Warum Media-Agenturen lieber Margen optimieren, als wirksame Kampagnen aufzusetzen
Anton Priebe, 12. February 2024WPP, Omnicom, Publicis, IPG, Dentsu und Havas – dies sind die sogenannten “Big Six” der Agenturwelt. Hinter den Netzwerken, die einen Großteil der ausgeschriebenen Media-Budgets unter sich aufteilen, stehen globale Konzerne mit Milliardenumsatz. Im Laufe der Zeit hat sich der Fokus der Agenturen zu sehr in Richtung Margenoptimierung verlagert – zulasten der Wirksamkeit der Kampagnen, meint Philipp Höntsch von Invendo. Nachdem der Volljurist bei Wavemaker (GroupM) selbst bereits Agenturluft geschnuppert hat, unterstützt er Marken heute mit seiner Media-Beratungsgesellschaft, mehr Transparenz in der Zusammenarbeit mit Agenturen zu schaffen. Im Interview erklärt Höntsch, warum es zu der übertriebenen Margenoptimierung gekommen ist, wieso es Zeit für neue Vergütungsmodelle ist und wie Marken auf Augenhöhe mit ihren Agenturen sprechen können.
ADZINE: Hallo Philipp, mit der Beratung Invendo wollt ihr Media-Budgets effektiver und zielgerichteter machen. Ist das nicht eigentlich die Kernaufgabe der Media-Agenturen?
Philipp Höntsch: Wir kommen selbst aus diesem Kosmos und haben festgestellt, dass ein Ungleichgewicht in der Beratung vorhanden ist. Die Preisoptimierung auf Agenturseite schlägt in Intransparenz um und man kann nicht mehr nachvollziehen, warum die Preise so sind, wie sie sind. Dass Preis eine Rolle spielt, ist völlig legitim. Aber wie sieht dann die Media-Leistung aus? Zahlt sie noch auf das ein, was sich ein Kunde von Media wünscht?
Das Stichwort lautet Wirksamkeit. Mein ehemaliger Chef Matthias Brüll hat kürzlich von der “Renaissance der Media-Wirksamkeit” gesprochen. Hier braucht es unserer Meinung nach ein Korrektiv aus dem Agentur-Kosmos, das die Prozesse kennt und wie ein Wirtschaftsprüfer den Finger in die Wunde legt. Denn das Gleichgewicht in der Beratung war mal vorhanden.
ADZINE: Warum haben die Agenturen vorwiegend Margenoptimierung betrieben, anstatt im Sinne der Kunden zu handeln?
Höntsch: Daran sind nicht nur die Agenturen schuld. Ich glaube, dass man auch auf Kundenseite sehr lange nur auf Preise geguckt hat.
Wir sprechen von den großen Agenturnetzwerken, von den sogenannten Big Six. Das sind Weltkonzerne, die in erster Linie auf Shareholder-Value gucken und schauen, dass die Margen stimmen. Im Prinzip sind dies Finance-Manager, die erstmal an sich selbst denken. Außerdem sind in den letzten 20 Jahren sehr viele kleinere Agenturen von diesen Networks übernommen worden, sodass die Vielfalt im Markt verloren gegangen ist.
ADZINE: Wie schaffen es nun die Werbetreibenden, gerade bei den großen Agenturnetzwerken mehr Transparenz in die Supply Chain zu bekommen?
Höntsch: Das ist die Krux. Von alleine schaffen die es nicht, was unter anderem der Konzernpolitik geschuldet ist. Neben dem Media-Entscheider gibt es auch immer noch einen Einkaufsentscheider. Solche abteilungsübergreifenden Prozesse können Jahre dauern, weil Ressourcen und der politische Rückhalt in den Konzernen fehlen.
Es mangelt zudem an Know-how, wie die Supply Chain aufgebaut ist und woher was kommt. Beispielsweise herrscht keine Klarheit, wie Eigeninventare erstellt oder an welchen Stellen Rabatte zwischen Agenturen und Vermarktern gewährt werden.
Außerdem ist es schwierig für Media-Entscheider intern zu argumentieren, dass die Wirksamkeit der Maßnahmen mit mehr Transparenz in der Kette gesteigert werden kann. Denn das ist vorab nicht direkt messbar. Deswegen versuchen wir unseren Ansprechpartnern Munition in die Hand zu drücken, mit der sie zum Einkauf oder direkt zum CMO gehen können, um beispielsweise die verbesserte Zielgruppenerreichung zu veranschaulichen.
ADZINE: Und dann sprecht ihr mit den Media-Agenturen des Kunden und fordert, dass sie offenlegen, was sie tun?
