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KI in der TV-Planung – Ein Blick in die Zukunft aus dem Wupper Valley

Karsten Zunke, 27. March 2024
Bild: Bing KI

Kann Künstliche Intelligenz die Planung von TV-Kampagnen grundlegend verbessern? Diese Frage hat man sich beim Technologie-Anbieter SQL Service gestellt. Um dies zu klären, hat sich das Tech-Unternehmen an die Wissenschaft gewandt. Ein Forscher-Team des „Institute for Technologies and Management of Digital Transformation (TMDT)“ an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) hat auf Basis historischer Daten analysiert, inwieweit eine algorithmische Belegung von TV-Werbeinseln mittels künstlicher Intelligenz machbar ist. Das TMDT forscht im Bereich digitaler Technologien und versteht sich als ein Treiber der digitalen Transformation. Einige Ergebnisse waren erwartbar, andere überraschten sogar das Tech-Unternehmen SQL Service, das die nötigen Daten für die Machbarkeitsstudie bereitstellte. Welche Möglichkeiten sich aus den gewonnenen Erkenntnissen für die zukünftige TV-Planung ergeben und welche Schritte nun folgen könnten, darüber haben wir mit Miguel Alves Gomes, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am TMDT, und Jens Pöppelmann, CEO bei SQL Service, gesprochen.

ADZINE: Miguel, kommt es oft vor, dass Fragestellungen wie diese aus der Marketing-Praxis an euch herangetragen werden?

Miguel: Die digitale Transformation passiert überall, entsprechend forschen wir nicht nur im Marketingbereich. Anfragen erhalten wir auch aus der Automobilindustrie, aus dem Telekommunikationssektor, der Chemie oder auch aus der Luft- und Raumfahrt. Als Lehrstuhl für Technologie und Management Digital Transformation der Bergischen Universität Wuppertal sehen wir uns als Wegweiser, Begleiter und Treiber der digitalen Transformation. Wir stellen – gemeinsam mit unseren Anwendungspartnern – einen Transfer von der Forschung in die industrielle Wertschöpfung her. Das ist unsere Mission. Und entsprechend vielfältig ist unsere Forschung.

ADZINE: In der Machbarkeitsstudie habt ihr untersucht, wie KI zur Planung von TV-Kampagnen eingesetzt werden kann – insbesondere, wenn es darum geht, Werbeinseln optimal zu verplanen. Jens, kannst du kurz die speziellen Herausforderungen für die Planung erläutern, die euch zu dieser Studie veranlasst haben?

Jens: Momentan folgt die TV-Planung noch einem tradierten Modell. Agenturen erstellen klassisch einen Mediaplan und buchen in Werbeinseln ein, in denen sie die gewünschten Zielgruppen für ihre Kunden am besten erreichen. Aufgrund der festen Reservierung von Werbezeiten bleiben in der Regel auch Werbeposten frei. Vermarkter wiederum sind daran interessiert, ihre Werbeinseln optimal zu vermarkten und das Inventar bestmöglich zu nutzen. Hier kommt die Optimierung ins Spiel.

In unserem Fall wurde nur eine Kampagne betrachtet, was vergleichsweise überschaubar ist. Aber eine automatische Inselplanung muss natürlich noch viele andere KPIs berücksichtigen. Man hat es mit einer Vielzahl von Kampagnen zu tun, muss Konkurrenzausschlüsse beachten und vieles mehr. Es wird schnell sehr komplex, hier könnte KI sehr gut helfen. Der erste Ansatz, den wir mit dieser Machbarkeitsstudie untersucht haben, stimmt mich sehr optimistisch. Man sieht eine leichte Optimierung und muss nun schauen, wie man die Komplexität – wie zum Beispiel den Konkurrenzausschluss – dort einbringt, um mehr Optimierungen zu ermöglichen. Darüber hinaus spielen kontaktbasierte, digitale Ansätze eine zunehmende Rolle für die TV-Planung, was eine zusätzliche Komplexität ins Thema bringt.

Bild: SQL Jens Pöppelmann, SQL, und Miguel Alves Gomes, TMDT

ADZINE: Könntest du das bitte näher erläutern …

Jens: Programmatic TV spielt eine immer größere Rolle in der TV-Planung. Aber auch die Kombination von Video- und TV-Reichweite wird wichtiger. Diese Kombination sollte in einer Buchung möglich sein – beispielsweise sind Broadcaster mit einem Total-Video-Ansatz bereits in der Lage, Video-Reichweite und TV-Reichweite zu kombinieren. Doch eine Kombination bringt auch Herausforderungen mit sich. So hat man im linearen TV und im Videobereich unterschiedliche Währungssysteme. Wird dann beispielsweise der Videobereich unterliefert, muss aus der Videoreichweite in eine lineare TV-Reichweite umgerechnet werden. Denn die Frage ist, wie sich ein TKP verändert, wenn die TV-Reichweite erhöht wird – es ist letztlich eine Mischkalkulation. Diese Rechenarbeit ist aufwändig und wird händisch erledigt.

