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MARKETING ENTSCHEIDER

Zuhören und verändern - Martell Beck, BVG, im Portrait

Sandra Goetz, 28. Februar 2018

Wer Berlin kennt, kennt auch die Berliner Verkehrsbetriebe, kurz BVG. Egal, ob U-Bahn, Straßenbahn oder Bus – das deutsche Hauptstadtflair beginnt nicht selten in den öffentlichen Verkehrsmitteln, „Berliner Schnauze“-Erlebnis inklusive. Eine Milliarde Fahrgäste befördert die BVG jährlich, drei Millionen sind es täglich, und die Hassliebe zwischen Fahrgästen und BVG war hierbei über viele Jahre ähnlich legendär wie die Haltung der New Yorker zu ihrer U-Bahn. 2015 dann die Umkehr: Mit der Kampagne „Weil wir dich lieben“ erobert das öffentlich-rechtliche Unternehmen mit 14.400 Mitarbeitern die Berliner Stück für Stück zurück. Verantwortlich hierfür ist Dr. Martell Beck, Bereichsleiter Marketing und Vertrieb. Ein Portrait.

Werdegang

Martell Beck wurde 1972 in Heidelberg geboren und studierte „klassisch BWL in Trier und Mannheim“. Sein Interesse galt damals nicht dem Marketing, sondern dem Bereich Personal und Organisation. „Ich hatte einen engagierten Professor, der mir sagte, dass das Arbeitsrecht noch aus einer alten Zeit stamme, es hier in den nächsten Jahren viele Änderungen geben würde, und so habe ich mich selber verwirklicht und im Arbeitsrecht promoviert“, sagt Martell Beck.

Die Uni sollte jedoch nicht alles im Leben gewesen sein, Beck zog es hinaus „ins wahre Leben“, wie er sagt. Und nahm 2002 eine Stelle als Vorstandsassistent Deutsche Bahn für Konzernvorstand Christoph Franz (heute Hoffmann La-Roche) in Frankfurt/Main an. Nach Personal- und Arbeitsrecht wurde hier jedoch weniger gefragt. Es ging ums Marketing, z. B. die Einführung von einem neuen Speisewagenkonzept, neuen Preismodellen. „Alles Themen, die auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, und genau da wollte ich mitmachen“, so Beck.

Da man „nicht ein Leben lang Vorstandsassistent“ sein kann, hat der auf den Marketinggeschmack gekommene Betriebswirt überlegt, wie die Berufsreise weitergeht. Eine Tür öffnete sich in der DB-Konzernstrategie, und der Heidelberger wurde Leiter Marketingstrategie. Das ging knapp acht Jahre gut, „nach so viel Strategie wollte ich ‚echte Arbeit’ machen, die Ärmel aufkrempeln. Fronterfahrung ist gut; zu wissen, wie das ist, wenn monatlich die neuen Umsatzzahlen auf den Tisch kommen. Zu sehen, ob die Maßnahmen gewirkt haben oder nicht. Das hat eine ganz eigene Kraft“, erklärt Martell Beck seine Motivation als Marketing- und Vertriebsleiter zur SSB – Stuttgarter Straßenbahnen AG zu gehen.

Hier hatte der heute 45-Jährige zum ersten Mal Umsatzverantwortung und eine Berufskombination, die nicht allein von Strategien und schönen Kampagnen lebte, sondern umsatzgetrieben war. „Die Kolleginnen und Kollegen waren viel operativer, PowerPoint war hier nicht die erste Sprache“, so Beck. 3,5 Jahre arbeitete Beck in Stuttgart, dann rief Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der BVG. Zum 1. April 2018 ist der Wahlberliner sechs Jahre lang auf der Position des Bereichsleiters Marketing und Vertrieb.

Was ist das Spannende im digitalen Marketing?

„Wenn ich die Wahrnehmung des Unternehmens verändern will, fängt das bei der jüngeren Zielgruppe an. Diese hat ein anderes Informationsverhalten als ältere Kunden. Mit digitalem Marketing kann ich diese besser erreichen. Hinzu kommt: Ich will ja nicht immer nur meine Botschaft „hab mich lieb, hab mich lieb“ senden, ich will auch hören, empfangen – damit ich überhaupt die Kampagne ausrichten kann, damit ich glaubwürdig bin. Denn wenn ich nicht glaubwürdig bin, habe ich die Chance vertan, etwas zu ändern. Wenn ich nur Plakate sehe, werde ich nie erfahren, was meine Zielgruppe denkt. Und habe dann auch noch viel Geld ausgegeben. Es geht uns um Feedback. Und dafür steht das digitale Marketing.

