AdCP: Kann das Ad Context Protocol den Paid-Media-Markt besser und fairer machen?
Dominik Heck, 4. November 2025Gut zehn Jahre ist es her, als Programmatic den Weg Richtung Mainstream eingeschlagen hat. Die meisten gingen damals davon aus, dass sich mit der zunehmenden Durchsetzung von Real-Time Advertising der Wust an Systemen, Standards, Formaten und Buchungssystemen endlich reduzieren würde. Das Gegenteil war der Fall. Kann das Ad Context Protocol helfen und gleichzeitig den Markt in eine agentische und vielleicht sogar bessere Zukunft führen?
Wofür noch ein Protokoll?
Wer heute crossmediale Kampagnen plant, nutzt nicht selten zwei Hände voll verschiedener Wege, um Geld in Werbeleistung zu verwandeln – von IO über diverse DSPs, Managed Services bis hin zu Walled Gardens. Damit es nicht zu trivial wird, sind inzwischen auch klassische Medien wie (C)TV, (D)OOH und Co. über DSPs buchbar.
Um dem ganzen Herr zu werden, braucht es Software, die viele dieser Systeme versteht und steuern kann – und idealerweise einen (KI-)Agenten-basierten Ansatz. „(Agentic) AI wird die meisten Konflikte und historisch gewachsenen Stolperfallen im Media-Ökosystem beseitigen!“, sagt Marin Ćurković von All Eyes On Screens – und liegt damit sehr wahrscheinlich richtig.
Wer als Advertiser oder Agentur seine Paid Media möglichst automatisiert, systemintegriert und mit Anspruch an Datenhoheit steuern will, braucht also ein System, das sehr viele Sprachen (APIs) spricht und genauso viele Prozesse kennt. Die Welt wäre natürlich deutlich einfacher, wenn alle Systeme die gleiche Sprache sprechen – und die könnte in Zukunft AdCP heißen.
Da AdCP insbesondere auf das Open Web abzielt und die Nutzung der Open-Web-Reichweiten vereinfachen soll, bestehen gute Chancen, dass AdCP dem Wettbewerb Open Web vs. Walled Gardens neuen Schwung verleiht!
Was ist eigentlich AdCP?
AdCP steht für Ad Context Protocol, einen kürzlich veröffentlichten Open-Source-Standard für Maschinenkommunikation im Werbeumfeld, hinter dem ein Zusammenschluss etablierter Open-Web-Akteure wie Yahoo, Pubmatic oder Ebiquity steht. AdCP ist im aktuellen Status noch mehr Konzept als Standard und derzeit relativ weit von operativer Marktrelevanz entfernt. Nichtsdestotrotz zeigt AdCP einen möglichen Weg in die Agenten-geprägte Zukunft des Paid-Media-Markts.
Um die Funktionsweise von AdCP zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf seinen „Ahnen“: das Model Context Protocol. MCP, entwickelt von Anthropic (bekannt durch Claude), ist ein Protokoll, das es KI(-Agenten) ermöglicht, mit externen Systemen („Context“) zu kommunizieren. MCP definiert, wie Agenten externe Tools und Datenquellen ansprechen, um Daten für ihre Aufgaben abzurufen oder Instruktionen zu erhalten. Entwickelt wurde es erst 2024, und in kurzer Zeit hat es sich in der KI-Community als De-facto-Standard für Agent-Kommunikation etabliert. Für die Feinschmecker: Neben MCP gibt es mit Googles A2A (Agent-to-Agent) ein Protokoll, das den direkten Austausch zwischen Agenten beschreibt.
AdCP kann beide Rollen abdecken, jedoch spezialisiert auf den Paid-Media-Bereich. Es nutzt die MCP-Logik für mediaspezifische Aktionen wie Media Buying, Creative Handling und First-Party-Daten-Integration.
Darunter fallen aktuell die drei Hauptmodule:
- Signals Activation Protocol – zur Aktivierung und Synchronisierung von Zielgruppensignalen (“Finde Sport-Enthusiasten, die Schuhe kaufen möchten”),
- Media Buy Protocol – für Planung, Buchung und Ausführung von Kampagnen,
- Creative Protocol – für die Verwaltung und den Austausch von Werbemitteln, ihren Assests, Spezifikationen usw.
Ein weiteres Modul, das Curation Protocol (für z.B. Inventory Discovery), ist angekündigt und sollte eigentlich im Q2 im ersten Entwurf einsehbar sein.
AdCP ist bewusst kanalunabhängig gedacht. Es könnte sowohl für programmatische Kanäle genutzt werden als auch für klassische IO-Buchungen oder Walled Gardens, sofern diese mitspielen wollen.
Wie weit ist AdCP?
AdCP ist ein weit ausgearbeitetes Konzept mit einer vollständigen Dokumentation des Protokolls, die in dieser Form bereits praktisch einsatzfähig ist. Der gesamte Code und die zugehörige Dokumentation sind öffentlich einsehbar und seit dem 15. Oktober 2025 in der Version 2.0 verfügbar – einem vorerst stabilen, nutzbaren Status. Zum aktuellen Zeitpunkt sind damit erste Pilotprojekte und Referenzimplementierungen möglich. Produktive Use Cases, insbesondere im deutschen Markt, sind derzeit noch Mangelware.