Höntsch: In Teilen schon. Wir möchten jedoch vielmehr ein Gleichgewicht herstellen und den Kunden mit der Agentur gemeinsam an einen Tisch bringen. Es ist nicht immer so, dass die Agenturen dies für eine fantastische Idee halten.
ADZINE: Ich würde sagen, die fühlen sich eher auf den Schlips getreten. Jetzt kommt jemand von außen und will ihnen den Job erklären.
Höntsch: Natürlich musst du manchmal diverse Hürden überwinden. Wir sind daher auch schon aus Projekten herausgeflogen.
Doch das Verständnis, dass es auf Dauer nicht funktioniert, ist vorhanden. Auch wenn noch ein Stück des Weges zu gehen ist. Die Kundenbeziehung soll schließlich langfristig und nicht nur auf zwei oder drei Jahre ausgelegt sein. Dafür muss man auf Augenhöhe miteinander sprechen.
Es geht ja auch nicht darum, dass die Agenturen nichts verdienen dürfen. Uns ist nur wichtig, dass offengelegt wird, woher die Einkommensströme generiert werden. Wenn beispielsweise eine Agentur Inventare der Publisher bündelt und für den Kunden einkauft, aber ihm nicht sagen kann, was drin steckt – dann ist das ein Problem.
ADZINE: Auf welche KPIs sollten die Media-Verantwortlichen auf Advertiser-Seite schauen?
Höntsch: Dem Unternehmen muss zunächst klar sein, auf welche Unternehmensziele Media-Maßnahmen überhaupt einzahlen sollen. Denn häufig ist deswegen auch den Agenturen nicht klar, welchen Zweck die Kampagnen erfüllen sollen.
Da wird dreimal die Woche auf den OTS, GRP oder die Impressions geguckt. Daraus kann ich ja nicht ableiten, wie dies auf die Unternehmensziele wirkt. Hier geht es um Kaufbereitschaft, Zielgruppendurchdringung oder eben Wirksamkeit.
Wirksamkeit wird wichtig, wenn ich als Marke meine Werte erfüllt bekomme. Wenn ich weiß, dass derjenige, der für mich in meiner relevanten Zielgruppe liegt, mich im Falle des Bedarfs direkt im Kopf hat. Das ist nicht mit der Durchsichtrate von Videos getan.
Klar sind die klassischen Media-KPIs zur objektiven Bewertbarkeit und zur technischen Evaluierung der Kampagne wichtig. Man sollte jedoch nicht nur auf die reine Reichweite oder Impressions gucken, sondern sich auch fragen, ob das Ganze funktioniert.
ADZINE: Mittlerweile verabschieden sich einige Agenturen von der stundenbasierten Abrechnung und rechnen nach Erfolg ab. Braucht es generell neue Vergütungsmodelle im Agenturbusiness?
Höntsch: Ja, definitiv braucht es die. Jahrelang war das Vergütungsmodell, dass es bestimmte Prozente auf TV- oder Digital-Honorare gab. Und dann konnte jeder machen, was er wollte. Es gab einen Mediaplan, der durchs Trading ging. Am Ende des Tages war der durchoptimiert und alles war gut.
Ich finde erfolgsbasierte Vergütungsmodelle grundsätzlich gut. Ich glaube aber auch, dass sie an vielen Stellen nicht richtig funktionieren. Wir sehen, dass immer mehr Agenturen wesentlich stärker in das Beratungsfeld gehen, auch in ihren klassischen Media-Abteilungen. Eine Beratung umfasst nicht nur die Planung einer Media-Maßnahme und deren Einkauf, sondern das Offenlegen jeglicher Vor- und Nachteile, das Aufzeigen der Optionen und Möglichkeiten, die der Kunde hat. Das kann man sicherlich stundenbasiert unterstützen.
Es ist wichtig, von dem Punkt wegzukommen, dass man eine Fee auf seine Media zieht. Davon können Agenturen de facto nicht mehr leben.
ADZINE: Hast du abschließend einen goldenen Tipp für Advertiser in Zusammenarbeit mit ihren Agenturen?
Höntsch: Glaub nicht alles, was man dir vorlegt. Überlege ganz genau, wie die vorgeschlagene Maßnahme auf deine Unternehmensziele einzahlt. Wenn du das nicht verstehen kannst, und wenn dir das nicht nachvollziehbar und faktenbasiert erklärt werden kann, dann ist das schon mal der erste Grund, hellhörig zu werden.
Der zweite Punkt ist, wenn du nicht nachvollziehen kannst, wie gewisse Preise zustande kommen. Und wenn du bei Reportings nicht auch auf Nummer 102 einer URL-Sitelist gucken darfst, dann frage dich, warum das so ist. Es gibt keinen Grund, warum das so sein sollte.
ADZINE: Schönes Schlusswort, danke für das Gespräch, Philipp!
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