Das Jahr 2025 hat deutlich gemacht, dass sich die digitale Werbeindustrie in einem herausfordernden Umfeld bewegt. Etwas, was zu Jahresbeginn so nicht zu erwarten war. Zwar prognostizierte der Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) im Rahmen der Dmexco ein Wachstum von rund 8,8 Prozent für den deutschen Online-Display- und Videowerbemarkt, doch der Großteil dieses Wachstums stammt weiterhin aus den Walled Gardens, die trotz aller Marktveränderungen unterstützt werden. Im Open Web hingegen zeigt sich ein anderes Bild: Während einige Adtech Player eine bemerkenswerte Überperformance erzielen konnten, hatten größere Medienunternehmen und deren Vermarkter mit verhaltenen Werbebudgets und teils deutlichen Rückgängen zu kämpfen. Besonders sichtbar wurde das bei TV-Sendern, die insgesamt weniger Ad Spendings erhielten.
Die Branche wächst also weiter, aber die Verteilung dieses Wachstums ist unausgewogen und macht deutlich, dass strukturelle Verschiebungen stärker denn je spürbar sind. Dieser Beitrag beleuchtet daher nicht nur die zentralen Entwicklungen und Schwerpunkte der Adtech-Industrie im Jahr 2025, sondern zeigt auch auf, welche Perspektiven, Handlungsfelder und strategischen Ziele sich daraus für 2026 ableiten, und wo die Branche jetzt die richtigen Weichen stellen muss.
Künstliche Intelligenz: Grundlage statt Trend
Im vergangenen Jahr war Künstliche Intelligenz allgegenwärtig, und doch war sie kein eigentliches Trendthema mehr. Denn wer heute noch darüber diskutiert, ob KI in der digitalen Werbung eingesetzt werden sollte, hat den Wandel der letzten Jahre verpasst. KI ist längst eine Grundvoraussetzung geworden, die fest in alle Prozesse integriert ist. Von KI-generierten Creatives über Kampagnenautomatisierung und datenbasierte Optimierung bis hin zur Auswertung von Nutzerinteraktionen in Echtzeit.
2026 wird sich darum drehen, wie und wie gut KI genutzt wird. Der Fokus verschiebt sich auf die Qualität der Modelle, die Transparenz der Entscheidungslogik und die Fähigkeit, KI-Ergebnisse nachvollziehbar in Strategien zu überführen. Unternehmen, die KI nicht nur als Werkzeug, sondern als integralen Bestandteil ihrer Wertschöpfung verstehen, werden die größten Effizienzgewinne erzielen.
Attention als Leitwährung
Parallel dazu hat sich eine weitere Entwicklung gefestigt: Aufmerksamkeit ist die zentrale Währung im digitalen Advertising. In einer Welt, in der Nutzer täglich mit hunderten visuellen Reizen konfrontiert werden, zählt nicht mehr allein die Reichweite, sondern die tatsächliche Wirkung einer Botschaft. Es zeigt sich zunehmend, dass das Open Web an Bedeutung gewinnt, weil Marken verstärkt nach Transparenz, Unabhängigkeit und hochwertigen Umfeldern suchen.
High-Impact-Formate, die großflächige, kreative und sichtbare Werbeflächen bieten, erzielen nachweislich höhere Erinnerungswerte und stärkere Markenwirkungen als klassische Standardformate. Studien belegen, dass Nutzer sich bis zu dreimal häufiger an Marken erinnern, wenn sie mit aufmerksamkeitsstarken Formaten konfrontiert werden.
Dies treibt die Diskussion um standardisierte Attention-Metriken weiter voran. Für 2026 wird die Einführung eines einheitlichen Attention-Quality-Scores zunehmend realistisch. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass erste Kooperationen zwischen Vermarktern, Agenturen und Technologieanbietern in diese Richtung gehen, etwa durch das gemeinsame Engagement von dem Interactive Advertising Bureau (IAB) und dem Media Rating Council (MRC).
Ein solcher Standard würde Aufmerksamkeit kanalübergreifend vergleichbar machen und die Mediaplanung transparenter gestalten. Auch die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) fordert dafür Prinzipien wie Unabhängigkeit, Auditierbarkeit und Neutralität. Damit steigt zugleich die Chance, dass Werbegelder von den Walled Gardens zurück ins Open Web fließen. Dorthin, wo Wirkung klarer messbar wird.
Das Open Web im Aufwind
Ein weiterer klarer Trend ist die wachsende Bedeutung des Open Web. Immer mehr Werbungtreibende hinterfragen zu Recht ihre starke Abhängigkeit von den sogenannten „Walled Gardens“ der großen Plattformen wie Instagram, Youtube, Tiktok und Co. Die OWM fordert, dass Marken zunehmend mehr Transparenz, eine eindeutige Messbarkeit, einheitliche ID-Standards, Kontrolle und Unabhängigkeit erhalten.
Werbung in unabhängigen Medienumfeldern gewinnt dadurch strategisches Gewicht. Sie ermöglicht qualitativ hochwertige Reichweiten, ein kontrollierbares sowie hochwertiges Umfeld und eine direkte Beziehung zwischen Marke, Publisher und Nutzer. Allerdings bringt diese Rückbesinnung auch neue Anforderungen mit sich: Die Branche muss beweisen, dass sie die Qualität und Transparenz bieten kann, die Marken erwarten. Werbungtreibende investieren nur dann verstärkt ins offene Internet, wenn Messung, Brand Safety und Aufmerksamkeit klar nachweisbar sind. Für etablierte Qualitätsanbieter im Open Web ist das die Norm – Brand Safety ist inhärent und wird zusätzlich durch unabhängige Partner wie IAS oder Doubleverify verifiziert.