Trotzdem – und auch aufgrund der mehr als 20 namhaften Gründungsmitglieder – ist zu hoffen, dass der Standard zunehmend Verbreitung finden wird. Spannend wird hier vor allem zu beobachten sein, wie die Walled Gardens rund um Google, Meta, Apple & Co. reagieren.
Es fehlen allerdings noch einige relevante Bausteine im Ad Context Protocol.
Neben der Curation-Komponente (hilft, Inventare über mehrere Plattformen hinweg zu entdecken), die besonders für die operative Mediaplanung entscheidend ist, sind auch Governance- und Security-Aspekte bislang teils unspezifiziert.
Kann AdCP das Open Web vorantreiben?
AdCP könnte die Wettbewerbsdynamik im Werbemarkt verändern. Aktuell entfallen große Teile der Werbespendings auf die Walled-Garden-Plattformen wie Google, Meta, Amazon oder Microsoft, während der offene Teil des Marktes fragmentiert ist. AdCP könnte für diesen fragmentierten Teil des Marktes neue Beweglichkeit und Vergleichbarkeit schaffen und dabei helfen, verlorene Marktanteile zurückzuerobern:
- Einfacherer Zugang: AdCP könnte die Vielzahl unterschiedlicher Systeme auf eine gemeinsame Sprache bringen und das Open Web dadurch technisch leichter ansteuerbar machen.
- Beschleunigte Optimierung: Durch standardisierte Agent-Kommunikation ließen sich Kampagnen deutlich schneller planen, buchen und anpassen – ähnlich effizient wie auf den GAFAM-Plattformen.
- Bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse, auch zu GAFAM: Einheitliche Datenstrukturen machen Leistungswerte und Kosten über Kanäle hinweg vergleichbarer, die Wirkung pro eingesetztem Euro wird transparenter.
- Breitere Nutzung des Marktes: AdCP senkt den operativen Aufwand für kleine Inventare. Advertiser können wieder breiter investieren, ohne den händischen Aufwand scheuen zu müssen.
Status quo und was mit AdCP besser wird
Wie in den meisten Märkten gibt es auch im deutschsprachigen Raum ein fröhliches Nebeneinander verschiedener Execution Types: klassische IO-Buchungen, Programmatic und die Walled Gardens. Jede dieser Ausführungsformen und jede der zugehörigen Plattformen (z.B. The Trade Desk, Adform, Microsoft Ads, …) folgt eigenen Optimierungslogiken und API-Strukturen.
Um diese Systeme zusammenzuführen und einen operativen Layer oberhalb der ausführenden Plattformen zu schaffen, existieren einige, wenige übergreifende Systeme für Advertiser und Agenturen, die dann auch das IO-Handling so weit wie möglich automatisieren und so Vergleichbarkeit der verschiedenen Plattformen und IO herstellen.
Im deutschsprachigen Markt existiert zudem bereits ein Buchungsstandard, der in seiner Grundlogik an AdCP erinnert: das Digital Booking Communication Format. DBCFM hilft, das IO-Business zu standardisieren, automatisieren und beschleunigen – und ist damit ein Effizienzbringer. Es ermöglicht, Deals auch ohne Programmatic-Setup und zugehörige Adtech-Kosten effizient umzusetzen (und damit rund ein Fünftel des Mediabudgets zu sparen…aber das ist ein eigener Artikel).
Kommt der Paid-Media-Autopilot?
Auch ohne AdCP sind durch die Nutzung von übergreifenden Management-Systemen und DBCFM bereits heute viele operativen Vorteile von AdCP in der Praxis abbildbar. AdCP verspricht darüber hinaus jedoch einen strukturellen Shift der Arbeitsweise im Advertising-Business. Denn im Zentrum stehen (möglicherweise) künftig Agenten, die Briefings empfangen, verstehen und challengen können, Mediapläne aufstellen, Transaktionen über AdCP abwickeln und schließlich Ad-Management und Reporting automatisiert übernehmen.
Zumindest theoretisch wäre so ein voller Autopilot-Modus für Paid Media absehbar. Praktisch stellen sich damit jedoch die bekannten KI-Fragen:
- Wer trägt am Ende die Verantwortung für Entscheidungen?
- Wer sorgt für Qualitätssicherung, Ethik, rechtliche Sicherheit?
- Und wie ist eine maschinell getroffene Entscheidung überprüfbar?
Inwieweit die eigentliche Mediaplanung – also das Kuratieren, Bewerten und Verhandeln von Inventaren – vollständig durch Agenten ersetzt werden kann, ist somit auf mittlere Sicht fraglich. Oder, wie es Christian Kaeßmann von der Plan Marken- & Mediaagentur treffend formuliert: „Wenn alles automatisierbar wäre, wäre Media kein Beruf mehr, sondern eine Rechenoperation. Technologie kann planen, aber sie kann nicht fühlen, was eine gute Entscheidung ausmacht. Das bleibt menschlich – und das ist gut so.“
Vielleicht liegt darin die Pointe: AdCP weist den Weg nach vorn, tritt aber möglicherweise genau den Beweis an, dass Media ohne menschlichen Input in Kreativität und Verantwortung nicht funktionieren wird.
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