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PROGRAMMATIC

Ein genauerer Blick auf die cookielose Ein-Prozent-Stichprobe von Chrome

Anton Priebe, 28. Mai 2024
Bild: CDC – Unsplash

Nach einigen Jahren Test- und Entwicklungszeit hat Google Anfang des Jahres damit begonnen, die Drittanbieter-Cookies tatsächlich abzuschalten. Seit dem vierten Januar lassen ein Prozent der Chrome Browser weltweit keine Third-Party-Cookies mehr zu. Dies eröffnet den Marktteilnehmern der Digitalwerbung Chancen, ihre Cookieless-Lösungen nicht nur im Labor, sondern live zu testen. Ein Unternehmen, das diese Chance wahrnimmt, ist der finnische Programmatic-Spezialist Relevant Digital. Dabei legt der Sell-Side-Experte ein besonderes Augenmerk auf die Monetarisierung der Zielgruppen. Im Interview erläutert Petri Kokkonen, CEO von Relevant Digital, wie aufschlussreich die Ein-Prozent-Stichprobe aus Chrome ist und wie gut Buy- und Sell-Side in Deutschland abschneiden.

Bild: Relevant Digital Petri Kokkonen, Relevant Digital

ADZINE: Hallo Petri, seit Januar sammelt ihr die Perfomance-Daten der Ein-Prozent-Stichprobe von Google Chrome. Welche Daten schaut ihr euch in dem Zusammenhang genauer an?

Petri Kokkonen: Unser Hauptinteresse liegt darin, zu verstehen, wie die Publisher es schaffen, diese Audience zu monetarisieren. Gleichzeitig versuchen wir, die andere Seite der Medaille zu beleuchten: wie die Käufer sich in die Lage versetzen und wann sie willens sind, diese Audience zu kaufen.

Wir konzentrieren uns vor allem auf die Preise (ecpm), die Websites mit dieser Audience generieren können. Wir gehen von der allgemeinen Ebene aus und tauchen dann tiefer in die Details ein, zum Beispiel ob der Wert des cookiefreien Inventars höher ist, wenn Chrome Topics signalisiert oder wenn ein Publisher eine Shared ID mit der Gebotsanfrage sendet. Natürlich tun wir dies, um herauszufinden, was funktioniert, um unsere Publisher-Kunden zu unterstützen und unser Produkt weiterzuentwickeln.

ADZINE: Gibt es, Stand heute, genug Daten, um aussagekräftige Prognosen für die Auswirkungen von Googles Schritt auf den Mediahandel zu stellen?

Kokkonen: Nein, definitiv nicht. Ich glaube, die größte Herausforderung besteht darin, dass auf der Buy-Side nicht genug Interesse an den cookielosen Audiences herrscht. Oder es mangelt an den Mitteln, um Kapital aus den alternativen Signalen zu schlagen. Und ich gebe hier nicht den DSPs die Schuld. Ich kann absolut nachvollziehen, dass die Umstellung einer DSP hin zur Optimierung auf neue Signale definitiv eine schwierigere Aufgabe ist, als das Senden neuer Signale auf der Sell-Side. Es könnte auch daran liegen, dass die Buying-Algorithmen Third-Party-Signale bevorzugen, solange es sie noch gibt.

Es ist jedoch eindeutig, dass nicht genügend Daten existieren, um zuverlässige Vorhersagen zu treffen. Dies deckt so ziemlich alle alternativen Optionen am Markt ab, von PAAPI über Topics bis hin zu Nicht-Google-Lösungen.

ADZINE: Welche Auswirkungen könnt ihr auf der Buy-Side in Deutschland erkennen?

Kokkonen: Ich weiß nicht, ob man speziell etwas zu den deutschen Einkäufern sagen kann. Das universelle Problem wird aber nicht das Targeting sein, da es dafür Alternativen geben wird, sondern die Messung der Kampagnen-Performance. Ich denke, dass wir einen kleinen Schritt zurückgehen müssen, weg von der detaillierten Attributionsmodellierung, die auf Third-Party-Cookies basiert. Aber diese Frage kann die Buy-Side sicherlich besser beantworten.

Natürlich muss die Buy-Side auch Zeit und Ressourcen in die Tests neuer Methoden investieren, ebenso wie die Publisher. Sie müssen in die Unterstützung und Schulung der für den Einkauf zuständigen Mitarbeiter investieren. Und auch eng mit DSP-Partnern zusammenarbeiten.

Werbetreibende mit vielen harten First-Party-Daten haben bereits damit begonnen, ihre Datenbanken mit Publishern abzugleichen, indem sie Data Clean Rooms nutzen. Dies wird weiter zunehmen, aber nicht alle haben genügend Daten dafür. Werbetreibende und Agenturen müssen ihr Augenmerk verstärkt auf die eigenen Daten und die First-Party-Daten der Publisher legen.

ADZINE: Wie sieht es auf der deutschen Sell-Side aus?

Kokkonen: Laut der Daten, die uns vorliegen, sieht es gar nicht so schlecht aus. Der Wert von cookielosen Audiences ist auch in Deutschland geringer, aber viele Publisher schlagen sich recht gut. Wir arbeiten hauptsächlich mit bekannteren Publishern zusammen, die eine “gesunde” Mischung aus verschiedenen Vertriebskanälen haben. Damit meine ich Direktgeschäft, Open Programmatic und PMPs beziehungsweise Deals. Wenn ein Publisher in der Lage ist, einen größeren Teil des Inventars durch Direktverkäufe und Deals zu füllen, ist nicht so viel Inventar für Programmatic verfügbar.

