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Strategische Weiterbildung: Unternehmen und Mitarbeiter müssen an einem Strang ziehen

Anton Priebe, 25. Oktober 2019
Bild: Avado Presse

Weiterbildung ist zu einem zentralen Element in der heutigen, digitalen Arbeitswelt geworden. Die Anforderungen an Arbeitnehmer, die auch aus zunehmend technologischen Infrastrukturen resultieren, steigen täglich. Insbesondere im Marketing und in der Digitalwerbung sind mittlerweile vielfältige Skills gefragt. Gleichzeitig schießen Weiterbildungsangebote in Form diverser Online-Kurse wie Pilze aus dem Boden, was den Markt undurchsichtig gemacht hat. Das stellt die Arbeitnehmer wie Unternehmen vor zwei Probleme: Wie finde ich heraus, welche Fähigkeiten ich dazulernen sollte? Und welches ist die richtige Methode für mich? Diese Fragen beantwortet uns Beatrice Kemner von der E-Learning-Plattform Avado.

Beatrice Kemner ist als Head of Product Development verantwortlich für die Produktentwicklung der Weiterbildungskonzepte und -programme für Digital Leadership und Digital Marketing bei Avado. Davor war sie bereits an der US-amerikanischen Stanford Graduate School of Business Executive Education tätig. Darüber hinaus verantwortete Kemner in ihrer Laufbahn unter anderem das Weiterbildungsangebot der Zeit Akademie sowie verschiedene Marketingkanäle der Publikation. Sie kennt die Problematik, die Weiterbildung im Voraus mit sich bringt, sowohl aus Unternehmens- wie auch aus Mitarbeitersicht.

ADZINE: Hallo Beatrice, wie gelangen Firmen als auch ihre Mitarbeiter in einer immer komplexer werdenden, digitalen Welt zu der Erkenntnis, welche Fähigkeiten sie heute und in der Zukunft brauchen? Wie können sie feststellen, wo genau Bedarf an Training besteht?

Beatrice Kemner: Bevor der Trainingsbedarf für Teams oder Einzelne festgestellt werden kann, gilt es, das zukünftig gefragte Talent-Profil überhaupt zu definieren. Idealerweise leitet es sich direkt aus den Unternehmenszielen und der Roadmap für die nächsten Jahre ab und wird dann je nach Funktion heruntergebrochen. Natürlich ist diese Weitsichtigkeit für den Markt in einer VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) extrem schwierig umzusetzen.

Wir empfehlen daher: Unternehmen sollten im ersten Schritt am Mindset ihrer Mitarbeiter ansetzen, flexibel, offen und mit großem Lernwillen an (kontinuierliche) Veränderungen heranzugehen. Damit entfällt eine aufwendige Planung von zukünftig relevanten Skills, da viel situativer mit weniger Vorlauf auf aktuelle Entwicklungen reagiert werden kann. Die vielzitierte lernende Organisation befähigt Mitarbeiter, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten, eigenen Lernbedarf zu erkennen und zu wissen, wo innerhalb und außerhalb des Unternehmens Wissen und Lerninhalte verfügbar sind. Die Halbwertzeit von Wissen wird immer kürzer, weshalb Lernen und Lernbereitschaft immer wichtiger werden.

Hat man diese Grundvoraussetzung geschaffen, kann man inhaltlichen Weiterbildungsbedarf auf Individualebene ermitteln.

In vielen Unternehmen ist es mittlerweile üblich, über ein Assessment – online oder offline – das Qualifikationsprofil ganzer Abteilungen sowie die Stärken und Schwächen einzelner Mitarbeiter und neuer Bewerber besser einzuschätzen. So können geeignete Weiterbildungsmaßnahmen für neue und bereits im Unternehmen aktive Mitarbeiter gefunden werden. Ein Assessment kann dabei zum Beispiel eine Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sein (“Wie sicher fühlen Sie sich im Umgang mit Programmatic Advertising?“), eine konkrete Abfrage von (Fach-)Wissen („Welche der folgenden Aussagen zu Kundenzentriertheit ist korrekt?“) oder die Angabe vergangener Anwendung bestimmter Themen im Job (z.B. „Wie häufig setzen Sie agile Methoden bei der Arbeit ein?“).

ADZINE:...und was kann der Mitarbeiter selbst tun?

Kemner: Wie schon angedeutet spielt der Mitarbeiter selbst eine wichtige Rolle bei der Identifikation eines Weiterbildungsbedarfs. Neben Fragenkatalogen und Tests vonseiten HR sollte der Einzelne daher in die Auswahl von Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen werden – nicht nur versteht er das „Warum“ dann am besten und ist motivierter, sondern kann gezielt für ihn wichtige Themen angehen. Die eigene Recherche oder die Empfehlungen aus dem Netzwerk sind also wichtig.

Trotzdem ist neben individuellen Weiterbildungsmaßnahmen die Schulung ganzer Teams oder Kohorten vorteilhaft, damit im Zuge der Digitalisierung Mitarbeiter eine gemeinsame Sprache sprechen, gemeinsam in die gleiche Richtung blicken und neue Methoden einfach eine höhere interne Umsetzungswahrscheinlichkeit haben, weil sie gemeinsam erlernt wurden.

