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ECOMMERCE

Die Zukunft des Retail: Plädoyer für einen datengetriebenen Dialog mit der Kundschaft

Markus Nagel, 20. Juli 2023
Bild: Daniel Lonn - Unsplash

Es ist eine disruptive Zeit. Niemand kann bestreiten, dass die aktuellen Entwicklungen der wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen erfolgreiches Online-Marketing massiv verändern. Interessanterweise sind die grundlegenden Wahrheiten keineswegs neu.

So braucht es meist mehrere Käufe, um die Kosten für die Gewinnung neuer Kund:innen zu amortisieren. Darüber hinaus ist die Nutzung eigener Daten zur Funneloptimierung oder Useraktivierung seit jeher kostengünstiger, als die ständige Akquise neuer User. Doch seien wir ehrlich: Die Akquise neuer Kund:innen, der Kauf von Traffic und Targeting über Third-Party-Daten waren die low-hanging fruits. Sie brachten schnelles Wachstum, erforderten kaum Ressourcen (abgesehen von Geld) und waren bis zu einem gewissen Level recht unkompliziert.

Die Zeit des billigen Geldes ist eindeutig vorbei. Viele Retailer stehen ökonomisch stark unter Druck – sei es vom Markt oder von ihren Investoren. Technische Grenzen werden ebenfalls immer deutlicher. Seit Datenschutz von zentralen Marktakteuren wie Apple oder Google erkannt wurde, werden zunehmend Grenzen geschaffen, die nicht mehr einfach umgangen werden können. Schauen wir also nach vorn und nicht zurück. Die Bindung der Kundschaft und die Nutzung eigener Daten sind nun die entscheidenden Treiber für Wachstum. Trotzdem bleiben die Methoden oft erstaunlich einfallslos. Personalisierung beschränkt sich häufig auf Up- und Cross-Sell-Empfehlungen. Darüber hinaus gibt es breit gestreute Rabatte und eine Kommunikation nach dem Motto „Viel hilft viel“. Was fast immer fehlt, ist ein tatsächlicher Dialog. Die Marketing- und Datenstrategien der neuen Welt beruhen noch auf Ideen der alten.

Wertvolle Daten durch gezielten Austausch und emotionale Bindung

Dialog bedeutet Austausch. Im Bereich der Daten spricht man von Zero-Party-Data, ein Begriff, der von Forrester geprägt wurde. Dabei handelt es sich um Daten, die vom User bewusst und aktiv zur Verfügung gestellt werden – z.B. durch einen Fragebogen. Natürlich ist es eine größere Herausforderung, diese Daten zu erhalten, als bei klassischen First- oder Third-Party-Daten. Allerdings zeichnen sie sich durch eine herausragende Datenqualität aus, da man nicht erst mühsam ermitteln muss, welche Präferenzen sich eventuell im Nutzungs- und Kaufverhalten zeigen könnten. Zudem bieten sie einen weiteren Vorteil: die emotionale Wirkung eines bewussten Austauschs.

Beziehung mit seiner Kundschaft mag keine Freundschaft sein, dennoch steckt in einer guten Bindung viele Emotionen. Nicht zuletzt deshalb setzen große und erfolgreiche Marken genau darauf. Emotionale Bindung bedeutet eine tiefere Verbindung, die nicht rein auf ökonomischen Faktoren wie z.B. Rabatten beruht. Auch Marketing basiert auf Emotionen. In klassischen Datenstrategien spielen sie jedoch nur eine Rolle, indem über Daten ermittelt wird, bei welchen Themen eine emotionsbasierte Kommunikation Erfolg haben könnte. Die Emotion eines Austauschs ist eine andere. Besonders wichtig ist hier das Gefühl, wahr- und ernst genommen zu werden, denn es handelt sich um eine persönliche Investition in eine Sache. Natürlich kann dies durch klassische Maßnahmen wie Rabatte zusätzlich gefördert werden. Dennoch besteht ein Unterschied, ob man einen Rabatt einfach so erhält oder als Belohnung für eine bewusste Investition – allein schon, weil die Person sich im zweiten Fall intensiver damit auseinandersetzt.

Zero-Party-Data: Nutzerbindung und Datenabfrage durch gezielte Feedback-Kanäle

Das klassische Beispiel für die Sammlung von Zero-Party-Data ist ein Fragebogen. Dabei kann der Begriff weit gefasst werden. Relevante Daten sind nicht nur Antworten auf Fragen, sondern auch Entscheidungen bei mehreren verfügbaren Optionen. User können so kommunizieren, was sie interessiert, was ihnen gefällt und was sie sich wünschen. Wenn man also bei relevanten Fragen lediglich an Alter und Geschlecht denkt, kann man einen Schritt weiter gehen und Fragen direkte und konkret nach Interessen und Meinungen stellen.

