Vor der Personalisierung kommen die Hausaufgaben in Technologie
Anton Priebe, 11. November 2024Im digitalen Zeitalter stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Kunden individuell und gezielt anzusprechen – eine Aufgabe, die nur mit entsprechender Technologie zu bewältigen ist. Emarsys, ursprünglich als E-Mail-Dienstleister gestartet, hat sich zu einer umfassenden Marketing-Plattform entwickelt, die genau hier ansetzt. Philip Nowak ist Managing Director & SVP Revenue MEE von Emarsys und seit 15 Jahren an Bord des Unternehmens. Im Interview spricht er über die Technologien hinter der Plattform, die Bedeutung personalisierter Marketingstrategien und die heutigen Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenz. Außerdem gewährt Nowak Einblicke in die größten Herausforderungen seiner Kunden und wagt einen Blick in die Zukunft der Marketingtechnologie.
ADZINE: Hallo Philip, Emarsys wurde bereits im Jahre 2000 als E-Mail-Dienstleister gegründet – heute bietet ihr eine ganze Marketing-Plattform an. Welche Technologien stecken konkret in der Plattform?
Philip Nowak: Emarsys steht für E-Marketing-Systems. Man hat also damals schon erkannt, dass Marketing mehr ist als die E-Mail, wobei die E-Mail im Direkt- und Dialogmarketing auch heute noch eine der Kerndisziplinen ist, vor allem für die Neukundenakquise.
Wir beschreiben unsere Technologie als Omnichannel-Customer-Engagement-Plattform. Dabei geht es um die Verarbeitung von First-Party-Daten und deren Aufbereitung für Marketing-Zwecke. Dies beinhaltet die Datenanalyse und Insight-Generierung wie beispielsweise Predictive Analytics, aber auch die Segmentierung, Personalisierung und Automatisierung. Am Ende übernimmt die Plattform ebenfalls die Aussteuerung in die Kanäle und zwar nicht nur als E-Mail, sondern auch im Shop oder auf der Website, in der App, als SMS bis hin zum Retail-Store. Technologisch steckt dahinter also eine Datenplattform mit Anbindungen an alle verschiedenen Kanäle und die zugehörigen Personalisierungs-Engines.
ADZINE: Ihr bewegt euch mit euren Marketingmaßnahmen auch offsite, richtig?
Nowak: Richtig, wir arbeiten in dem Kontext mit dem Meta-Netzwerk und Google zusammen, haben aber zum Beispiel auch Partnerschaften mit Criteo geschlossen.
ADZINE: Ihr betreut ausschließlich Großkunden, hierzulande unter anderem Puma und den FC Bayern. Was sind deren größten Herausforderungen im Bereich Marketing?
Nowak: Die Herausforderungen sind sehr unterschiedlich. Puma als Hersteller und Händler will den direkten Kontakt zum Konsumenten. Im Kern geht es darum, einen loyalen Kundenstamm aufzubauen und zu halten.
Der FC Bayern hingegen verzeichnet eine extrem hohe Kundenloyalität, kann aber nicht alle der vielen Fans weltweit identifizieren und gezielt für sie werben. Außerdem steht der Verein im immensen Wettbewerb um die Freizeit der Kunden. Er muss es schaffen, dass die Menschen ihre Zeit bewusst mit einem Sportverein verbringen.
ADZINE: Liegt die Lösung bei beiden in der Personalisierung der Marketingmaßnahmen?
Nowak: Das ist ein wichtiger Bereich, ja. Personalisierung ist aber einer der letzten Schritte, um sich mit seinen Angeboten abzugrenzen.
Davor kommen die Grundhausaufgaben in Sachen Technologie. Beispielsweise muss der FC Bayern viele Technologien zusammenbringen, um eine einheitliche Erfahrung mit der Marke zu schaffen. Hier spielen unterschiedliche Ticketingsysteme und viele Sportarten wie Fußball, Basketball, Schach oder E-Sports eine Rolle.
Puma wiederum muss die Basis für schnellen Versand und die schnelle Verarbeitung im Kundenservice legen. Amazon hat die Erwartungshaltung geschaffen, dass bestellte Produkte teils noch am selben Tag geliefert werden. Wenn Puma nicht schnell genug ist und nicht gut auf Kundenanfragen reagiert, nützt die Personalisierung nur wenig.
