Zehn Jahre Programmatic, acht davon begleitet die Adtrader Conference den deutschen Markt. 2018 zieht man sowohl auf Sell und Buy Side Bilanz, wie sich der Markt in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, und schaut ein Stück weit in die Zukunft des automatisierten, datengetriebenen Werbemarktes.
Zehn Jahre Programmatic bedeuten für den Programmatic-Standort Deutschland vor allem eine Professionalisierung des Geschäfts. Programmatic hat sich für Vermarkter von einer als Resterampe verschrienen Technologie zum Premiumkanal entwickelt. Damit Hand in Hand geht der Wunsch nach mehr Kontrolle und Transparenz.
Auf Verkaufsseite bedeutet das: Google, fester Bestandteil des Adtech-Stacks vieler Vermarkter, bietet zwar optimalen Yield, stellt sich für Vermarkter allerdings als Blackbox dar.
Publisherperspektive: Mehr Kontrolle durch eigenen Stack
Axel Springers Digitalvermarkter Media Impact hat sich deswegen seit Beginn 2018 auf einen anderen Weg begeben und sich von Googles Stack emanzipiert. Auf der Adtrader umreißt Carsten Schwecke, Geschäftsführer von Media Impact, die Strategie von Media Impact in drei Worten: Agilität, Flexibilität und Diversifikation, und begründet sie simpel mit: „Alle Eier in einem Korb zu haben, hat noch nie geholfen.“
Media Impact hat, um diese drei Maximen zu erreichen, über die letzten Jahre den Adtech-Stack migriert. Weg von Google und hin zu einer offenen Header-Bidding-Lösung von AppNexus. Man wollte nicht mehr nur auf einem Bein stehen, sondern sich unabhängig aufstellen, meint Schwecke. Es geht also um einen ganzheitlichen Ansatz in der digitalen Werbevermarktung. Direkte und programmatische Kampagnen stehen nun im Wettbewerb und können preispriorisiert ausgespielt werden, das heißt: Je nach Gebotshöhe können direkt gebuchte Kampagnen durch programmatische Kampagnen verdrängt werden.
Wie viel Arbeit hinter so einer Umstellung stecken kann und wie schwer es ist, das passende Personal zu finden, wird in der Paneldiskussion klar, in der Arne Steinmetz, Executive Director Digital beim „Gruner und Jahr“-Vermarkter G&J e|MS, über sein Team spricht. So, scherzt Steinmetz, sei sein Adtech-Team vor ein paar Jahren noch froh gewesen, wenn ein Flashbanner auf der Webseite fehlerfrei dargestellt wurde. Mittlerweile sei zwar die Expertise im Team, allerdings auch die Anforderungen noch gewachsen. Geeignetes Personal ist rar gesät.
Ebenso schwierig sei es, alles in einer Lösung abzuwickeln, merkt Simon Rose, Business Development DACH bei Improve Digital, an. Mittlerweile seien Vermarkter gezwungen, Technologien zu vereinen, um die besten Ergebnisse zu bekommen. Auch wenn man sich von den Amerikanern unabhängig machen möchte, sei es immer noch ein Geschäft, argumentiert Rose für die Verwendung von Googles Vermarktungsmaschinerie.
Lohnt der Aufbau eines eignen Tech-Stacks?
Die Frage, ob überhaupt ein Tech-Stack lohnt und wie umfangreich er sein sollte, unterscheidet sich je nach Profil des Publishers. Simon Rose merkt an: „Manchmal reicht ein kleiner Stack, der individualisiert aufgebaut ist.“ Bis zu einer gewissen Größe könne das auch mit einem kleinen Team von ein paar Mitarbeitern verwaltet werden.
Doch welche Technologien sollten in einem Tech-Stack vorhanden sein? Marius Rausch von AppNexus argumentiert gegen proprietäre Technologien. Wenn man eine Daseinsberechtigung in der Wertschöpfungskette haben will, müsse man im Technologiebereich auch Wertschöpfung betreiben. Abschottung hat sich hier nicht als Weg etabliert.
Die viel beschworene Kontrolle könne man jedoch nur erlangen, wenn man auch Komplexität in Kauf nimmt. Davon will Carsten Schwecke nichts wissen. Für ihn ist Komplexität ein Totschlagargument. Es würde gar nicht so viel komplexer und unübersichtlicher werden, wenn man sich sukzessive einen eigenen, von Google unabhängigen Tech-Stack aufbaut. Er spricht aus Erfahrung, schließlich hat sich Axel Springer erst zwischen 2017 und 2018 von Google emanzipiert.
