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ADTECH

Unter dem Deckmantel des Datenschutzes: Baut Google seinen Walled Garden aus?

Jens von Rauchhaupt, 12. April 2018
Zettberlin, photocase.de

Google zieht die Adtech-Mauern höher, jedenfalls in Europa – so scheint es. Auf YouTube ist die Werbeausspielung nur noch über Googles eigenen Adserver, dem DoubleClick Campaign Manager (DCM) möglich. Damit schiebt Google auch dem gesamten Third-Party-Adserving auf YouTube einen Riegel vor. Die Folge: Advertiser können die Kampagnenleistung nicht mehr eigenständig auf dem beliebten Bewegtbildportal nachvollziehen. Für Google sei das ein zwingend notwendiger Schritt, um die neuen Bestimmungen der DSGVO zu erfüllen, die am 25. Mai in Kraft tritt. Für Google-Kritiker eine fadenscheinige Begründung.

Bereits vor über einem Jahr hatte Google angekündigt, das Third-Party-Pixel-Tracking der Advertiser auf YouTube zu unterbinden. Nur einige wenige Dienstleister, die von Google zertifiziert wurden, namentlich Moat, Integral Ad Science, Nielsen und comScore (Stand Januar 2017), dürfen zur Messung der Kampagnen-Performance (Conversion, Viewtime, Sichtbarkeit etc.) herangezogen werden, weil diese vorher von Google ausgewählt und zertifiziert wurden. Wie es im diesem Zusammenhang um den deutschen Anbieter Meetrics steht, konnte weder Meetrics noch Google auf unsere Anfrage auf Anhieb klar beantworten. Offenbar ist aber auch Meetrics bei Google noch im Spiel, weil laut Google-Sprecherin die Liste der von Google zertifizierten Dienstleister noch nicht vollständig vorläge.

Das Ausliefern der Werbemittel über unabhängige Drittadserver unterbindet Google auf YouTube gänzlich, weil hierüber ja die Tracking-Pixel der Advertiser auf YouTube eingeschleust werden. Das will Google auf YouTube kontrollieren. „Wir grenzen die Anzahl der Anbieter, deren Pixel für die 3rd-Party-Anzeigenmessung auf YouTube verwendet werden können (...). Darüber hinaus beenden wir die 3rd-Party-Anzeigenschaltung in EEA“, so eine Google-Sprecherin gegenüber ADZINE.

Google begrenzt also die Anzahl der Anbieter, deren Pixel für die Drittanbieter-Anzeigenmessung auf YouTube verwendet werden können. In Googles offiziellem Statement wird der Datenschutz als Begründung herangezogen: „Letztes Jahr haben wir angekündigt, dass wir die Anzahl der Anbieter, die die Anzeigenleistung auf YouTube messen können, einschränken werden. Im Rahmen unserer Bemühungen um die Einhaltung der DSGVO-Richtlinien stellen wir nun zusätzliche Informationen zur Messung von Drittanbieter-Anzeigen und weiteren Änderungen bereit. Wenn die DSGVO in Kraft tritt, müssen Publisher auswählen können, mit welchem Anbietern sie arbeiten wollen, um Anzeigen zu messen und zu schalten, die auf ihren Websites und in ihren Apps geschaltet werden.“ In den kommenden Wochen will Google seinerseits Publishern neue Tools zur Auswahl von Anbietern zur Verfügung stellen, die den DSGVO-Richtlinien entsprechen.

Systematische Verdrängung und Abschottung?

Patrick Edlefsen, Sizmek

Wie bewertet nun der Markt dieses Vorgehen? Viele wittern bei Google eine systematische Verdrängung und eine fortschreitende Abschottungspolitik. Nicht der Datenschutz, sondern die Adtech-Marktdominanz scheint Googles vorrangiges Ziel. Patrick Edlefsen, Managing Director DACH bei Sizmek, kommentiert: „Derlei Restriktionen sind an sich nichts Neues. Google ist gemeinhin dafür bekannt, Technologieanbieter ‚auszusperren‘, die nicht nach den eigens auferlegten Regeln spielen. Das ist hinsichtlich gewisser Hygieneaspekte im digitalen Ökosystem sicherlich auch an manchen Stellen sinnvoll, wirkt aber in diesem speziellen Fall besonders systematisch. Google signalisiert damit, dass es die DSGVO ernst nimmt, nutzt sie aber im gleichen Atemzug als Möglichkeit dafür, die Walled Gardens höher zu ziehen. Auch der jüngste Facebook-Skandal spielt Google dabei in die Karten: Mark Zuckerberg schottet seine Plattform jetzt weiter von Partnern und Drittanbietern ab, um Investoren, Werbetreibenden und Nutzern Sicherheit zu signalisieren. Ähnlich wird es bei YouTube laufen, nur eben unter dem Vorwand der DSGVO-Konformität. Das Unternehmen trifft hier Entscheidungen, die der freien und transparenten Entwicklung der Branche entgegenwirken und lückenloses Storytelling erschweren. Meiner Meinung nach sollte Google in seiner Vorreiterrolle etwas gewissenhafter agieren – auch dann, wenn es zu Ungunsten der eigenen Marktmacht geht.”

