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Real-Time Advertising: Wie schnell ist Echtzeit?

Karsten Zunke, 16. Januar 2019

„In der Ruhe liegt die Kraft“, lautet eine Redensart. Auch das Echtzeitinternet scheint diesen Spruch gern zu beherzigen. Langsam, langsam erscheinen mitunter die Elemente – und erst wenn die Seite fast geladen ist, springen die Werbemittel hinterher. Nicht, dass Nutzer sehnlich auf das Betrachten von Anzeigen warten würden – aber im Sinne der User Experience wäre es besser, wenn es immer blitzschnell gehen würde. Schließlich dauert die Versteigerung der Werbeplätze nur wenige Millisekunden und sollte vom Nutzer gar nicht bemerkt werden. Woran liegt es also, dass Werbung im Zeitalter von Real-Time Advertising manchmal etwas länger braucht, um sich dem Online-Nutzer in voller Schönheit zu präsentieren?

Auch wenn es auf den ersten Blick einfach scheint, handelt es sich doch um ein komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren, die die erlebte Geschwindigkeit beim Seitenaufbau beeinflussen.

Bild: NetzerkReklame Presse Wolfgang Thomas

Auf Vermarkter- und Agenturseite sind Adserver beteiligt, auch Format, Gewicht und Code des Werbemittels können eine Rolle spielen ebenso wie die Werbeträgerwebsite selbst. Hinzukommen ergänzende Messskripte, zum Beispiel für Sichtbarkeit und Audience Verification. Nicht zuletzt spielt auch das Endgerät des Nutzers eine Rolle. Hier ist es das Zusammenspiel aus Betriebssystem, Browser und Plug-ins, was die Ladegeschwindigkeit beeinflussen kann.

„Bei programmatischer Werbung kommt noch die entsprechende Systemkette hinzu, bestehend aus Sell Side Platform (SSP), Demand Side Platform (DMP), Brand Safety Tools und gegebenenfalls noch Data Management Platforms“, erläutert Wolfgang Thomas, Geschäftsführer von NetzwerkReklame in Hamburg.

Schnelle Entscheidungen, langsame Werbemittel

Bild: G+J e|MS Presse Frank Vogel

„Real-Time Advertising ist kein Schnelligkeitsversprechen für die Auslieferung eines Werbemittels, sondern ein Echtzeitprozess zur Entscheidungsfindung während des Ladens der Website“, stellt Frank Vogel, Sprecher der Geschäftsleitung G+J e|MS klar. Die Ausspielungsgeschwindigkeit des Werbemittels unterscheide sich zeitlich bei einer programmatischen Buchung nicht von einer Direktbuchung. Dass trotzdem manchmal auf das Laden der Werbemittel gewartet werden muss, hängt nach seiner Einschätzung nicht mit dem Buchungsweg zusammen, sondern mit einer Vielzahl von Faktoren, beispielsweise der Dateigröße des Werbemittels. Technologische Entwicklungen und immer schnellere Internetverbindungen hätten zu einem Paradox geführt: „Seiteninhalte können immer schneller geladen werden, gleichzeitig wird die Werbung nicht im gleichen Maße schneller geladen – zunehmende Möglichkeiten des Trackings führen am Ende zu Nachteilen in der Auslieferungsgeschwindigkeit.“ Vogel fordert, hier das richtige Maß zu finden: „Die Transparenz beim Werbemittel-Tracking darf nicht zu Lasten der User Experience gehen.“ Dass Seiten auch für die mobile Darstellung optimiert sind, sollte heute selbstverständlich sein.

Publisher bevorzugen „Content First“-Strategien

Bild: United Internet Media Rasmus Giese

Nach Einschätzung von Rasmus Giese, CEO von United Internet Media, spielt auch die Strategie des Seitenaufbaus der Publisher eine Rolle. „Zum einen hat das Datengewicht von Internetseiten insgesamt zugenommen. Das heißt, der Seitenaufbau an sich dauert bereits länger“, sagt Giese. Zum anderen könne eine „Content First“-Strategie eines Publishers für eine verzögerte Darstellung der Werbemittel sorgen. In einem solchen Fall wird das Laden des Seiteninhalts abgewartet, erst dann findet die Ad-Auslieferung statt.

Auch Thomas beobachtet diese Entwicklung. Websitebetreiber würden häufig die Nutzererfahrung mit dem optimalen Zugang zu den Inhalten in den Mittelpunkt stellen. „Diese werden meist zuerst geladen, dabei ist technisch aufwendige oder gar auffallende Werbung eher im Weg. Im Extremfall hat der Nutzer schon weitergescrollt, wenn die Werbung angezeigt wird, gerade bei Superbannern oder Wallpapern im oberen Bereich einer Website“, so Thomas. Auch Google erwartet von Websites ein asynchrones Laden der Inhalte, um ein gutes Ranking zu erreichen.

„Letztlich ist es eine Balance zwischen Nutzererwartungen für optimale Reichweite und den Interessen der Anzeigenkunden, die wir als Mediaplaner vertreten“, sagt Thomas. Wenn die Werbung von der Website zu spät geladen wird, sinkt entweder das vermarktbare Potential an Bannern oder die Sichtbarkeitsrate, was in beiden Fällen mittelfristig zu Einbußen bei den Anzeigenerlösen führt. Auch bei den 2016 von Google eingeführten AMP-Ads gilt eine klare „Content First“-Strategie: Die Anzeigen werden erst nach allen Inhalten geladen.

Viele Systeme, viele Ausleitungen

Die meisten Experten sind sich einig. Im Anzeigeneinkauf selbst besteht kein Flaschenhals – auch nicht im programmatischen Handel an sich. Ein Real-Time-Bidding-Verfahren findet meist innerhalb von 250 Millisekunden statt.

