US-Druck auf EU-Digitalpolitik: Umsetzung des DMA in Gefahr?
Anton Priebe, 4. Juli 2025
Die Europäische Union ist in den vergangenen Jahren mit Gesetzespaketen wie dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) als Vorreiterin in der Regulierung digitaler Plattformen aufgeblüht. Doch aktuelle Medienberichte stellen diese Positionierung infrage. Demnach könnte die EU-Kommission im Rahmen laufender Handelsgespräche mit den USA offen für eine flexiblere Umsetzung der Regulierung sein. Diese Gerüchte rufen die digitale Wirtschaft auf den Plan.
Der DMA ist seit März 2024 vollständig in Kraft und richtet sich an Gatekeeper-Plattformen wie Google, Apple, Meta, Amazon, Microsoft oder Bytedance. Er soll faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, marktverzerrende Praktiken eindämmen und Usern wie Anbietern gleichermaßen mehr Kontrolle über Daten und Zugänge ermöglichen.
Parallel dazu verhandelt die EU-Kommission mit den USA mit Blick auf die Zollkonflikte über ein neues transatlantisches Handelsabkommen. Im Zuge der Gespräche wird laut übereinstimmenden Medienberichten offenbar auch über regulatorische Spielräume bei der Durchsetzung des DMA diskutiert. So wurde sogar über Pläne eines gemeinsamen Ausschusses spekuliert, in dem die USA bei der Anwendung des DMA mitreden dürfen. Dies schreibt unter anderem die Süddeutsche Zeitung in Übereinstimmung mit dem Handelsblatt.
Austausch zwischen Politik und Big Tech findet bereits statt
Allerdings existiert ein solcher Austausch bereits – zumindest finden regelmäßig Gespräche zwischen Politik und Big Tech in “Stakeholder-Formaten” statt. Die Kommission bittet die Mega-Plattformen etwa im Rahmen von “DMA Stakeholders Workshops” an einen gemeinsamen Tisch. Das ist im DMA angelegt und gewollt. Dort heißt es im Erwägungsgrund 105: “In order to obtain a broad view of developments in the digital sector, the evaluation should take into account the experiences of Member States and relevant stakeholders.” Die relevanten Stakeholder sind logischerweise auch diejenigen, die reguliert werden. Ob in diesen Meetings mit Alphabet, Amazon & Co. vonseiten der USA Einfluss auf die konkrete Umsetzung des DMA genommen wird, bleibt jedoch mehr als fragwürdig.
Die Financial Times macht die Lobbyisten der Big Tech dafür verantwortlich, dass das Thema nochmals auf den Tisch kommt. Sie würden den DMA als “anti-amerikanisch” betiteln. Die britische Tageszeitung positioniert sich jedoch eindeutig dagegen und beschreibt den DMA als das “weltweit wirksamste Instrument zur Eindämmung des monopolistischen Alleingangs von US Big Tech”.
Digitalbranche schreibt offene Briefe
Mit dieser Einstellung steht die Financial Times nicht allein auf weiter Flur. Die Diskussion hat abseits der Medien insbesondere unter europäischen Digitalunternehmen für Aufmerksamkeit gesorgt. In einem offenen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz, der dem Handelsblatt vorliegt, sprechen sich Vertreter:innen mittelständischer Tech-Firmen gegen eine Aufweichung der geltenden Regeln aus. Sie warnen vor Sonderbehandlungen einzelner US-Konzerne durch die EU. Der DMA sei vielleicht die letzte Chance, “neue Geschäftsfelder von KI bis Robotik für die deutsche und europäische Wirtschaft zu erschließen”.
Einen ähnlichen offenen Brief richteten europäische Startup-Verbände nahezu zeitgleich direkt an Brüssel. Für Start-ups und Scale-ups in Europa sei der DMA “ein elementares Instrument, um faire Wettbewerbsbedingungen, Marktzugang und damit Innovation zu gewährleisten”, heißt es darin.