Durch diese Herangehensweise fühlen sich Nutzer im Idealfall bereits abgeholt. Allerdings findet noch kein wirklicher Austausch statt, wenn die Information fehlt, wofür diese Daten konkret genutzt werden sollen. Insofern kann die Gewinnung dieser Daten schwer sein. Ein Feedback-Kanal stärkt hingegen die Beziehung und erleichtert die Datenabfrage. Hier zwei Beispiele, wie Feedback des Users zu mehr Bindung führt:

Effektives E-Mail-Marketing: Personalisierte Kommunikation durch gezielte Segmentierung und Interessenabfrage

Ein effektives E-Mail-Marketing segmentiert User und passt die Kommunikation an die Interessen und Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe an. Häufig basiert diese Segmentierung auf dem Nutzerverhalten. Wenn jemand zum Beispiel einen Harry Potter Schal gekauft hat, wird er dem Verteiler für Harry Potter Produkte zugeordnet. Allerdings könnte es sein, dass der Schal nur ein Geschenk war und das eigene Interesse eher bei Star Wars liegt. In solchen Fällen kann dies zu Frustration führen. Statt zu raten und möglicherweise falsch zu liegen, kann man Empfänger einfach danach fragen, was sie interessiert. Dies ist nicht einmal besonders aufwändig und erfordert lediglich einen kurzen Dialog im Prozess der Newsletter-Anmeldung, indem mehrere Newsletter-Optionen zur Auswahl gestellt werden (maximal 5-6). Im Verlagswesen wird dies schon lange genutzt, im Retail noch eher wenig. Wer einen Schritt weiter gehen möchte, kann sogar die Häufigkeit des Newsletters zur Auswahl stellen. So wird eine stärkere Bindung zu den später empfangenen E-Mails aufgebaut – man hat sich schließlich sehr bewusst für sie entschieden.

Bewertungen mit Mehrwert: Der Weg zu echtem Austausch und kontinuierlicher Verbesserung

„Deine Meinung ist uns wichtig!“, heißt es gern bei der Bitte um Bewertungen. Meist ist dies tatsächlich so. Aber es bedeutet nicht zwingend, dass der User das auch so wahrnimmt. Geht es nicht vor allem um eine 5-Sterne-Bewertung im App Store oder einen hohen Net Promoter Score? Das Interesse an einem echten Austausch kann durch Konkretisierung und einen entsprechenden Rückkanal untermauert werden. Man erfragt also nicht nur die allgemeine Meinung, sondern bittet zusätzlich um Feedback zu konkreten Punkten. „Wir möchten unsere Website optimieren. Welchen Bereich sollten wir deine Meinung nach zuerst angehen?“ So bindet man User ein und ergänzt sinnvoll die Informationen, die man bereits aus den Nutzungsdaten ziehen konnte. Ist man außerdem transparent, was Ergebnisse und Maßnahmen angebt, erhält man eine ideale Grundlage für unaufdringliches Marketing: „Unsere letzte Umfrage hat ergeben, dass 40 Prozent unserer Kundschaft den Checkout-Prozess zu umständlich fanden. Deshalb haben wir ihn optimiert. Wie findest du die Änderungen?“ Erneut liefert der Kunde nicht nur wichtige Daten, sondern hat zusätzlich das Gefühl, ernst genommen zu werden.

Diese Maßnahmen sind kein Ersatz für andere Marketingmaßnahmen, sondern vor allem eine sinnvolle Ergänzung. Sie sind nicht besonders aufwändig, verändern aber die Beziehung zum User. Eine gute Customer Relationship unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt nicht von anderen Arten von Beziehungen: Kommunikation ist entscheidend. Und Kommunikation darf nicht bedeuten, dass nur einer redet oder dass beide aneinander vorbeireden. Also treten Sie also in einen echten Dialog mit Ihren Kunden. Stellen Sie Fragen und seien Sie ein guter Zuhörer. Das erfordert natürlich ein Umdenken und etwas Geduld, das steht außer Frage. Aber so ist das nun mal in Beziehungen.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Markus Nagel Über den Autor/die Autorin:

Markus Nagel studierte Politikwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Nach seiner Ausbildung arbeitete er beim Customer Analytics-Spezialisten Webtrekk, wo er ab 2017 als Head of Consulting den Beratungsbereich für Digital Analytics leitete. Nach der Webtrekk-Übernahme durch Mapp, dem führenden Anbieter für Insight-basiertes Customer Engagement, wechselte Markus Nagel in den Beratungsbereich der Gesamtgruppe und verantwortet seit 2019 die Abteilung Strategic Data Consulting. Markus Nagel verfügt über eine umfangreiche Expertise für datenbasierte Online-Geschäftsmodelle und wirkte maßgeblich bei erfolgreichen Beratungsprojekten u. a. für Zalando, MyToys, Hornbach, Erste Bank und Bechtle mit. Dabei zeichnet sich Markus Nagel durch seinen besonderen Beratungsschwerpunkt zur Entwicklung von Langzeit-Nutzern sowie Kohorten-Analysen aus.

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