ADZINE: Kann KI künftig dafür in die Bresche springen? Ihr habt KI ja selbst schon in verschiedenen Formen in eure Plattform integriert.
Nowak: KI kann Marketer dabei unterstützen, effektiver und effizienter zu arbeiten – also schneller und im Ergebnis besser zu sein. Diese Steigerung kommt vor allem in der Content-Erstellung zum Tragen. Allerdings muss die KI für Marketingtexte, Betreffzeilen oder Bildmaterial den Unternehmenskontext und die entsprechenden Rahmenbedingungen kennen. Die Daten müssen also verfügbar sein.
Außerdem kann eine KI dabei helfen, dass Marketer die richtigen Produkte finden, die sie für eine Kampagne benötigen. Eine Abverkaufskampagne an eine bestimmte Zielgruppe könnte zum Beispiel eine bestimmte Tool-Auswahl erforderlich machen, die präsentiert wird. Darüber hinaus investieren wir viel in den Bereich Conversational AI.
ADZINE: Im Sinne von Chatbots?
Nowak: Erweiterte Chatbots, ja. Wer mit Chatbots schon einmal zu tun hatte, weiß, dass die Ergebnisse oftmals wenig zielführend sind. Wir verwalten auf unserer Plattform jedoch bereits eine hohe Menge an First-Party-Daten mit dem nötigen Consent zur Verarbeitung, was uns Möglichkeiten an die Hand gibt, um intelligentere Chatbots zu realisieren.
Diese Bots können bei der Produktauswahl unterstützen und durch den gesamten Kaufprozess leiten, weil sie das Wissen über die Kunden mitnehmen können und dürfen. Zum Beispiel könnte so ein Chatbot den Vorschlag machen, einen Schuh nicht online zu bestellen, sondern in der Filiale einen Kilometer entfernt abzuholen, damit er schneller vor Ort ist – und dabei den Geburtstagsgutschein zu hinterlegen, der im Kundenkonto vermerkt ist. Dieses Level ist noch nicht erreicht, aber da wollen wir hin.
ADZINE: Wo liegt deiner Meinung nach der größte Hebel für Marketingtechnologie in Unternehmen?
Nowak: Natürlich könnte ich jetzt KI sagen, aber viele Unternehmen sind noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem sie KI tatsächlich sinnvoll einsetzen können. Viele Brands scheitern immer noch daran, eine gute Omnichannel-Marketing-Strategie zu fahren oder alle verfügbaren Daten zu nutzen.
Große Unternehmen müssen sich auf ihren Tech-Stack konzentrieren und mit einer Customer-Data-Plattform beschäftigen, die Marketingtechnologien wie eine Customer-Engagement-Plattform in die Lage versetzt, das zu tun, was die Marketer von ihr verlangen. Damit müssen sich die Unternehmen in den kommenden ein, zwei Jahren auseinandersetzen. KI kann das Marketing dann optimieren und besser machen.
ADZINE: Welche Entwicklung siehst du in der Marketingtechnologie am Horizont? Kannst du Trends ausmachen?
Nowak: Trends gibt es viele, aber es gehört auch dazu, sich mit der makroökonomischen Situation auseinanderzusetzen. Deutschland hat eine harte Zeit hinter sich und die hört nicht einfach auf. Es gab noch nie so viele Insolvenzen wie in den letzten sechs Monaten. Unternehmen müssen sich also strategisch anders aufstellen und ihr Wachstum anders planen. Konsumenten sind grundsätzlich kritischer und passen ihr Verhalten an. Der Euro sitzt eben nicht mehr so locker.
Außerdem ist Martech eine riesige Branche geworden. Für Marketer ist es extrem schwierig, zu verstehen, welche Tools sie brauchen und welche nicht. Eine Betrachtung der Websites der zehn größten Customer-Engagement-Plattformen hilft wahrscheinlich wenig dabei, Unterschiede und USPs herauszufinden. Unternehmen müssen der Technologie-Flut am Markt Herr werden und sich stetig fragen, welches Ziel sie damit verfolgen wollen. Wir sehen es auch bei unseren Kunden: Die sind teilweise gelähmt und treffen am Ende gar keine Entscheidung. Keine Entscheidung zu treffen ist manchmal jedoch schlimmer, als die falsche Entscheidung zu treffen.
ADZINE: Danke für das Interview, Philip!
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