Ralf Hammerath, Adition technologies

Ralf Hammerath, Vorstand des deutschen Adserving- und Werbeplattformanbieters ADITION technologies: „YouTube hat die Abschottung des Silos ja bereits vor knapp drei Jahren eingeleitet, als relativ kurzfristig allen zertifizierten DSPs mit Ausnahme des DoubleClick Bidmanager DBM der Zugang entzogen wurde. Wir sehen den jetzigen Schritt als konsequente Weiterführung dieser Silostrategie. Der Schritt steht in eklatantem Widerspruch zu den Ankündigungen des Google-Managements zu mehr Transparenz auf der Plattform, was eine ganz zentrale und sehr klar vorgebrachte Forderung der weltweit größten Werbetreibenden war und ist. Man kann nur hoffen, dass diejenigen, die YouTube durch ihre Werbegelder finanzieren, hier entsprechend reagieren und Konsequenzen ziehen.“

Ein Fall für das Bundeskartellamt?

Oliver Gertz, Mediacom

Mediacoms Oliver Gertz, Managing Director Interaction EMEA, verantwortet für viele globale Brands die Werbebudgets und kritisiert Google für dieses Vorgehen heftig: „Wir finden den YouTube-Ansatz, externe Erfolgsmessung zu limitieren, äußerst problematisch. 3rd-Party Measurement ist der Kern von Vertrauen im Internet – und gerade YouTube hat wegen der andauernden Brand-Safety-Skandale viel Vertrauen verspielt.“ Datenschutz und DSGVO könnten laut Gertz auch über Verträge und Zertifizierung erreicht werden. „Wenn Datenschutz so wichtig ist, warum gelten dann die Einschränkungen nicht für Google Display Network (GDN)?“, fragt Oliver Gertz. Hierzu kontert die Google-Sprecherin: „Jeder Publisher, der Teil des GDN ist, muss das für sich entscheiden. Hier sind wir ja nicht Publisher.“

Gertz geht in seiner Kritik aber noch weiter: „Den Kunden DCM aufzuzwingen ist auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht sehr fragwürdig. Ein Vermarkter sollte nicht selber seine Leistung auditieren. Zum Glück gibt es gerade in Deutschland Video-Publisher mit Reichweite und Qualität, die eine Alternative zu YouTube bieten können.“

Fazit und Bewertung

Im Gegensatz zu den Publishern des GDN-Vermarktungsnetzwerks hat Google als YouTube-Owner alles Recht der Welt, die Werbeauslieferung und das Tracking auf dem Videoportal so zu reglementieren, wie es das Unternehmen im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen für richtig erachtet. Allerdings wäre das Geschrei groß, wenn in Deutschland jeder Publisher so restriktiv das 3rd-Party-Adserving ausschließen würde, wie Google es nun bei YouTube tut. Die Folge wäre ein Werbemittelgeschubse von Agentur zu Publisher, wie es schon einmal zu Beginn der Online-Werbung-Ära der Fall war. In Zeiten von Programmatic und Multiscreen-Werbung ein Rückschritt in die Adserving-Steinzeit, es sei denn, alle Werbetechnologien werden von einem Anbieter allein bereitgestellt. Aber vielleicht ist das auch das Kalkül in Mountain View.

Auf der anderen Seite ist kein Advertiser verpflichtet, auf YouTube zu werben. Nicht anders verhält sich übrigens Facebook. Auch hier geht es nur über den Facebook-eigenen Adserver und zertifizierte Technologiepartner zur Messung der Anzeigen. Muss Google bzw. DoubleClick wegen der DSGVO anzeigen, mit welchen Tech-Anbietern und Tools sie beim Tracking zusammenarbeiten? Ja, das müssen sie. Gibt es einen alternativen Weg, um die Werbetreibenden mit ins Boot zu holen? Absolut. So viele Agenturadservingsysteme gibt es auf dem Markt nicht, wenigsten die gängigen Plattformen, die vor allem bei den Mediaagenturen im Einsatz sind, könnte der Adtech-Riese mit ins Boot holen. Im Ergebnis wird aber klar: Google wird auch dank der DSGVO die Marktposition als führender Adtech-Anbieter in Deutschland und wohl auch in Europa festigen können. Werbetreibende, die weiter auf YouTube nicht verzichten wollen, büßen die Unabhängigkeit und die Kontrolle über ihre Kampagnen ein. Die Macht, das zu ändern, hat aber weiterhin noch immer derjenige, der die Mediabudgets verantwortet, und das sind nun einmal die Advertiser..

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