Werbefinanzierte Streamingdienste sind en vogue und die Advertising-Welt freut sich über einen verloren geglaubten Touchpoint mit den Konsumenten auf dem Big Screen. Allerdings schotten sich die großen Content-Anbieter im digitalen TV zunehmend ab und suchen sich ihre Technologie-Partner sehr gezielt aus. Bis dato sehen die Werbetreibende eher kleine Inseln, die an Walled Gardens erinnern und nicht übergreifend angesteuert werden können. Stehen wir mit Connected TV (CTV) vor einem Trial&Error-Markt, in dem “blind” getestet werden muss, was funktioniert? ADZINE hat bei Advertisern und Agenturen nachgefragt.
Es ist gar nicht lange her, da verkündete Netflix, die werbefinanzierte Version seines Streamingdienstes gemeinsam mit Microsoft zu realisieren. Der Konzern, oder vielmehr seine neue Tochter Xandr, wird sich um die Infrastruktur kümmern, damit die Werbewelt Anschluss an das heiß begehrte Inventar erhält. Dies ist ohne Frage eine sinnvolle Entscheidung, da sich Netflix selbst nicht mit Werbetechnologie auskennt. Doch folgt der Platzhirsch des Streamings damit einem Muster in der CTV-Landschaft.
Das Muster setzt sich zusammen aus Content-Anbietern und Adtech, die meist exklusiv zusammenarbeiten, um Infrastruktur für Advertising zu liefern. Oder noch “besser”: Sie betreiben die nötige Technologie direkt inhouse. An der Stelle seien nur einige Beispiele exemplarisch genannt. Da wäre neben Netflix und Xandr etwa der Gigant Comcast mit seiner Konzerntochter Freewheel, die fleißig am digitalen Fernsehen schraubt. Streaminganbieter Roku hat sich frühzeitig die Demand-Side-Plattform (DSP) Dataxu einverleibt und seine eigene Advertising-Plattform daraus geschaffen. Amazon verfügt ebenfalls über eine eigene DSP für seinen neuen, werbefinanzierten Dienst Freevee. Selbst Google ist mit Youtube in CTV aktiv und nicht gerade das Paradebeispiel dafür, wenn es darum geht, Mauern einzureißen und seine Walled Gardens zu öffnen.
So weit über den großen Teich müssen wir aber gar nicht blicken, um Beispiele zu finden. Auch in Deutschland kristallisiert sich dieser Trend heraus. Im Bereich Addressable TV (ATV) beispielsweise hatten die TV-Sendergruppen ProsiebenSat.1 und RTL mit D-Force zum Start bereits einen gemeinsamen "technischen Enabler" für ihr programmatisches TV-Inventar gegründet. Der vermarkterübergreifende Zugang erfolgt heute noch exklusiv via der DSP Active Agent aus dem Virtual-Minds-Portfolio (das zu Prosieben gehört).
Grund zur Panik unter Advertisern? – Au contraire
Walled Gardens sind nicht per se neu. Aber es macht den Anschein, als ob die ohnehin sehr fragmentierte CTV-Landschaft in die falsche Richtung steuert. Insbesondere mit Blick auf den programmatischen Zugang zum Inventar, der vereinfachen soll und sicherlich in nicht allzu ferner Zukunft zum Standard in CTV avanciert. “Die Anbieter, die sich für den Silo-Ansatz beziehungsweise Walled Gardens entscheiden, tun sich keinen Gefallen”, sagt Andreas Billker, Senior Market Activation Manager Pringles DACH von der Kellogg Company. “Denn die Werbetreibenden erwarten Transparenz für ihre Investments und einheitliche Metriken. Wenn Anbieter jedoch auf den Silo-Ansatz setzen, wird es schwer, diese Erwartungen zu erfüllen.”
Sven Markschlaeger, Chief Digital Officer von Krombacher, geht noch einen Schritt weiter. “Abschottung ist immer ein Zeichen von Schwäche und zeigt einen Mangel an Entwicklungsfähigkeit”, urteilt er hart. “Kann man machen, solange es keine Alternativen gibt. Die Geschichte hat aber gezeigt, dass es für die Platzhirsche dann oft zu einem jähen Ende führt.” Ihm gehe es immer darum, die gewünschte Zielgruppe mit der richtigen Intensität zu erreichen. Sollte das nicht übergreifend funktionieren, suche er nach Alternativen. “Werbung muss nicht nerven”, so Markschlaeger.
Dr. Daniela Tollert, Chief Growth Officer vom Agenturnetzwerk GroupM, sieht hingegen überhaupt kein Problem bei der derzeitigen Marktsituation. Trial&Error kommt ihr dabei offensichtlich nicht in den Sinn. “Ich sehe das anders. Einerseits stellt die Fragmentierung von CTV-Inventaren bezüglich ihrer unterschiedlichen und multiplen Angebotsquellen eine Herausforderung dar, andererseits sind wir in der Lage, mit unserer eigenen Technologie eben diese CTV-Angebote zu bündeln und über die Inventargrenzen einzelner Content-Anbieter auszusteuern.” Die Agentur arbeitet dafür direkt mit den Broadcastern zusammen.
Zurückhaltung vs. Mitgestaltung
Falls sich die Struktur im CTV-Markt jedoch tatsächlich in die falsche Richtung entwickeln sollte, scheint keiner der drei beunruhigt. Billker gibt sich entspannt, denn CTV muss seiner Meinung nach nicht Teil des Mediamix sein. “Wenn es um Investitionen in den CTV-Touchpoint geht, könnten die Werbetreibenden zurückhaltend reagieren. Schließlich gibt es bei der Vielzahl an Touchpoints genug Alternativen, um den Konsumenten zu erreichen.”
Markschlaeger rät zum Testen, sich “die Kirschen” herauszusuchen und weiterzuentwickeln. “Wir müssen verstehen, dass wir mit unserm Werbebusiness die Grenze der Erträglichkeit beim Konsument erreicht haben. Noch mehr, noch ungezielter treibt die Menschen nur noch weiter in Subscription-Modelle, die komplett werbefrei sind und uns vom Kontakt mit dem Verbraucher abschneiden.”
Laut Tollert sollten die Mediaeinkäufer den Markt im Auge behalten und stets ihre Chancen bewerten. “Aktuell ist es ein Käufer-Markt und wer am besten skalieren kann, gewinnt”, so die Mediaexpertin. “Des Weiteren gilt es gemeinsam an Standards zu arbeiten, die wir als Medienhaus insbesondere für die Inventar-übergreifende Aussteuerung von Kampagnen mitgestalten wollen.”
Auf CTV-Standards hoffen wohl alle Marktteilnehmer. Die Möglichkeit zum Mitgestalten hängt wiederum vor allem von den Content-Lieferanten ab. Schließlich kontrollieren sie die Zugänge zu ihren Inhalten.
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