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ADTECH

Blockchain im Digital Advertising – Viele Ideen, keine Revolution

Karsten Zunke, 18. Mai 2021
Bild: Edge2Edge Media – Unsplash

Seit einiger Zeit ist das Thema Blockchain wieder in aller Munde: Nicht nur wegen der rasanten Entwicklung des Bitcoins, sondern weil die Blockchain dabei helfen kann, einen Weg aus der Lockdown-Endlosschleife in die Normalität zu eröffnen: IBM und die Kölner Firma Ubirch, ein Spezialist für Blockchain-basierte Cybersecurity, erhielten Anfang März den Zuschlag, einen digitalen Impfnachweis für Deutschland zu entwickeln. Mit Kryptografie und Blockchain-Technologie soll eine datenschutzfreundliche, digitale Abbildung des Impfstatus möglich werden. Um den Impfnachweis fälschungssicher zu machen, sollen gleich mehrere Blockchains genutzt werden. Während dieser Anwendungsfall im Gesundheitsbereich in den kommenden Wochen wohl immer mehr Gestalt annehmen und für Aufsehen sorgen wird, bleibt im Mediageschäft alles beim Alten.

Noch vor fünf Jahren ging man davon aus, dass die Blockchain das komplette digitale Werbeökosystem umkrempeln wird. Heute weiß man: Die große Revolution fällt aus. Zu viele Player, zu viele Verflechtungen, zu viele Technologien. „Die Fantasien, mit der Blockchain ein neues Werbeökosystem zu erschaffen, sind verflogen“, sagt Oliver von Wersch. Sein Beratungsunternehmen Vonwerschpartner Digital Strategies hatte vor knapp eineinhalb Jahren im Auftrag der OWM eine Studie zur Relevanz ausgewählter Anwendungsszenarien der Blockchain-Technologie für das digitale Mediageschäft durchgeführt. Schon damals waren die Sympathien groß, aber es haperte bei der Umsetzung. Und so ist es bis heute geblieben. Nur vereinzelt gab es Modellprojekte.

Blockchain für Fraud-Bekämpfung sinnvoll

Bild: Raimar von Wienskowski Oliver von Wersch, Vonwerschpartner

„Das Werbeökosystem ist technologisch sehr stark verflochten, man müsste alle Beteiligten unter einen Hut bekommen“, erläutert von Wersch die Problematik. Soll zum Beispiel die Blockchain für die Attribution oder kampagnenübergreifende Messungen eingesetzt werden, müssten sich alle Beteiligten auf eine Blockchain-Lösung verständigen. Doch was für eine Mediaagentur für einen Werbekunden bei einer begrenzten Anzahl von Publishern noch denkbar ist, wird schnell uferlos, wenn weitere Kanäle und weitere DSPs und SSPs hinzukommen. Sie alle müssten sich auf eine Blockchain-Lösung verständigen. Laut der Marketing Technology Landscape von Chiefmartec gibt es aktuell mehr als 8.000 verschiedene Martech-Lösungen, davon sind knapp 1.000 Advertising- und Promotion-Technologien. Das Programmatic Advertising hat daran einen nicht unwesentlichen Anteil. „Als Ganzes lässt sich das Programmatic-Advertising durch die Blockchain nicht reformieren“, sagt von Wersch. Gleichwohl sieht der Experte aber sinnvolle Anwendungsfälle. „Für die Fraud-Bekämpfung und transparente Lieferketten kann eine Blockchain hilfreich sein“. Dass dies in der Praxis umsetzbar ist, zeigte kürzlich ein Modellversuch.

Pilotprojekt zeigt Möglichkeiten der Blockchain

Die Trustworthy Accountability Group (TAG) hat im Herbst vergangenen Jahres ein zwölfmonatiges branchenübergreifendes Pilotprogramm abgeschlossen, mit dem die Machbarkeit und die potenziellen Vorteile der Distributed Ledger Technology (DLT) bewertet werden sollten, um das Vertrauen und die Transparenz in digitale Werbung zu erhöhen. Die Blockchain ist der bekannteste Anwendungsfall einer solchen dezentralen Datenbank (distributed ledger). Teilnehmer des Projektes waren zahlreiche große Marken (u.a. Nestle, Telefonica) sowie Agenturen wie GroupM, Havas, IPG, Mindshare, OMD und Zenith sowie mehr als 15 bekannte Adtech-Anbieter und Verlage in nahezu allen Segmenten der Media-Lieferkette. Es wurden Datenfeeds erfasst, die sich über DSPs, SSPs, Content Verification Tools und Publisher erstrecken. Im Rahmen des Pilotprojektes analysierte man 112 Millionen Impressionen im Wert von 1,4 Mio. GBP in 127 Kampagnen.

TAG zufolge konnte demonstriert werden, dass die Lieferkette transparent abbildbar ist. Mit der eingesetzten Blockchain-Technologie konnten die Daten auf Impression-Log-Ebene zu einem gemeinsamen Format harmonisiert werden. Auch die Unveränderlichkeit, Sicherheit und der Schutz der Daten waren demnach gewährleistet.

