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Die neue EU-Transparenzverordnung spielt der Außenwerbung in die Karten

Bernd Rabsahl, 6. November 2025
Bild: Jan Keller – Unsplash

Mit der EU-Verordnung über Transparenz und Targeting politischer Werbung (TTPW) zieht Brüssel die Zügel an: Künftig muss jede politische Anzeige offenlegen, was genau dahintersteht. Für viele Werbetreibende ist das ein zusätzlicher Compliance-Akt – für die Außenwerbung jedoch eine Gelegenheit, ihre größte Stärke auszuspielen: sichtbare, kontextuelle Kommunikation ohne personenbezogene Daten.

Wenn Brüssel sich etwas Neues einfallen lässt, schwant einem nichts Gutes. Und eine neue EU-Verordnung bedeutet für die freie Wirtschaft in den meisten Fällen immer auch mehr Verpflichtungen, mehr Auflagen, mehr Kontrolle. Bei der EU-Verordnung über Transparenz und Targeting politischer Werbung (TTPW), die seit 10. Oktober gilt, ist das auch so. Sie verlangt, dass politische Werbung klar gekennzeichnet und Auftraggeber offengelegt werden müssen. Betroffen sind dabei nicht nur politische Parteien, sondern auch NGOs und Unternehmen, die in ihren Kampagnen klare politische Meinungen bilden möchten.

Regulatorischer Druck trifft datengetriebene Kampagnen

Damit öffnet sich für die werbungtreibende Wirtschaft eine neue Grauzone. Eine Kampagne wie „Zusammenland – Vielfalt macht uns stark“ (eine Initiative von Ströer und führenden Leitmedien wie Zeit, SZ oder Handelsblatt) etwa adressiert gesellschaftlich/politisch relevante Inhalte und steht für eine klare Haltung. Noch deutlicher wird das bei Edekas Statement „Warum bei Edeka Blau nicht zur Wahl steht“. Gemäß Art. 2 TTPW könnte das wohl als politische Werbung gelten, weil es „den Zweck oder die Wirkung hat, das Ergebnis einer Wahl oder eines Referendums zu beeinflussen oder auf politische Entscheidungen und Debatten Einfluss zu nehmen.“ So wird eine von den Eurokraten sicher gut gemeinte Sache zum Bumerang. Unternehmen werden sich angesichts drohender Prüfverfahren zweimal überlegen, ob sie sich gesellschaftlich – ob für Vielfalt, Nachhaltigkeit oder Solidarität – einsetzen oder nicht. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.

Intermedial kann die neue EU-Verordnung enorme Konsequenzen haben, weil die Daumenschrauben unterschiedlich stark angelegt werden. Besonders davon betroffen: die Online-Werbung. Targeting soll über das TTPW strenger geregelt werden. Daten dürfen nur dann verwendet werden, wenn die betroffene Person explizit und separat eingewilligt hat; sensible Personendaten (z. B. politische Meinungen, ethnische Herkunft, Religion) dürfen nicht zur Profilierung herangezogen werden – eine weitere, späte Reaktion auf den Cambridge Analytics-Skandal, bei dem das britische Analyse-Unternehmen bei Millionen von Facebook-Nutzern persönliche Daten absaugte, um sie gezielt für politische Parteien zu beeinflussen – und das alles ohne klare Zustimmung der User. TTPW ergänzt damit die bestehenden Regularien DSGVO und Digital Services Act (DSA) um eine Wirkkomponente: Sie verlangt, dass Auftraggeber und Targeting offengelegt werden. Wohl auch deshalb will Meta zumindest in der EU keine politische, wahlbezogene oder gesellschaftliche (social-issue) Werbung auf ihren Plattformen mehr sehen.

TTPW mit Chancen und Herausforderungen für die Außenwerbung

Für die Außenwerbung eröffnet das zugleich neue Potentiale: Wir brauchen keine personenbezogenen Daten, um Wirkung zu entfalten. Die Ansprache erfolgt kontextuell, nicht personalisiert – also basierend auf Ort, Zeit, Wetter, Umfeld oder Ereignis. Nicht auf einzelnen Nutzerprofilen, sondern der Aggregation von Zielgruppen. Das macht DOOH regulatorisch robust und ethisch anschlussfähig. So wird unser Medium gerade bei politischen und institutionellen Auftraggebern zu einem Vertrauensankern in einem zunehmend sensiblen Medienumfeld.

Zur Wahrheit gehört aber auch: „For free“ wird uns das nicht in die Hände fallen. Auditierbarkeit, Dokumentationspflichten und Legal Compliance erhöhen die Overheadkosten – gerade bei datenintensiven Programmatic-Setups. Und auch in die Gestaltung wirkt die Verordnung natürlich mit rein: Wenn eine Kampagne unter die TTPW fällt, muss sie klar gekennzeichnet sein – etwa mit dem Hinweis „Diese Anzeige ist politische Werbung“, ergänzt um den Namen des Auftraggebers und eine Kontaktstelle. Die Vermarkter müssen dabei die ordnungsgemäße Kennzeichnung sicherstellen. Fehlt das, drohen Bußgelder. Im Wettbewerb werden DSPs, die jetzt all diese regulatorischen Auflagen erfüllen, bevorzugt. Neben den Pflichtfeldern (Auftraggeber, Finanzierung, Ausgabenkategorie, Zeitraum, Targeting und Kennzeichnung als politische Werbung) sollte langfristig ein eigenes Transparenzarchiv mit Nachverfolgbarkeit aufgebaut werden. Denn: Die EU möchte bis Mai 2026 ein eigenes Archiv bereitstellen, das zur Übermittlung der Transparenzberichte genutzt wird.

Transparenz ist keine Gefahr, sondern eine Einladung zur Klarheit. Und genau das ist die Stärke der Außenwerbung: Sie zeigt Haltung – sichtbar, überprüfbar und mitten im Leben.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Bernd Rabsahl Über den Autor/die Autorin:

Bernd Rabsahl übernahm im April 1999 die Geschäftsführung der It Works GmbH. Seit 2017 ist er CEO der führenden unabhängigen Agentur für Public Media. Zuvor sammelte der studierte Diplom-Kaufmann Erfahrungen im Marketing beim Pay-TV-Sender Sky sowie der Reemtsma-Group. Bei It Works betreuen 120 Mediaexperten und Expertinnen in Düsseldorf, Berlin und Hamburg alle Arten von Agenturen und Werbetreibenden von der Beratung, Planung bis zur Buchung, Optimierung und dem Monitoring ihrer Out-of-Home-Kampagnen.

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