ADZINE: …also das ideale Einsatzfeld für KI…

Jens: Richtig. Perspektivisch werden Reichweiten unterschiedlicher Gattungen verstärkt kombiniert werden. Und ich bin davon überzeugt, dass KI in solchen Fällen bei der Verplanung und den damit zusammenhängenden organisatorischen Mechanismen sehr gut unterstützen kann. Diese Übersetzungsarbeit zwischen den Welten kann KI deutlich schneller erledigen als es ein Mensch könnte. Hier sehe ich viel Potenzial. So weit sind wir allerdings noch nicht. In der Machbarkeitsstudie wurde zunächst nur der erste Schritt auf diesem Weg untersucht. Aber perspektivisch müssen die Systeme dahin entwickelt werden, dass sie in der Lage sind, eine viel komplexere Planung als heutzutage zu ermöglichen. Im Moment haben wir auch nur die Verplanung einer Kampagne betrachtet. Wir stehen noch ganz am Anfang.

ADZINE: Miguel, wie seid ihr bei euerer Analyse vorgegangen?

Miguel: Unser Vorgehen ist stets anwendungsspezifisch. Im ersten Schritt versuchen wir, einen Überblick über die Daten zu erhalten. Die SQL hat uns dafür eine sehr gute Datenbasis bereitgestellt, die auch sehr gut dokumentiert war. Wir konnten daher direkt statistische Analysen fahren. Generell arbeiten wir bei solchen Projekten auch eng mit unseren Partnern zusammen. So hatten wir auch mit SQL begleitende Diskussionsrunden, in denen wir offene Fragen klären konnten.

Unter anderem ist uns aufgefallen, dass es in der Vergangenheit immer wieder zeitliche ‚Knubbelungen‘ von Spots eines Flight innerhalb eines Planlaufs gab. Daraufhin haben wir eine Metrik entworfen, um die Stärke dieses Effektes zu bestimmen und unsere KI später zu trainieren, diesen Effekt zu vermeiden. Im ersten Schritt haben wir mit dieser Machbarkeitsstudie nur die wichtigsten Informationen genutzt, um die Werbe-Verplanung einer TV-Insel darzustellen. Schritt für Schritt könnte man immer mehr Informationen einfließen lassen, um die KI für die TV-Planung weiter zu verbessern.

ADZINE: Welche KI habt ihr eingesetzt?

Miguel: Wir haben einen selbstlernenden KI-Agenten eingesetzt, der auf Reinforcement Learning basiert. Das bedeutet, dass er durch Erfahrung lernt und über Belohnungsfunktionen verfügt. Durch Explorieren der Möglichkeiten, erlernt die KI, wie sie zum Ziel kommt. Über ein Punktesystem können wir die KI zusätzlich für richtige Aktionen belohnen. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, trainieren wir mehrere KI-Agenten parallel.

ADZINE: Was waren die wichtigsten Ergebnisse euerer Untersuchung?

Miguel: Wir haben für diese Machbarkeitsstudie lediglich einen KI-Agenten eingesetzt, der in dieser Kampagne einfach alles verplant hat und das teilweise besser als das bisher genutzte Algorithmus-basierte System. Für die Praxis wäre es denkbar, dass jeder Werbekunde seinen eigenen KI-Agenten bekommt. Anhand seiner spezifischen Bedürfnisse kann man ihn über die Belohnungsfunktion anpassen. Aber auch aufseiten der Werbetreibenden kann ein spezifisch angepasster KI-Agent dabei helfen, die Wertschöpfung zu maximieren. Jede Seite könnte also eigene KI-Agenten nutzen, um ihre Werbeziele optimal zu erreichen. Das wäre unsere Vision. Schon diese erste Analyse hat gezeigt, dass es in der TV-Planung ein großes Potenzial für KI gibt.

ADZINE: Jens, teilst du diese Vision?

Jens: Ja, durchaus. Künftig wird man viele Kampagnen mit unterschiedlichen Zielsetzungen miteinander verhandeln müssen. Die KI kann auf die gewünschten KPIs trainiert und individuell für die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst werden. Egal ob das Ziel lautet, die Werbeinsel optimal zu füllen, die Zielgruppe optimal zu erreichen oder man beliebige andere KPIs setzt: Ich bin überzeugt, dass KI-Agenten sowohl für die TV-Werbe-Insel als auch für den Kunden den bestmöglichen Platz finden werden. Und zwar effizienter und besser, als dies heute ein Algorithmus leisten kann. Ein weiterer Effekt dürfte sein, dass es mehr Vielfalt in den Werbeblöcken geben wird, die besser ausgelastet und für die Zuschauer interessanter werden, was wiederum einen Uplift in den Umsätzen bewirken dürfte.

