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TV-Substitute: Wo erreichen Advertiser TV-Wenigseher?

Frederik Timm, 22. Oktober 2019
Bild: Frank okay

Über Jahrzehnte galt das Fernsehen als Reichweitenkönig. Nun, mit einer zunehmenden Digitalisierung des Medienkonsums, suchen sich die Zuschauer neue, flexiblere Kanäle. Durch die Fragmentierung der Medienwelt und die damit einhergehenden veränderten Nutzungsgewohnheiten sind TV-Substitute entstanden, wo sich Zielgruppen aufhalten, die von Werbetreibenden nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr über lineares Fernsehen erreicht werden. Advertiser stehen vor der Herausforderung, die wegfallende TV-Reichweite durch digitale Kanäle auszugleichen und einen fragmentierten Markt vergleichbar zu machen.

Aus Nutzersicht eröffnet die mediale Angebotsvielfalt neue Möglichkeiten der Unterhaltung und Alternativen zum linearen Fernsehprogramm. Werber kämpfen derweil damit, ihre Zielgruppen in den TV-Substituten zu finden und möglichst verlustfrei anzusprechen. Insgesamt gibt es mehr als eine Handvoll großer Bewegtbildkanäle, auf die sich die Aufmerksamkeit der Nutzer neben TV konzentriert, teils als Ersatz und teils als Ergänzung zum Fernsehprogramm – Stichwort „Second Screen“. Für Nutzer wie auch Werbetreibende hat jedes dieser Substitute seine Vor- und Nachteile gegenüber TV – keines ist jedoch ein direkter Ersatz. Allerdings besteht durch jedes Substitut für die Werbung eine weitere Möglichkeit, eine Geschichte auf einem neuen Kanal zu erzählen.

Deutsches Publisher-Angebot

Auf den Seiten der großen deutschen Digitalpublisher haben sich Videos mittlerweile zu einer festen Größe etabliert. Sei es Spiegel TV, das Videoangebot von Bild.de, Chip.de oder andere Webseiten: Instream-Werbung erreicht den Großteil der deutschen Online-Bevölkerung und wird weiter wachsen. Und Werbetreibenden kann das nur recht sein, denn das Instream-Inventar ist knapp und für die Werbung heiß begehrt. Das liegt vor allem daran, dass insbesondere Pre-Rolls eine hohe View-Through-Rate haben und die Aufmerksamkeit der Nutzer ähnlich hoch ist wie beim TV, wenn nicht sogar höher.

Ausgehend von der Annahme, dass der durchschnittliche Nutzer auf mehreren Seiten und vermarkterübergreifend surft und Videos schaut, sollte fast jeder deutsche Nutzer über Instream-Videowerbung erreichbar sein. Noch mehr Reichweite bietet in Deutschland nur Outstream. Das Outstream-Format hat das Problem der Knappheit des Instream-Inventars gelöst. Dank der Einbindung von Videowerbung in redaktionelle Inhalte können auch Artikel monetarisiert werden. Damit liegt die Reichweite von Outstream unter der deutschen Online-Bevölkerung theoretisch bei 100 Prozent – verteilt sich aus Sicht der Werbetreibenden jedoch auf die verschiedenen Anbieter wie Teads, Taboola und Outbrain oder Plista. Die Kosten für dieses Format liegen deshalb deutlich unter denen der Instream-Werbung. Das hat neben der größeren Verfügbarkeit jedoch auch andere Gründe. So können die Video Ads wesentlich leichter umgangen werden als zum Beispiel ein Pre-Roll.

Youtube

Kein anderes TV-Substitut erreicht über eine Plattform eine ähnliche Reichweite wie Youtube. Die Videoplattform von Google erreicht rund 90 Prozent der deutschen Online-Bevölkerung – gut 80 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mit einer Mischung aus Influencer-Kanälen, Inhalten großer Medienhäuser und Netzwerken – sogar Netflix bringt mittlerweile Teile seines Programms bei Youtube – bietet die Plattform für Nutzer ein bunt gemischtes Unterhaltungsprogramm. Attraktiv genug, um weltweit täglich auf über eine Milliarde Stunden Viewtime zu kommen – mehr als Netflix und Facebook zusammen. In Deutschland bestimmt Youtube auch die Sehdauer der digitalen Kanäle. Von durchschnittlich 13 Stunden im Monat, die deutsche Zuschauer im Jahr 2018 Online-Videos geguckt haben, entfallen zehn Stunden allein auf Youtube. Insbesondere durch die explizite Buchung von Smart-TV-Inventar können Werbetreibende eine annähernde Werbeerfahrung wie bei einem TV-Spot erzielen. Branchenberichte gehen davon aus, dass Youtube durch sämtliche Werbemaßnahmen auf der Webseite in 2018 etwa 15 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht hat.