Konkurrenz bevorzugt
Bei AppNexus sieht man Konkurrenz ohnehin entspannt. Marius Rausch erklärt: „Wir sind glücklich, wenn wir bei Kunden nicht die einzige SSP im Einsatz sind. Sowas würde ich keinem Kunden von uns raten. Die Realität sieht einfach anders aus.“
Ganz so liberal sieht es Simon Rose von Improve Digital nicht. Besonders beim Header Bidding sollte es eine Relevanzordnung geben. Er sieht jedoch auch ein, dass diese Meinung nicht von allen vertreten wird. Rose denkt dabei auch an die Advertiser-Seite. Hier kann schnell Unübersichtlichkeit entstehen, wenn es keine klare Strukturierung durch den Publisher gibt. So sieht es auch Rausch. Zwar mache es für Publisher Sinn, auf allen Marktplätzen relevant zu sein, es ginge allerdings nicht darum, über 20 bis 30 Technologie-Bid-Requests „rauszuballern“.
Advertiser-Seite: Agenturbeziehungen im Wandel
Auch auf Seite der Advertiser verlangt es viele nach mehr Kontrolle. Aus diesem Grund holt man sich die Mediaplanungsexpertise immer häufiger ins eigene Haus. Den Wandel der Rolle klassischer Mediaagenturen erlebt Thomas Koch, Geschäftsführer von pilot Hamburg, aus erster Hand.
Die klassische Dreifaltigkeit aus Beratung, Einkauf und Umsetzung von Kampagnen befindet sich durch Programmatic Advertising im Wandel. Die klassischen Disziplinen werden erweitert oder ersetzt durch neue Aufgaben wie die Steuerung und von Technologien, analytischen Aufgaben und dem Einsatz von Daten. Darunter fallen auch die Evaluierung von Data-Providern, Deal-Verhandlungen, das Erarbeiten einer Gebotsstrategie und Technologiekonzeptionen. Besonders aufwendig sei jedoch die Optimierung von Deals, erklärt Koch.
Advertiser bestimmen die Rolle der Agenturen in ihrem Programmatic-Setup und ergänzen Leistungen, die sie bisher noch nicht inhouse abbilden können oder wollen.
Die Gründe für Self-Service reichen dabei von voller Transparenz der Kosten und Aussteuerung über die hohen Datenschutzanforderungen von DMPs bis zu höherer Working Media, also mehr Media fürs Geld. Wobei letzten Grund natürlich die steigenden Personalkosten gegenübergestellt werden müssen.
Unternehmen, die sich dazu entscheiden, Inhouse-Ressourcen aufzubauen, müssen größentechnisch meist einen „Sweet Spot“ erreichen. Sie dürfen nicht so klein sein, dass die angeheuerten Kräfte nach dem Aufsetzen der Kampagnen keine Arbeit mehr finden. Sind sie wiederum international tätig und müssen Kampagnen in mehreren Märkten verwalten, können wiederum lokale Agenturen dabei helfen, auf die Besonderheiten des Marktes einzugehen. Zusätzlich sprechen natürlich günstigere Konditionen bei Vermarktern und mehr Erfahrungswerte für den Agentureinsatz.
Daten? Lieber auch inhouse
Spätestens mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sollten sich Unternehmen eine 1st-Party-Data-Strategie zurechtlegen. Wie das aussehen kann, skizziert Dr. Stefan Schulte, Leiter Big Data & Data Science der Planet Home Gruppe, in seinem Vortrag auf der Adtrader. Er wirbt für mehr Vertrauen in die eigenen Daten.
Auch bei der Planet Home Group sei das Thema Data Intelligence relativ neu und im Aufbau begriffen. 3rd-Party-Daten spielen für Schultes Team auch eine Rolle, allerdings erst dann, wenn sie mit ihren eigenen Daten nicht mehr weiterkommen. Er kritisiert: „Viele Unternehmen verlassen sich heute zu sehr auf Daten von externen Anbietern und vergessen dabei, dass sich der eigentliche Schatz im eigenen Haus befindet.“
Um diese Daten sinnvoll einzusetzen, bedarf es allerdings nicht allein Data Scientists. Schulze spricht sich klar auch für den klassischen Business-Analyst aus. Wenn diese Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind, kann sich Inhousing lohnen.
Wie Schulze erläutert, arbeitet auch Planet Home mit Mediaagenturen zusammen, allerdings sind die Agenturen eher für die „executional assistance“ zuständig. Briefing und Zielgruppendefinition finden inhouse statt.
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