Smart TV) zu bespielen, erfordert große technische Kompetenz und nachhaltige Investitionen und die Hoheit über den Stack.

Kein Markt ändert sich über Nacht. Wenn man also Veränderungen frühzeitig erkennt und richtig interpretiert, kann man dementsprechend auch frühzeitig Anpassungen im Unternehmen anstoßen. Das Entscheidende ist, dass man Signale ernst nimmt und nie die Bereitschaft zur Weiterentwicklung verliert. Damit ein Unternehmen am Puls der Zeit bleiben und sich an der wachsenden Nachfrage der fortschreitenden Digitalisierung im TV-Sender-Universum orientieren kann, braucht es ferner ein Spezialisten-Team, das sich in den rapide ändernden Marktbedingungen zurechtfinden kann.

Es geht also um Veränderung statt Verdrängung – der Journalist Wolfgang Riepl hat bis heute mit seiner Behauptung recht behalten.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Dr. Oliver Vesper Über den Autor/die Autorin:

Oliver Vesper ist Co-Chief Executive Officer bei smartclip Europe und seit 13 Jahren in diesem Unternehmen tätig. Seit seiner Ernennung zum Co-CEO im Jahr 2019 fokussiert er sich hauptsächlich auf Strategie, Vision und Teamkultur von smartclip. Er praktiziert einen "Lead-by-Example"-Managementstil. Als Geschäftsführer für die DACH-Region leitete er zuvor den gesamten programmatischen Online-Video-Bereich. Davor war er bis 2010 als Director für Business Development tätig und verantworte die Umsetzung und Entwicklung der Supply-Side-Strategie auf allen Kanälen. Oliver Vesper ist promovierter Betriebswirt mit dem Schwerpunkt Marketing-Controlling. Er hat diverse Lehraufträge an Hochschulen in den Bereichen Betriebswirtschaft von Medienunternehmen, Controlling und BI.

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