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ADTECH - Data Driven Marketing vs. FOFO

Schleichender Bedeutungsverlust der deutschen Werbe- & Medienbranche

Olaf Peters-Kim, 18. September 2023
Bild: Meriç Tuna – Unsplash

In der Welt des Online-Marketings behaupten wir oft "datengetrieben" zu arbeiten – insbesondere, wenn es um die Themen Targeting und Tracking geht. Um individuell zugeschnittene Werbung auszuspielen, setzen wir auf eine Fülle von Technologien und Datenquellen: Von Datenmanagementplattformen (DMPs) über Cookies und Identifier bis hin zu First-Party-Daten, spezifisch definierten Zielgruppen (Audiences) und Data Clean Rooms. Bevor noch mehr Tools künstliche Intelligenz einsetzen und dadurch noch mehr Daten und Prozesse in immer größeren ‘Black Boxes’ verschwinden, sollten wir hinterfragen, ob wir alle Aspekte unserer Kampagnen tatsächlich datenbasiert umsetzen und ob es Bereiche gibt, die datentechnisch bisher übersehen oder nicht berücksichtigt wurden.

Daten „not available“ oder “Fear Of Finding Out” (FOFO)?

Bei all der Betonung auf datengetriebenem Handeln, warum konfrontiert uns der Alltag dann mit Folgendem?

  • Seit Jahren weisen Experten wie Dr. Augustine Fou, Tim Hwang und Bob Hoffman auf ein geschätztes Ad-Fraud-Volumen im Jahr von 70 Milliarden US-Dollar hin. Dieses wird u.a. durch Bots/Non-human Traffic, Click Fraud, Domain Spoofing, Cookie Stuffing, Geo Masking, Ad Injection, Ad Stacking und anderen verbreiteten Methoden verursacht.
  • Stop Funding Hate Now und das Check My Ads Institute weisen wöchentlich darauf hin, dass Budgets mit einem Volumen von mehreren Millionen Euro Organisationen und dubiose Seiten finanzieren, die Gewalt verherrlichen oder politischen Extremismus fördern und Kampagnen auf Webseiten mit minderwertigen Inhalten (MFA) laufen (in den USA laut der ersten ANA programmatic media supply chain transparency study 15 Prozent der Spendings).
  • Adalytics weist seit Ende letzten Jahres darauf hin, dass bei YouTube die eigenen Terms nicht eingehalten werden. Advertiser hätten dies aus den Reports nur schwer oder gar nicht feststellen können und es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um systematische Probleme. Zuletzt wurde Werbung für Erwachsene auf Kinderseiten ausgespielt. In Deutschland wird darüber kaum berichtet, obwohl deutsche Agenturen und Werbetreibende davon ebenso betroffen sind. Zum Glück ignorieren The Guardian, The Wall Street Journal und The New York Times sowie andere angloamerikanischen Fachmedien das Thema nicht.

Nach der Kampagne: Fokus auf datengetriebene Evaluation

Bei der Überprüfung von Werbekampagnen zeigt sich, dass der datenbasierte Ansatz oft nicht greift. An entscheidenden Schnittstellen, insbesondere bei großen Anbietern, verzichten wir sogar auf Daten. Dabei sind gerade diese Überprüfung und die anschließende Optimierung von zentraler Bedeutung für ein wirklich datengetriebenes Vorgehen. Wie können wir behaupten, datengetrieben zu arbeiten, wenn wir nicht einmal genau wissen, auf welchen Domains und Apps unsere “data driven” Kampagnen laufen? Ob die Ads überhaupt ausgespielt wurden? Die von uns propagierte Transparenz ist alles andere als zufriedenstellend.

Ein wesentlicher Grund für diese Misere liegt in der asymmetrischen Informationsverteilung. Große Plattformen spielen nicht mit offenen Karten und teilen nicht alle relevanten Informationen mit den Werbetreibenden und Agenturen. Und wenn diese Daten verfügbar sind, werden sie häufig nicht gründlich analysiert oder schlichtweg ignoriert.

Was machen wir eigentlich?

Und: die vermeintlich datengetriebenen Adtech-Strategien haben bisher den Fokus auf One-to-One-Advertising gelegt, in der Annahme, das Werbeumfeld sei nachrangig, solange die richtige Person erreicht wird. Diese Targeting-Methode hat jedoch nicht wie erwartet funktioniert, insbesondere angesichts strengerer Datenschutzregelungen. Eine Alternative besteht darin, den Schwerpunkt auf das Werbeumfeld zu legen, da hochwertige Websites ein qualitativ treffenderes Publikum versprechen, jedoch auch zu höheren Kosten führen. Das ursprüngliche Versprechen der programmatischen Adtech-Effizienz, Transparenz und Qualität wurde bisher nicht erfüllt. Stattdessen führen niedrige TKPs oft zu zweifelhafter Werbeplatzierung und den oben genannten Ad-Fraud-Problemen.

Es ist höchste Zeit, dass wir in der Branche eine offene Diskussion über unseren datengetriebenen Ansatz führen und darüber, was wirklich der Kern unserer Branche ist.

Tools wie SSPs, DSPs, DMPs, Cookies, Identifier und Data Clean Rooms sind keine Selbstzwecke; sie dienen dem Hauptziel unserer Branche: die Werbebotschaft effektiv an Menschen zu kommunizieren. Der Fokus auf Daten sollte demnächst dort priorisiert werden, wo wir den ROI überprüfen und verifizieren, dass Advertiser nicht hintergangen werden – wie es die Beispiele oben in großem Umfang zeigen. Nutzen wir die Daten, um transparent und aufrichtig zu arbeiten – und nennen wir uns dann gerne „Data Driven“.

Die Dmexco, als eine der führenden Messen für digitales Marketing, wäre der perfekte Ort dafür.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Olaf Peters-Kim Über den Autor/die Autorin:

Olaf Peters-Kim hat mit seinem Partner Philipp Dommers die Welect GmbH gegründet. Davor war er zehn Jahre CFO der Mediacom und seit 1998 bei der Grey Global Group Middle Europe in verschiedenen Positionen beschäftigt. Seit der Gründung arbeitet Welect daran, das Prinzip des mündigen, selbstbestimmt agierenden Nutzers auf den Werbekonsum im Internet zu übertragen.

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