Zusammenfassend: Aus Sicht der Unternehmen stellt sich am häufigsten die Frage nach Weiterbildung, wenn Unternehmen ihre Strategie überprüfen und feststellen, dass sie zum Beispiel neue formulierte Ziele mit der bestehenden Mannschaft nicht erreichen können. Viele Unternehmen gehen aufgrund des Fachkräftemangels daher verstärkt dazu über, Mitarbeiter im Unternehmen zu befähigen, neue Aufgaben zu übernehmen, sie fit für die Zukunft zu machen. Damit Menschen auf neue Jobprofile passen, braucht es ein Re- und Upskilling für Einzelne, Teams und Organisationen. Womit wir beim Thema Agilität und lebenslanges Lernen angelangt sind, ein Top-Thema unserer Zeit.

ADZINE: Das scheint aber noch nicht bei allen angekommen zu sein. In welche digitalen Themen investieren denn derzeit die deutschen Unternehmen bei der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter? Sind Unterschiede zu beobachten bei kleinen und größeren Unternehmen?

Kemner: Zu den wichtigsten Weiterbildungsthemen im Rahmen der Digitalisierung zählen sicherlich die Bereiche Marketing und Sales, das Erlernen agiler Arbeitsmethoden und digitale Geschäftsmodelle in unterschiedlichen Industrien. Im Bereich des „Digital Mindset“ sehen wir einen starken Zuspruch für Themen wie Customer Centricity, iteratives Arbeiten oder Fehlerkultur. E-Learning ist dabei für alle Unternehmensgrößen relevant – bei kleineren oder mittelständischen Unternehmen eher als Teilnehmer offener Kurse, bei größeren auch in der kundenspezifischen Entwicklung eigener Programme.

Agile Arbeitsmethoden und der Wandel durch die Digitalisierung steht bei Konzernen ganz oben auf der Agenda, daher ist E-Learning dort ein großes Thema, um Mitarbeiter schneller zu befähigen, neue Aufgaben zu übernehmen und digitale Konzepte zu entwickeln sowie diese mit agilen Arbeitsmethoden umzusetzen. Zwar vertrauen KMUs aktuell noch mehr auf Präsenztraining und Workshops, wir sehen aber erste Anzeichen vom Markt, dass KMUs offener gegenüber E-Learning Angeboten werden. E-Learning bietet viele Vorteile für Unternehmen und Lerner und lässt sich auch gut mit Präsenzelementen im Sinne eines „Blended Learnings“ verbinden.

ADZINE: Wie regeln die Firmen das Thema E-Learning für gewöhnlich zeitlich? Wird der Mitarbeiter dafür freigestellt oder muss er sich in seiner Freizeit weiterbilden?

Kemner: Weiterbildung kann heute orts- und zeitunabhängig gestaltet werden, wenn schnelles Internet zur Verfügung steht. Daher öffnen sich Unternehmen auch in Punkto Zeiteinteilung. E-Learning kann gut von zu Hause aus erledigt werden, viele Menschen nutzen zum Beispiel einen Home-Office Tag, um am E-Learning-Programm teilzunehmen. Wir empfehlen, dass Unternehmen der Weiterbildung ein festes Zeitbudget pro Mitarbeiter in der Woche reservieren, und damit auch ihren Stellenwert anerkennen. Wann es erfolgt, kann der Mitarbeiter frei entscheiden. Einige Unternehmen setzen auch fixe Zeitfenster. Das Verhältnis liegt in etwa bei 70 Prozent für die freie Zeiteinteilung und 30 Prozent festgelegte, geregelte Zeit.

ADZINE: Angenommen der fiktive Marketing-Mitarbeiter Hans-Harald Frohn vom Maschinenbauer Baumeister bekommt von seinem Chef 2.000 Euro für Weiterbildung zur freien Verfügung. Was kann Herr Frohn jetzt konkret damit anstellen?

Kemner: 2.000 Euro ist für einen Mitarbeiter ein ordentliches Weiterbildungsbudget, für Führungskräfte liegt es oft noch deutlich höher. Um das Budget zielführend und nachhaltig einzusetzen empfehlen wir, geführte, tiefgreifende Lernprogramme. Um praxisnahe Inhalte und Fähigkeiten zu erlernen, sind reine E-Learnings, bei denen ich vollkommen frei für mich allein vor dem Rechner lerne, nicht zielführend.

ADZINE: Wie wird sich das Feld deiner Meinung nach künftig weiterentwickeln? Welche Bereiche wird das E-Learning noch für sich gewinnen können? Welche sind nur mit Präsenz zu realisieren?

Kemner: Das Thema E-Learning gehört in den Lern-Mix genauso wie Google in den Marketing-Mix gehört. Für viele Themen reicht E-Learning sogar komplett aus, für manche Inhalte braucht es mehr Präsenztraining. Präsenz hat vor allem eine starke Daseinsberechtigung für Motivation, emotionales Engagement, Präsentationsskills, Inspiration und Community-Bildung. Indem neue Formate im E-Learning entstehen, die beides verbinden, stehen Personalabteilungen diesen Online-Kursen auch weniger skeptisch gegenüber, als noch vor einigen Jahren. Ich bin daher zuversichtlich, dass E-Learning in fast allen Branchen und Abteilungen Einzug halten wird, um lebenslanges Lernen in den Unternehmen zu fördern und zu etablieren.

ADZINE: Vielen Dank für das Interview, Beatrice!

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