EU-Kommission unterstreicht ihre Position
Die EU-Kommission selbst betonte bislang, dass sie nicht zurückrudern oder Kompromisse eingehen wolle. So verdeutlichte Henna Virkkunen, Exekutiv-Vizepräsidentin für technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie aus dem EU-Parlament, bereits im April, dass die Regeln nicht aufgrund eines Handelsabkommens ausgedehnt werden sollen, wie der Guardian zu berichten weiß. Die Finnin versprach in einem Interview: “Wir sind unseren Regeln sehr verpflichtet, wenn es um die digitale Welt geht”.
Ähnliche Kommentare kommen dieser Tage wieder aus Brüssel. Man will sich in Sachen Digitalpolitik nicht erpressen lassen. Auf Nachfrage bei den Institutionen hat auch hierzulande keiner Kenntnis davon, dass der DMA Teil der Verhandlungsmasse sei.
Adtech-Industrie unter Hochspannung
Für die Adtech-Branche ist diese Debatte von zentraler Bedeutung. Geht es doch darum, die Macht der Plattformen einzudämmen, die auch den Werbemarkt dominieren. Dabei sind die Verhältnisse der tatsächlichen Nutzung der Dienste und der Investitionen in deren Werbeinfrastrukturen mittlerweile aus den Fugen geraten. In Deutschland fließen inzwischen beinahe drei Viertel der digitalen Werbebudgets zu Google, Amazon und Meta, wie eine Analyse von „Die Mediaagenturen“ nahelegt. Damit bleibt nicht mehr viel für den Rest des Werbeökosystems übrig.
Mit dem DMA sollen die Plattformen dazu bewegt werden, ihre Geschäftsmodelle anzupassen. Denn der DMA regelt unter anderem die Erhebung und Weitergabe personenbezogener Daten, plattformübergreifendes Tracking oder Priorisierungsmechanismen in Nutzeroberflächen. Seine Vorteile in diesem Bereich spielt Big Tech seit jeher für sich aus. Einige der Betroffenen wie Meta oder Apple wurden infolgedessen bereits im Frühjahr 2025 mit Bußgeldern in Höhe von über 700 Millionen Euro belegt, wie Reuters berichtet. Damit zeigte die EU, dass die EU-Regelung trotz transatlantischer Gespräche durchaus Durchsetzungskraft besitzt.
Der “Anfang vom Ende”?
Die kommenden Monate dürften darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang es zu tatsächlichen Anpassungen im Umgang mit dem DMA kommt. Ein mögliches Signal für die Branche könnte ein weiteres Transparenz-Update der EU-Kommission zur Gatekeeper-Compliance sein. Beobachter:innen rechnen mit einer neuen Bewertung im Laufe des Frühherbsts 2025, basierend auf dem bisherigen Veröffentlichungsrhythmus.
Derweil alarmiert Martin Andree, ehemaliger Henkel-Manager, Professor an der Universität Köln und Gründer des KI-Spezialisten AMP Digital Ventures, via Linkedin. Er betitelt die Entwicklung in einem Kommentar auf dem sozialen Netzwerk als den “Anfang vom Ende”. In seinem Post schreibt Andree: “Wenn die neue Bundesregierung bis zum Ende des Jahres nicht das Ruder herumreißt und gemeinsam mit der EU in die Konfrontation gegen Tech und die USA gehen, ist die Messe gesungen. Wir haben gesehen, wie schnell die Demokratie in den letzten Jahren erodiert ist. Wenn wir jetzt vier weitere Jahre verlieren, ist es endgültig zu spät.”
Unabhängig vom weiteren Verlauf zeigt sich, dass die Balance zwischen Regulierung, wirtschaftlichem Freiraum und globaler Wettbewerbsfähigkeit eines der zentralen Themen der europäischen Digitalpolitik ist und bleiben wird.
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