ADZINE: Wir haben bisher über lineares TV gesprochen. Wie siehst du einen möglichen KI-Einsatz für die CTV-Planung?

Jens: Auch für die CTV-Planung ließe sich KI sehr gut nutzen, das wäre dann aber nicht der gleiche KI-Agent. Da mehr Informationen zum jeweiligen Zuschauer vorliegen, würde es eher darum gehen, wie man seine Nutzer noch zielgerichteter erreichen kann. Richtig spannend wird es, wenn übergreifend geplant wird. Also wenn es darum geht, wie viel Werbung in CTV und wie viel im linearen TV geschaltet werden soll. Diese Abwägung könnte eine KI sehr gut leisten und dabei die unterschiedlichen Preismodelle automatisch berücksichtigen. Schnell und präzise.

ADZINE: Jens, für euch war es die erste Studie über den möglichen Einsatz von KI in der TV-Planung. Was nehmt ihr daraus mit?

Jens: Zunächst finde ich es sehr gut, dass wir die Möglichkeit haben, uns mit den Kollegen von der Uni lokal im ‚Wupper Valley‘ miteinander zu ergänzen und zu stärken. Es war ein erfolgreicher erster Schritt und wir werden noch weitere Schritte gehen.

ADZINE: Welche?

Jens: Die aktuelle automatische Inselplanung, die wir als SQL anbieten, basiert auf einem Algorithmus. Einen Algorithmus auf die komplexen künftigen Anforderungen anzupassen, ist aufwendig. Eine KI einzusetzen, könnte uns an dieser Stelle die Arbeit deutlich erleichtern, denn einmal angelernt, optimiert sich die KI selbst. In der aktuellen Analyse haben wir lediglich eine einzelne Kampagne betrachtet. Der nächste Schritt wäre daher, die Möglichkeiten der KI mit vielen konkurrierenden Kampagnen auszuloten.

Das ist mit einigen Herausforderungen verbunden, denn jede Kampagne ist anders, erfordert andere Konkurrenzausschlüsse, hat eventuell einen anderen Pay-Faktor und vieles mehr. Wenn zusätzlich unterschiedliche KPIs eine Rolle spielen, wie Performance oder auch eine Kontaktklassenoptimierung, sind dies sehr komplexe Voraussetzungen, die man einer KI mithilfe des Punktesystems zunächst beibringen muss. Sobald wir das kombinatorische Problem der zu berücksichtigenden Parameter gelöst haben, positive Ergebnisse sehen und noch mehr Zutrauen in eine KI haben, werden wir KI-Elemente in unsere TV-Planungslösung integrieren.

ADZINE: Miguel, was sind für euch die nächsten Schritte? Welche Forschungsprojekte stehen an?

Miguel: Wir werden insbesondere im E-Commerce-Bereich weiter forschen. Aber auch im TV-Bereich geht es weiter. Mit anderen Partnern untersuchen wir aktuell, wie man im CTV-Kontext die Conversion-Rate verbessern kann. Wir erarbeiten spezielle Methoden, um festzustellen, ob ein Kunde wirklich geklickt und gekauft hat, nachdem er eine bestimmte Werbung gesehen hat.

ADZINE: Jens, magst du abschließend eine Prognose wagen: Wohin geht die Reise in Bezug auf KI und TV-Planung?

Jens: KI wird die TV-Planung optimieren, und zwar besser als dies ein klassischer Algorithmus leisten kann. Es ist denkbar, dass dabei sogar verschiedene KI-Agenten eingesetzt werden, die auf die jeweiligen Bedürfnisse der beteiligten Marktteilnehmer angepasst sind und auf individuelle Ziele optimieren. Aber bei aller Technologie-Euphorie: Ich halte es für immens wichtig, dass KI nicht zur Blackbox wird. Das Handeln einer KI muss stets transparent sein. Man sollte stets mit gesundem Menschenverstand die Vorschläge einer Künstlichen Intelligenz hinterfragen. Das Belohnungsinstrument einer KI allein reicht aus meiner Sicht nicht aus.

Ich denke daher, dass der Mensch auch für künftige TV-Planungen immer eine Rolle spielen wird, aber ihm werden viele lästige Umrechnungsarbeiten abgenommen. Stattdessen wird er zum Kontrollinstrument der KI, das bei Bedarf jederzeit manuell gegensteuern kann.

ADZINE: Miguel, Jens – vielen Dank für das Gespräch.

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