Das bedeutet, dass rund um das programmatische Inventar mehr Wettbewerb herrscht und sich so die Chancen erhöhen, bessere Preise mit diesem Inventar zu erzielen. Außerdem umfasst unsere Publisher-Stichprobe viele Publisher, die aktiv alternative IDs implementiert haben, was ihnen definitiv ebenfalls helfen wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es den deutschen Publishern bisher recht gutzugehen scheint.

ADZINE: Welche Rolle spielen alternative IDs, First-Party-IDs und kontextuelles Targeting in diesem Zusammenhang? Auf diese drei Säulen haben ja insbesondere die deutschen Publisher gesetzt.

Kokkonen: Alle spielen definitiv eine wichtige Rolle. Es ist nur ein wenig ärgerlich, dass die Buy-Side den von den Publishern bereitgestellten kontextuellen Signalen im Programmatic-Bereich keine hohe Priorität einräumt, zumindest nicht so oft, wie sie könnte. Es könnte sein, dass Misstrauen aus anderen Märkten hier noch mit hineinspielt.

Aber Contextual kann im Rahmen von Deals und Direct einen erheblichen Mehrwert stiften. Wie bereits erwähnt, gewinnen First-Party-Daten und alternative IDs an Beliebtheit und werden eine wichtige Rolle einnehmen. Die First-Party-Daten der Publisher werden immer wertvoll bleiben, allerdings ist Skalierbarkeit ein Problem. Höchstwahrscheinlich wird das auch so bleiben.

Das Gleiche gilt für alternative IDs, wobei die ID-Anbieter bereit sein müssen, ihre Lösungen an die Änderungen in den Browsern anzupassen. Vielleicht werden sie sich daher mehr und mehr auf eingeloggte User stützen als auf probabilistische Lösungsansätze.

ADZINE: Mit Blick auf eure Daten – wie lautet das Rezept für Publisher, um sich für 2025 zu wappnen?

Kokkonen: Feuern Sie Ihr Direktvertriebsteam nicht – Spaß beiseite. Unterstützen Sie Ihr Direktvertriebsteam und sorgen Sie dafür, dass es mit kontextbezogenen und First-Party-Daten-Lösungen gute Direktkampagnen und Deals anbieten kann. Unterstützen Sie sie mit Daten und Reporting und helfen Sie ihnen, neue Möglichkeiten für Direct-Sales und Deals zu schaffen, zum Beispiel mithilfe von ORTB-Daten.

Evaluieren und implementieren Sie weiter Shared-ID-Lösungen. Halten Sie sich auf dem Laufenden, was die Technologie zu bieten hat. Zum Beispiel führt die Sell-Side in der Adtech-Branche ständig neue Lösungen ein. GAM bietet in der Beta-Phase alles Mögliche an, wie die Publisher-Provided Signals und sichere Signale. Adform ID Fusion bietet Lösungen für Reichweite und Frequency Capping.

Stellen Sie sicher, dass Sie eine Lösung am Start haben, die Ihnen hilft, Ihre Erlöse im Verhältnis zur Audience zu analysieren. Sie müssen verstehen, wie gut Sie eine Third-Party-Cookie-lose Audience monetarisieren können und was die Performance erklärt. Lösungen, die Ihnen dabei helfen, werden nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft wichtig sein. Führen Sie Tests mit verschiedenen Arten von alternativen Datensignalen durch und versuchen Sie, optimale Lösungen zu finden.

ADZINE: Und was können die Buyer tun?

Kokkonen: Die Einkäufer müssen ebenfalls weiterhin in First-Party-Daten und Shared IDs investieren und sich mit Contextual vertraut machen. Aus meinen Gesprächen mit Agenturen weiß ich, dass wir alle einer Meinung sind, unabhängig ob Buy- oder Sell-Side: Es wird nicht die eine erfolgreiche Alternative geben, die alle Probleme löst. Wir müssen darauf vorbereitet sein, mehrere Taktiken gleichzeitig zu fahren, und dies könnte noch einige Jahre andauern. Generell hoffe ich, dass die Veränderungen auf unserem Markt Käufer und Verkäufer noch näher zusammenbringen werden.

ADZINE: Denkst du, dass die Adtech-Welt mit diesem Schritt ins Trudeln gerät? Oder wird alles halb so schlimm?

Kokkonen: Ich gehöre nicht zu denen, die gerne die Apokalypse heraufbeschwören. Die Veränderungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, sind zweifellos signifikant. Aber einige Naturgesetze werden Bestand haben. Wenn die Publisher in der Lage sind, ihre Audience zu halten, wird das Geld wie bisher in ihre Richtung fließen, auch wenn sich einige der Mechanismen dieses Flusses ändern werden.

Wer weiß, vielleicht ist dieser Umbruch gut für die Branche. Es ist nicht unbedingt nur schlecht, wenn wir in einigen Bereichen der Zielgruppenansprache und -messung ein paar Schritte zurückgehen.

ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch, Petri!

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