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DISPLAY ADVERTISING - Cookie-Debatte

Umgang mit Cookies - das niederländische Modell

Jens von Rauchhaupt, 28. Januar 2014

Dänemark Opt-in, Bulgarien Opt-out, Finnland auch und Frankreich sagt: „Das kommt darauf an.“ Größer könnte die Konfusion in Europa kaum sein als bei der Umsetzung der EU-Cookie-Richtlinie aus dem Jahr 2009. Deutschland hält sich bekanntlich vornehm zurück. Das damals zuständige Innenministerium war der Auffassung, dass die bestehenden deutschen Regeln dem EU-Recht genüge tun. Und in der Tat ist die Informationspflicht in Kombination mit Pseudonymisierung vermutlich die praktikabelste Lösung.

In den letzten Monaten hat sich allerdings die Sensibilität der Öffentlichkeit in Sachen Datenschutz aus bekannten Gründen drastisch verschärft. Und zeitgleich wurde eine neue Regierung gebildet, deren Chefin sich vorwerfen lassen muss, der digitalen Evolution von Wirtschaft und Gesellschaft etwas zu wenig Beachtung geschenkt zu haben. Bester Nährboden also, um Aktionismus von der Regierung in Sachen Datenschutz zu fordern. Die jeweiligen Lobbyisten laufen zu Höchstform auf. 

Die Online-Werber lehnen ein generelles Opt-in ab, weil sie Angst davor haben, die Möglichkeit zur Wiedererkennung der Nutzer in Teilen zu verlieren. Stark betroffen wären vor allem Retargeting-Anbieter und Affiliate-Netzwerke. Eines ihrer Hauptargumente im Kampf um die Datenkekse ist das Horrorszenario, dass vor allem die werbefinanzierten medialen Anbieter ihre Erwerbsgrundlage im Netz verlieren.

Ob das tatsächlich so käme, darf inzwischen doch bezweifelt werden. Die Niederländer haben im Sommer 2012 die Cookie-Richtlinie umgesetzt und zwar mit der strengsten aller denkbaren Lösungen: Ohne Opt-in kein Cookie. Und zwar ein explizites Opt-in. Die Browsereinstellungen reichen dafür nicht aus.

Eineinhalb Jahre später sieht man, dass diese Verschärfung gar nicht die ganz katastrophalen Folgen haben muss. Im Gegenteil: Die Opt-in-Lösung des finnischen Medienkonzerns Sanoma, der auch in den Niederlanden ein mediales Schwergewicht ist, gilt als Vorzeigebeispiel nicht nur für das Einsammeln von Opt-ins, sondern für den transparenten Umgang mit Cookies überhaupt.

Screenshot: Die meisten User wählen in den Niederlanden das generelle Opt-in, beobachtet Sanoma.

Sanoma blendet auf jeder der eigenen Websites ein 728x200 Pixel großes Banner im Kopf der Website ein. Dort soll der Nutzer sein Opt-in erteilen. Tut er es nicht, wird ihm nahegelegt, seine persönlichen Cookie-Einstellungen anzupassen. Dieses Dashboard ist seine Kontrollzentrale für ein individualisiertes Werbeangebot. Er darf dort für 230 Websites Regeln anlegen. „Wir betreiben in den Niederlanden sowohl den Playboy in Lizenz als auch Disney-Kanäle“, sagt Martijn Eindhoven, Manager Advertising bei Sanoma in den Niederlanden. User, die beide Medien nutzen, müssen das bei der Tracking-Zustimmung sehen können.

Spannend ist aber die nächste Stufe des Opt-in. Die Nutzer können nach Zweck und Absender der Cookies unterscheiden. Trackingcookies der Website selbst können nicht abgewählt werden. Funktionale 1st-Party-Cookies auch nicht. Social Media kann abgeschaltet werden und bei werblichen Cookies unterscheidet Sanoma zwischen solchen, die nur den View protokollieren und beispielsweise für Frequency Capping genutzt werden können, und solchen, die personalisiertes Targeting erlauben.