Maike Abel, Marketingchefin von Nestlé Deutschland und Vorstandsvorsitzende der OWM sagt: „Das Open Web, oder besser die ‘Open Parks‘, sind für Marken wie unsere ein wichtiger Ort, der Transparenz schafft, Brand Safety ermöglicht und lokale journalistische Qualität stärkt. Um diesen Ort bestmöglich zu nutzen, müssen technologische Standards (wie z.B. ID-Lösungen) und klare Messsysteme eingesetzt werden.“
Während geschlossene Ökosysteme („Walled Gardens“) nur begrenzt bereit sind, sich an standardisierte Messmethoden anzupassen, bietet das Open Web Marken die Möglichkeit, vergleichbare und verlässliche Bewertungsmaßstäbe zu nutzen, auch für Streaming- und CTV-Angebote. Damit wird klar: Im Open Web können Unternehmen ihre Kampagnen wirklich konsistent messen und optimieren.
Das Jahr 2026 dürfte daher das Jahr werden, in dem das Open Web verstärkt wieder ins Zentrum der digitalen Kommunikationsstrategien rückt. Die Zahl der Advertiser, die Budgets in diesen Bereich verschieben, nimmt kontinuierlich zu. Damit wächst aber auch der Druck auf Anbieter, technologisch und methodisch nachzuziehen.
Targeting und Datenqualität als Mindeststandard
Auch im Bereich Targeting zeichnen sich deutliche Verschiebungen ab. Große Unternehmen wie die Otto Group oder die Deutsche Telekom arbeiten an eigenen DSP-Infrastrukturen, um unabhängiger von Drittanbietern zu werden. Dadurch verändern sich Preisstrukturen und Marktmechanismen: Der Preis für reine Daten sinkt, während die Anforderungen an deren Qualität steigen.
Für 2026 bedeutet das: Targeting-Solutions werden vermehrt eingesetzt, aber ihre Qualität wird zum entscheidenden Differenzierungsfaktor. Werbungtreibende erwarten zunehmend transparente, überprüfbare und datenschutzkonforme Systeme.
Die OWM fordert dafür standardisierte, plattformübergreifende IDs, die eine einheitliche, deterministische Nutzer-Adressierbarkeit im Open Web ermöglichen. In ihrem Positionspapier beschreibt sie die Notwendigkeit einer „datenschutzrechtlich konformen, reichweitenstarken und plattformunabhängigen ID-Lösung“.
Solche interoperablen ID-Standards sollen sicherstellen, dass Zielgruppensteuerung wieder stärker auf Relevanz, Planbarkeit und Wirkung ausgerichtet wird und das Open Web langfristig wettbewerbsfähig gegenüber den geschlossenen Ökosystemen der Walled Gardens bleibt.
Konsolidierung und technologische Stärke
Der Markt hat sich über die Jahre immer weiter konsolidiert. Nationale Anbieter ohne eigene Technologieplattformen oder skalierbare Systeme geraten zunehmend ins Hintertreffen. Gleichzeitig treiben globale Player wie Amazon (mit Amazon Publisher Services) den Trend zu integrierten SSP- oder DSP-Strukturen voran. Diese Entwicklung zeigt, dass 2026 die technologische Konsolidierung kein plötzliches Phänomen sein wird, sondern einen bereits laufenden Trend fortführen wird. Nur Unternehmen mit starker, proprietärer Technologie oder strategischen Allianzen werden langfristig bestehen können.
Damit verschiebt sich die Wettbewerbsdynamik: Reichweite alleine reicht nicht mehr. Entscheidend ist, wer die technologischen Fähigkeiten besitzt, Kampagnen in Echtzeit effizient und transparent auszusteuern.
Video und CTV: Die Macht des Bewegtbilds
Auch im kommenden Jahr wird Video das Leitmedium bleiben, insbesondere im Bereich Connected TV (CTV), wobei vor allem Werbeformate, die Video integrieren, davon profitieren werden. Der europäische Streaming-Markt wächst weiter stark: Im ersten Halbjahr 2025 stiegen laut Freewheel die CTV-Ad-Views in Europa um 31 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Diese Entwicklung zeigt, dass Bewegtbildwerbung nicht mehr nur eine Ergänzung, sondern ein zentraler Bestandteil des digitalen Marketing-Mix ist. Video kombiniert emotionale Ansprache mit messbarer Performance, und CTV verbindet lineare TV-Qualität mit digitaler Präzision. Marken, die kreative Exzellenz mit datengetriebener Optimierung verbinden, werden hier besonders profitieren.
Fazit: 2026 wird das Jahr der Klarheit
Das Jahr 2026 wird weniger von neuen Schlagworten, sondern von Umsetzungsstärke geprägt sein. Die zentralen Themen sind bekannt, entscheidend ist nun, wie konsequent sie in die Praxis überführt werden.
Künstliche Intelligenz ist keine Innovation mehr, sondern Fundament. Aufmerksamkeit ist nicht nur eine Kennzahl, sondern die entscheidende Währung für Werbewirkung. Das Open Web gewinnt an Relevanz, weil Marken Transparenz, Unabhängigkeit und entsprechende Umfelder fordern. Targeting braucht offene ID-Strukturen, um Zielgruppen eindeutiger zu erreichen. Und Video bleibt das Format, das Emotion, Wirkung und Präzision vereint.
In einem Markt, der zunehmend durch Qualität, Struktur und Technologie definiert wird, werden sich jene Unternehmen durchsetzen, die konsequent auf messbare Wirkung, Transparenz und Nutzerrelevanz setzen.
2026 wird zeigen, dass Erfolg in der digitalen Werbung nicht von Schlagworten oder kurzfristigen Trends abhängt, sondern von konsequenter Umsetzung, messbarer Wirkung und relevanten Inhalten.
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