Anhand einer Reihe von Metriken, die zwischen mehreren Anbietern abgeglichen wurden (z.B. Messbarkeit, Sichtbarkeit, Markensicherheit etc.), konnten die Teilnehmer ihre Kampagnen validieren, was zur Optimierung der Lieferketten beitrug. Auch wurde erfolgreich getestet, wie intelligente Verträge Geschäftsprozesse zwischen Anzeigenkäufern und -verkäufern automatisieren können. „Unser Pilot zeigte vielversprechende Möglichkeiten für eine DLT-Plattform, einschließlich des Potenzials, eine 'Shared Truth' zu erreichen, bei der dieselben Daten in der gesamten Lieferkette als valide und genau anerkannt werden“, kommentierte TAG-Europa-Chef Jules Kendrick.

Blockchain bringt Transparenz in Lieferketten

Bild: D2G Oliver Weiss, D2G

Oliver Weiss sieht ebenfalls in Bezug auf eine transparente Media Supply Chain einen sinnvollen und praktikablen Anwendungsfall für die Blockchain. Weiss ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens D2G und auf digitale Media-Lieferketten spezialisiert. „Die ersten Use-Cases mit Blockchain im Marketing waren komplett falsch aufgesetzt“, so der Experte. So wurde anfangs versucht, jede einzelne Ad Impression in die Blockchain zu schreiben. Ein Vorgehen, das nicht nur viel Energie und Ressourcen erfordert, sondern auch schnell auf Latenzprobleme stößt. Das gesamte Werbeökosystem in Echtzeit in der Blockchain up to date zu halten, ist nicht machbar. „Statt jede Ad Impression in die Blockchain zu schreiben, sollte die Zusammenarbeit von Vertragspartnern im digitalen Marketing in der Blockchain dokumentiert und unveränderbar gemacht werden“, sagt Weiss. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung, um Transparenz in die digitale Media Supply Chain zu bringen. Beispielsweise umfasst eine programmatische Media-Lieferkette häufig fünf Parteien: Agentur Adserver, DSP, SSP, Publisher Adserver und einen Verification-Partner. „Alle fünf Parteien müssen sich auf eine Art technisches Rohdatenformat verständigen und dieses Datenformat regelmäßig zum Download bereitstellen, zum Beispiel täglich oder sogar stündlich“, erläutert Weiss. Auch auf die Sichtbarkeitsparameter müssen sich alle Partner vertraglich einigen.

Ein solches Vorgehen praktiziert beispielsweise Aqilliz, ein Blockchain-Lösungsanbieter aus Singapur. Das gemeinsame Datenformat der beteiligten Projekt-Partner enthält unter anderem Auction-ID, IP-Adresse, Zeitstempel und technische Angaben. Mithilfe eines Verification-Partners werden die Kriterien für die Sichtbarkeit festgeschrieben. Alle Informationen der Lieferketten-Partner laufen auf der Aqilliz-Plattform zusammen, werden dort validiert und in eine Privat-Blockchain (Zilliqa) geschrieben, die nur den beteiligten Vertragsparteien zugänglich ist. „Auf diese Weise wird auf Basis echter Ad Impressions eine zentrale Wahrheit geschaffen, auf der nachgelagerte Prozesse aufsetzen können, zum Beispiel die komplette Media-Abrechnung“, erklärt Weiss.

Für ein Tracking ohne Third-Party-Cookies kann die Blockchain ebenfalls eingesetzt werden. Allerdings ist die technische Umsetzung komplex. Grob vereinfacht läuft es so: Advertiser und Publisher arbeiten zusammen und einigen sich auf einen gemeinsamen Verschlüsselungs-Algorithmus. Der Advertiser fragt die Identifier zum Targeting seiner Zielgruppe über einen sogenannten Federated Query Server innerhalb einer Privat-Blockchain bei einem Publisher an. Dort wird nun abgeglichen, welche der verschlüsselten Werte bei beiden vorkommen – also beim Publisher und beim Advertiser. Der Advertiser kann dann die gematchten verschlüsselten Werte aktivieren. Daraufhin wird die Liste der IDs an DSP und Adserver geschickt und die Werbung entsprechend gebucht und ausgeliefert. Dies alles erfolgt automatisiert und in Millisekunden. „Für reichweitenstarke Advertiser und Vermarkter ist dieses Vorgehen eine interessante Möglichkeit. Aber es kann nicht der alleinige Lösungsansatz für die Cookie-Problematik sein“, sagt Weiss. Auch kontextuelles Targeting, Regionaltargeting und Log-in-Allianzen sind aus seiner Sicht nötig, um das Targeting über das gesamte Werbe-Ökosystem aufrechtzuerhalten.

Beim Targeting zeigt sich also ebenfalls, dass die Blockchain kein Allheilmittel für alle Probleme der hochtechnologischen und automatisierten Werbelandschaft ist. Das Interesse ist vorhanden, der Leidensdruck wächst, aber die Umsetzung ist komplex. Und Komplexität ist schon heute eines der größten Probleme im digitalen Marketing.

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