Janneke Niessen

Nur sehr wenige Nutzer – so Eindhoven – lehnen Cookies auf den Sanoma-Websites tatsächlich ab. Ökonomisch sei dem Unternehmen keinerlei Schaden entstanden. Ähnlich entspannt äußert sich auch Janneke Niessen, Mitgründerin der Sell-Side-Plattform Improvedigital. „Die scharfen Diskussionen von vor zwei Jahren haben schnell wieder nachgelassen.“ Im Nebensatz spekuliert die Niederländerin aber, dass viele Nutzer die Lösung von Sanoma eventuell gar nicht verstehen und daher einfach auf „Opt-in“ klicken. Und tatsächlich ziehen die Finnen alle Register der Conversion-Optimierung, um die allgemeine Zustimmung zu erhalten. Wählt der Nutzer doch die Ablehnung, bekommt er nur thematisch segmentierte, aber keine personalisierten Werbemittel ausgeliefert.

Unterm Strich liegt in einem solchen Verfahren enorm viel Potenzial beim Versuch, dass Vertrauen der Nutzer zu gewinnen oder zurückzugewinnen. Statt eines Medienhauses könnte eine neutrale Instanz oder ein Verband eine solche Technologie anbieten, eventuell sogar verbunden mit weiteren Personalisierungsfunktionen. In den Niederlanden stehen die Sitebetreiber bei Sanoma Schlange, um auch in deren Liste aufgenommen zu werden. Bislang sperren sich die Finnen.

Und genau hier liegt der Pferdefuß. Große Publisher bringen die Power auf, um komplexe neue Lösungen programmieren zu lassen und das auch bei den Nutzern entsprechend zu bewerben. Nischenanbieter, die am Tropf von Google AdWords oder der Affiliate-Netzwerke hängen, müssen selbst von den Nutzern das Opt-in einsammeln. Es wird noch eine gewisse Zeit dauern, bis Softwareentwickler funktionierende und preiswerte Plug-in-Lösungen für das Opt-in -Handling zur Verfügung stellen. Die E-Mail-Marketer sind hier gut aufgestellt, weil sie vom Gesetz gezwungen sind, genauso zu verfahren, wie die Niederländer auf den Websites.

Konfigurationsbeispiel: Im Dialog kann der Nutzer entscheiden, für welchen Zweck Cookies genutzt werden dürfen.

Tatsächlich wäre der deutschen Online-Werbung zu raten, bei diesem Thema proaktiv vorzugehen. Eine Gesetzesnovelle würde vermutlich auch cookie-freies Tracking einem Opt-in unterordnen. Die entsprechende Pop-up-Flut möchte man sich nicht vorstellen. BVDW-Präsident Matthias Ehrlich bedauert heute, dass die Industrie damals die Pseudonymisierung nicht intensiver beworben hat: „Davon wusste man in Brüssel zu Beginn der Diskussion gar nichts. Das ist ein Fehler unserer Industrie.“ Inzwischen, so Ehrlich, habe man diesen Fehler aber beheben können.

Allerdings ist auch die neue Regierung dringend aufgefordert, direkt in Brüssel aktiv zu werden und eine europäische Harmonisierung voranzutreiben. Der Anpassungsaufwand für Werber mit europäisch ausgerichteten Kampagnen ist enorm. Und natürlich müssen auch Google, Microsoft, Facebook und Apple an diesem Recht gemessen werden. Insbesondere im Hinblick auf deren aktuelle proprietäre Tracking-Anstrengungen. „Wer Infrastrukturbedeutung hat, wie zum Beispiel die Browseranbieter, darf nicht selbst entscheiden, was erlaubt ist und was nicht, sondern er muss das den lokalen Regeln überlassen“, sagt Ehrlich.

Text: Frank Puscher / Bearbeitung: Jens von Rauchhaupt

Bild Jens v. Rauchhaupt Über den Autor/die Autorin:

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