Unter bestimmten Umständen kann es beim Programmatic Advertising aber trotzdem zu erhöhten Ladezeiten kommen. „Für die Ladezeit ist zum Beispiel entscheidend, wie viele Systeme bei einer Werbemittelanfrage nacheinander angefragt werden, bis dieses final auf der Seite zu sehen ist“, erläutert Giese. „Problematisch kann es auch werden, wenn nach einer erfolglosen Anfrage alternative Mechanismen greifen wie zum Beispiel Ad Networks als Fallback-Partner. In diesem Fall kann es mehrere Ausleitungen geben, die nacheinander ausgeführt beziehungsweise abgearbeitet werden. Das führt zu einem Anstieg der Gesamtantwortzeit.“

Die technologische Performance der Adserver von Agenturen und Werbekunden kann ebenfalls zu Ladezeitverzögerungen führen, denn die Adserver sind im Vergleich zu den Systemen der Real-Time-Anbieter beziehungsweise der Vermarkter mitunter weniger leistungsfähig, entsprechend können Anzeigen nur langsamer verarbeitet werden.

Wenn übergewichtige Banner auf komplexe Auslieferung treffen

Auch das Dateigewicht der Werbemittel kann zum Problem werden. So sind die Werbemittel heute deutlich umfangreicher und komplexer als früher. „Heutzutage liegen viele Werbemittel mit 200 bis 300 Kilobyte bereits im oberen Bereich des kritischen Gewichts, häufig sogar noch deutlich darüber“, erläutert Giese. Zudem ist die Auslieferung komplexer geworden: So finden sich in der Kette der Auslieferung nicht einfach Grafiken und Texte, sondern oftmals diverse Adserver, die ineinander geschachtelt die Auslieferung bewerkstelligen.

Darüber hinaus messen die Systeme neben den Ad Impressions auch Informationen zum User wie Browser, Betriebssystem, Device und Region. Hinzukommt das Monitoring des Auslieferprozesses, etwa zur Viewability und des Umfelds hinsichtlich Brand Safety durch Ad Verification Tools. „Dies lässt die Dateigewichte und damit auch die Zeitverzögerungen weiter ansteigen, denn die Tools laden zusätzlich Codes in der Größenordnung von bis zu 100 Kilobytes nach und lassen die Werbemittel auf bis zu 400 Kilobytes anschwellen“, so Giese. Um diesem Anstieg der Dateigewichte entgegenzuwirken, wurde im letzten Jahr vom Online-Vermarkterkreis das Konzept „Initial-/Subload“ beim Online Ad Summit vorgestellt. Dieses Konzept soll in diesem Jahr verstärkt in den Markt getragen werden.

Damit zeigt sich, dass ein „Warten auf Werbemittel“ kein hausgemachtes Problem des Real-Time Advertising ist, sondern ein genereller Trend bei digitaler Werbung und einer entsprechend digitalen Infrastruktur. Der Bidding-Prozess ist schnell genug. Aber die digitale Infrastruktur ist im Real-Time Advertising besonders komplex.

Auf der Supply Side liegt Potenzial

So sieht Andreas Antrup, Managing Director Zalando Marketing Services, in Bezug auf Auslieferungslatenzen Optimierungspotenziale vor allem auf der Supply Side. Zum einen könnten auf Publisher-Seite Timeouts gesetzt werden, bis wann ein Bid Response eingegangen sein muss. Zum anderen lasse sich definieren, welche Dateigrößen als Initial Load für die Ads zugelassen sind.

Bild: Zalando Presse Andreas Antrup

Aber es gibt auch eine programmatisch spezifische Stellschraube für die Ladezeit der Werbemittel. Sie liegt im Header Bidding. „Sofern der Publisher Header Bidding im Einsatz hat, muss er entscheiden, an wie viele SSPs Bid Request gleichzeitig gesendet werden sollen. Je größer die Zahl der angeschlossenen SSPs und damit der Bid Requests ist, desto größer ist in der Regel auch die Ladezeit der Seite“, erläutert Antrup. „Es ist ein Zielkonflikt auf Seiten des Publishers, sich zwischen Yield Management und Ladezeiten zu entscheiden.“ In der Praxis dürfte es schwierig sein, aus der Fülle möglicher Ursachen von Ladezeitverkürzungen die richtige herauszufinden. Die Menge und Komplexität beteiligter Systeme in Grenzen zu halten, könnte aber ein erster Schritt sein.

Letztlich ist es Aufgabe der Technologiedienstleister, die verschiedenen Systeme performant miteinander zu vernetzen und zu einem Full Stack zu integrieren. „Werbetreibende und Agenturen müssen dagegen darauf achten, dass die Regelwerke und Targetings nicht überkomplex werden. Nicht alles, was theoretisch als Targetingkombination denkbar ist, ergibt auch einen Sinn in der Praxis“, sagt Thomas. Weniger differenzierte Targetings seien mitunter besser und würden zudem relevante Fallzahlen liefern, auf deren Basis valide optimiert werden könne, so der Experte.

Real-Time Advertising mag damit im Zusammenspiel der Systeme ein zutreffender Begriff sein, wie Frank Vogel jedoch anmerkt, handelt es sich hierbei um kein Geschwindigkeitsversprechen für den Kunden. Am Ende ist die Auslieferung der Werbung nur so schnell, wie es die langsamste Komponente des Systems erlaubt. Um Prozesse zu beschleunigen hilft es deshalb nicht, nur die eigenen Technologien zu betrachten, sondern gemeinsam den Gesamtprozess zu verbessern.

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