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MOBILE

Wachstumschancen: Was europäische Finanz-Apps voneinander lernen können

Aliaksei Ustauski, 17. November 2025
Bild: Sirisvisual – Unsplash

Im Jahr 2025 präsentiert sich die europäische Finanzlandschaft zugleich gereift und fragmentiert. Traditionelle Banken, Neobanken und Investmentplattformen dominieren jeweils ihre Segmente – doch ihre Strategien bleiben weitgehend isoliert. Klar ist: Das Rennen um Wachstum findet auf dem Mobile-Kanal statt – hier geht es darum, mehr Nutzer:innen für die eigene App zu gewinnen und diese nachhaltig an sich zu binden. Jede dieser genannten Gruppen hat offenbar einen entscheidenden Teil der Wachstumsformel entschlüsselt. Echte Sieger müssen aber über Branchengrenzen hinausblicken und Erfolgsstrategien der Mitbewerber adaptieren.

Neue Daten von uns aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland zeigen drei dominante Strategien zur Nutzerakquise – jeweils optimiert für unterschiedliche Marktbedingungen. Zugleich offenbaren sie eine klare Trennlinie: Während die meisten Finanz-Untersegmente weiterhin von westeuropäischen Anbietern angeführt werden, stechen Investment- und Geldtransfer-Apps als Ausnahmen hervor – zunehmend dominiert von internationalen Playern. In allen Kategorien zeigen sich dabei ungenutzte Potenziale, um Retention, Akquise-Effizienz und langfristigen Kundenwert zu steigern.

Traditionelle Banken: Meister der Kundenbindung

Traditionelle Banken haben die Kunst der Kundenbindung perfektioniert: 55 bis 85 Prozent ihrer Conversions stammen aus Retargeting-Maßnahmen bei Bestandskundinnen und -kunden. Ihr Hauptfokus liegt darauf, Web- und Filialkundinnen und -kunden über Deep-Link-basierte Journeys in die mobile App zu überführen – ein Vorteil, der aus großen, kanalübergreifenden Kundenstämmen resultiert.

Diese Strategie zeigt nachhaltige Wirkung: Die 30-Tage-Retention, eine der wichtigsten Kennzahlen für Mobile Marketer, von traditionellen Bank-Apps liegt 1,5- bis 2-mal höher als bei Neobanken. Ermöglicht wird dies durch gezieltes Cross- und Upselling im Rahmen ihrer Retargeting-Kampagnen. Zudem stammen 45 Prozent der App-Installationen aus Owned Media, was ihre Akquise besonders kosteneffizient macht.

Doch dieser Erfolg birgt auch eine Schwäche: Das Wachstum bei der Neukundenakquise – sowohl organisch als auch bezahlt – stagniert. Während immer mehr Bestandskundinnen und -kunden bereits die App nutzen, schrumpft die Basis potenzieller Erstnutzer:innen aus traditionellen Kanälen. Der Conversion-Pool aus dem Filialgeschäft trocknet langsam aus, da die Zahl physischer Filialen weiter sinkt.

Neobanken: Die ausgewogenen Experimentatoren

Neobanken, also rein digitale Banken, die keine Filialen haben und ihre Dienstleistungen hauptsächlich über eine Smartphone-App anbieten, beherrschen die Kunst der Neukundenakquise – und übertreffen traditionelle Banken in Großbritannien und Frankreich deutlich. In Frankreich entschieden sich 2025 bis dato bereits doppelt so viele neue Nutzer:innen für Neobanken oder digitale Wallets wie für klassische Banken. Deutschland zeigt sich konservativer, dürfte aber in den kommenden 18 Monaten nachziehen.

Ihr Erfolg basiert auf einer aggressiven Media-Mix-Strategie. Während traditionelle Banken zu 45 Prozent auf Owned Media setzen, verteilen Neobanken ihre Budgets breiter: rund 35 Prozent Owned Media, ergänzt durch signifikante Investitionen in Ad Networks, DSPs und Plattformen wie Tiktok. So erreichen sie jüngere Zielgruppen, die klassischen Banken verschlossen bleiben.

Ein blinder Fleck bleibt jedoch: Nur 3 bis 4 Prozent ihrer Conversions stammen aus Retargeting – ein Wert, der auf dem Niveau von Investment-Apps liegt und weit unter den Benchmarks traditioneller Banken. Hier verschenken Neobanken erhebliches Potenzial zur Verbesserung ihrer Wirtschaftlichkeit und zur Steigerung des Customer Lifetime Value.