Beispiel: Als wir unser Hashtag #weilwirdichlieben launchten und die Berliner damals aufforderten, von ihren Erlebnissen mit der BVG zu berichten, haben wir nicht damit gerechnet, so eine vernichtende Kritik zu bekommen. Das war ein wahrer Shitstorm, der sich über uns ergoss, der Kunde stand mir mit seiner harten Realität gegenüber“, erzählt Beck vom Kampagnenbeginn. Eine Realität, die Martell Beck braucht, um seinen Pegel zu messen, „um zu sehen, ob ich richtig fahre. Man lernt in großen und in kleinen Dingen“, so Beck weiter.

Was sind die Herausforderungen der BVG?

Herausforderung Nr. 1: Die Kunden besser kennenzulernen, steht beim Marketing- und Vertriebschef ganz oben auf der Agenda, „da sind wir noch in der Aufholjagd“. „Wer reagiert auf meine Online-Performance-Kampagnen?“ „Wie reagieren Frauen, wie Männer und wann kommt es zum Abschluss, zum Kauf eines Abos?“ Alles Fragen, die das Beck’sche Team umtreibt. Im Gegensatz zu z. B. München oder Hamburg gibt es in Berlin keine unterschiedlichen Tarifzonen. Wer ein BVG-Ticket in Berlin kauft, kauft ganz Berlin zu einem auch politisch gewollten Einheitspreis.

Foto: BVG Presse/Adidas Der Marketing Coup der BVG - ein Adidas Sportschuh mit integriertem BVG Ticket

Herausforderung Nr. 2: Die Kundenbeziehung via Facebook, Twitter usw. liegt Martell Beck am Marketingherzen. Eine der erfolgreichsten Aktionen, die die BVG bis dato hatte, ist der PR-Marketing-Gag mit Adidas Originals. Anfang Januar wurde hierfür ein exklusiver Sneaker in einer Kleinauflage von 500 Paar auf den Markt gebracht. Der Coup: Die Sneakers waren im Muster der BVG-Sitzbezüge designt, ein BVG-Jahresticket im Schuh eingearbeitet. Wer diesen Schuh trägt, fährt 12 Monate gratis. Zwei kalte Nächte standen die Fans dafür an.

„Wir haben aufmerksam die Diskussionen in den sozialen Medien verfolgt, wo es überschwängliches Lob gab, aber später auch Enttäuschung von jenen, die vergebens für den Schuh anstanden haben. Viele sind bei dem Hype leer ausgegangen“, so Beck. Die leer ausgegangenen machten ihrem Frust Luft.

Sie wurden gehört. Das Feedback der Kunden hat dazu geführt, dass die BVG die zwei letzten Paare via eBay versteigert hat. „Die Herausforderung ist also, zuzuhören und schnell zu reagieren, sonst droht Ärger“, fasst Beck das Learning zusammen. Den vierstelligen Betrag, der durch die Versteigerung zusammenkam, erhielt eine Berliner Institution, die „Kältehilfe“.

Herausforderung Nr. 3: Gute Leute finden und halten. „Der Markt ist heute ein ganz anderer, auch in Berlin. Der Social-Media-Agent, der meine Tonalität spricht, ist eine knappe Ressource, er ist Gold wert. Und er weiß es. Vor drei Jahren hätte ich nicht gedacht, was für Gespräche ich diesbezüglich führen muss. Klar muss auch sein, dass der Social-Media-Manager nicht in seiner Verantwortlichkeit beschnitten wird. Er kennt die Community, die Tonalität. Es gibt viele Unternehmen, die ihre Community-Manager an einer sehr kurzen Leine führen. Man muss vertrauen und loslassen können“, so der Familienvater mit einer 15 Monate alten Tochter.

„Das ist so eine Sache mit den Trends“, meint Beck. „Coole Geschichten, Storytelling sind wichtig. Als BVG wollen wir Reichweite, Aufmerksamkeit haben, Themen besetzen, die außergewöhnlich sind. Die Latte wird dabei immer höher gelegt. Im Dezember 2017 hatten wir Bono und The Edge von U2 mit einem Konzert in der U2, im Januar die auch international aufmerksamkeitsstarke Sneaker-Aktion mit Adidas, und was kommt jetzt, im Februar, im März,...? Diese Taktung können wir nicht halten, darum geht es auch nicht. Wir suchen Potenziale auf vertrieblicher Seite. Die Ansprache verlagert sich immer mehr ins digitale, unser erklärtes Ziel: Wenn die BVG in Berlin erfolgreich sein will, dann muss es zum guten Ton gehören, BVG zu fahren“, sagt Martell Beck voller Überzeugung.

Bild Sandra Goetz Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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