Investment-Apps: Die Volumenjäger

Investment-Apps agieren in einer eigenen Welt: Über 75 Prozent ihrer Installationen stammen aus bezahlten Akquise-Kampagnen, der Rest aus organischem Traffic. Ihre Performance korreliert stark mit der Marktstimmung – insbesondere den Preisen von Bitcoin und Kryptowährungen – und ermöglicht so explosive, aber volatile Wachstumsphasen.

Diese Apps folgen einem High-Volume-/Low-Retention-Modell. Die Day-1-Retention liegt im Schnitt bei 19 Prozent, fällt nach sieben Tagen auf 8 Prozent und nach 30 Tagen auf 4 Prozent. Investment-Apps akzeptieren hohe Abwanderungsraten als gegeben. Wie bei Neobanken entfallen nur 3 bis 4 Prozent der Conversions auf Retargeting – ständiger Neukundenzufluss ist demnach überlebenswichtig.

Doch andere Finanzsegmente beweisen, dass deutlich höhere Wiederkehrraten möglich sind. Gerade in Zeiten eines Marktabschwungs, wenn die Akquisekosten steigen und das Marktinteresse sinkt, könnten stärkere Bindungsstrategien über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Bemerkenswert ist der internationale Charakter dieses Segments: Über 85 Prozent der nicht-organischen Installationen in Retail-Trading- und Investment-Apps in Großbritannien, Deutschland und Frankreich stammen von Unternehmen aus China, Australien, Israel oder Osteuropa. Damit unterscheidet sich diese Kategorie deutlich von anderen Finanzsegmenten, in denen lokale europäische Anbieter noch dominieren – mit Ausnahme des Geldtransfers.

Das Cross Learning Playbook

Die größten Wachstumschancen entstehen dort, wo Unternehmen über ihr eigenes Segment hinausblicken.

Was traditionelle Banken übernehmen sollten

  • Von Neobanken: Media-Mix-Experimentation, um jüngere Zielgruppen zu erreichen, ohne Bindungsvorteile zu verlieren.
  • Von Investment-Apps: Agilität in Kampagnenplanung und -skalierung, um auf Markttrends schnell reagieren zu können.

Was Neobanken übernehmen sollten

  • Von traditionellen Banken: Fortgeschrittene Retargeting-Strategien, um den Anteil von 3 bis 4 Prozent in den zweistelligen Bereich zu heben.
  • Vom E-Commerce: Best Practices im Retargeting, wo datengetriebene Reaktivierungsstrategien weit ausgereifter sind als im Fintech-Bereich.

Was Investment-Apps übernehmen sollten

  • Von traditionellen Banken: Frameworks für Retention und Cross-Selling, um die 30-Tage-Retention zu stabilisieren.
  • Vom E-Commerce: Kampagnen zur Wiederansprache, insbesondere in Phasen der Markterholung.

Fazit

Spezialisierung war bisher der Schlüssel zum Erfolg – doch die Zukunft gehört den anpassungsfähigen Akteuren. Ob Neobanken, die ihre Investmentprodukte strategischer bewerben, oder traditionelle Banken, die über diversifizierte Medienkanäle neue Nutzergruppen erschließen: Die Chancen sind längst nicht ausgeschöpft.

Die erfolgreichsten Apps von morgen werden jene sein, die ihr Produkt exzellent beherrschen – und zugleich relevante Marketing-Strategien aus angrenzenden Branchen übernehmen, von E-Commerce bis Gaming. Denn die effektivsten Strategien werden heute nicht mehr im eigenen Haus erfunden – sie werden adaptiert, verfeinert und konsequent umgesetzt.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Aliaksei Ustauski Über den Autor/die Autorin:

Aliaksei Ustauski ist Director of Sales Strategy für EMEA & LATAM bei AppsFlyer, wo er ein Team von Branchenexperten und -expertinnen aufgebaut hat, das AppsFlyer-Kunden dabei unterstützt, ihre mobilen Apps zu skalieren und ihr Geschäft auszubauen. Mit über 20 Jahren Erfahrung im B2B-Vertrieb und mehr als 10 Jahren im SaaS-Vertrieb lebt und atmet er vertikalisierte, erkenntnisbasierte Verkaufsstrategien. Bevor er 2020 zu AppsFlyer kam, um das Sales-Strategy-Team zu leiten, arbeitete er fünf Jahre bei data.ai (heute Teil von Sensor Tower).

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