Facebook

Gründer Mark Zuckerberg sieht Facebook schon seit Jahren als eine Video- und Mobile-First-Plattform. Bewegtbildinhalte werden vom Algorithmus entsprechend bevorzugt, was ihnen mehr Platz im Feed einräumt. Die vorwiegend genutzte Bewegtbildwerbung kommt in Form von Outstream-Video-Ads, die direkt im Feed abgespielt werden. Hinzu gesellen sich Mid-Rolls, die bei Videoposts von mehreren Minuten Länge nach einiger Sehdauer starten. Für Werbetreibende besteht, vor allem im Feed von Facebook, die Herausforderung darin, die Nutzer vom Scrollen abzuhalten. Lange TV-Spots mit langsamem Narrativ eignen sich weniger für die Plattform. Ebenso will das Format wohlüberlegt sein. Das klassische 16:9-Format wirkt auf einem Mobile Screen zu klein – Hochformat ist das Mittel der Wahl bei Facebook Spots. Genauso wichtig wie die visuelle Aufbereitung des Videos ist die auditive. Outstream-Werbespots auf Facebook sollten in erster Linie auf eine Wiedergabe ohne Ton, sprich mit Untertiteln, ausgerichtet sein. Die wenigsten User nutzen ihren Feed so, dass jedes Video mit Ton startet.

Das soziale Netzwerk kommt in der deutschen Online-Bevölkerung (63,3 Mio. Nutzer) nach GfK-Zahlen im Jahr 2018 auf eine Reichweite von knapp 75 Prozent auf mobilen Geräten und 45 Prozent auf dem Desktop.

Mediatheken

Um Zuschauer abzufangen, die linearem Fernsehen mehr und mehr den Rücken zukehren, setzen große Medienhäuser zunehmend auch auf eigene Mediatheken. Zwar werbefrei, aber dennoch eine beliebte Alternative zum Fernsehen sind die Mediatheken von ARD, ZDF und Co. So schafft es das ZDF nach eigenen Angaben auf eine Reichweite von 35 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Auch Pay-TV-Sender setzen auf Mediatheken, die sich im Gegenteil zu den Öffentlich-Rechtlichen durch Pre- und Mid-Roll-Werbespots monetarisieren. Die RTL Mediengruppe kommt mit TVNow laut AGOF auf eine Reichweite von 5,32 Millionen Unique User im September 2019. Joyn, die neue Plattform von ProSiebenSat.1, vereint Video-on-Demand-Angebot und Live Streaming und erreicht rund 1,55 Millionen Unique User. Ausgenommen sind in beiden Fällen die App-Nutzer.

Netflix, Amazon Prime Video und demnächst auch Disney+ buhlen um die Gunst der Fernsehzuschauer, die keine Lust mehr auf lineares Programm haben und lieber Premium-Video-on-Demand (VoD) konsumieren. Für die Werbebranche sind gerade die genannten großen Plattformen bisher noch nicht erschlossen. Mit wachsender Konkurrenz und dem Druck, neue Nutzer zu generieren und hochwertigere Produktionen zu kaufen, wird eine werbefinanzierte Version der Bezahldienste selbst beim bisherigen Hardliner Netflix zukünftig wahrscheinlicher.

Social Media und Co.

Neben dem Plattformriesen Facebook leiten auch andere soziale Medien und Videoplattformen Nutzer von den heimischen TV-Bildschirmen weg. Instagram und Snapchat kommen häufig parallel zum abendlichen TV-Konsum zum Einsatz und bieten damit Möglichkeiten, Cross-Device-Werbeerlebnisse zu schaffen. Instagram dürfte dabei für Werbetreibende für die Ansprache jüngerer Zielgruppen noch interessanter als Facebook. Denn der Mutterkonzern selbst verliert immer mehr seiner jüngeren Nutzer an die aufgekaufte Plattform. Die Reichweite von Facebook knackt Instagram deswegen trotzdem noch nicht. Nach Einschätzung der GfK hatte das soziale Netzwerk 2018 unter der deutschen Online-Bevölkerung eine Reichweite von 40 Prozent auf den mobilen Geräten und 12 Prozent auf dem Desktop.

Im Ursprung zwar auf statische Bilder ausgerichtet, hat sich Instagram mittlerweile auch zu einer Bewegtbildplattform entwickelt. Während der generelle Feed meist statisch bleibt und besonders für Brand Accounts Möglichkeiten bietet, Reichweite in der jungen Zielgruppe aufzubauen, werden die „Stories“ durch Videoinhalte bestimmt. Hier teilen Influencer und Nutzer gleichermaßen kurze Videoschnipsel, die nur 24 Stunden abrufbar sind und dann im digitalen Nirwana verschwinden. Zwischen den einzelnen Story-Schnipseln lassen sich Werbeeinspieler unterbringen.

Das Stories-Feature von Instagram hat seinen Ursprung bei Snapchat. Das Netzwerk ist Anfang 2019 auf über 203 Millionen Nutzer angewachsen. Auch wenn das Social Network anfänglich mit der Vermarktung strauchelte, scheint der Ads Manager Fahrt aufzunehmen. In 2018 wuchs der Umsatz um 37 Prozent auf über 1,2 Milliarden US-Dollar an. Neben vertikaler Video-Werbung, die zwischen den Stories läuft, bietet Snapchat auch gebrandete Filter, die Nutzer über ihre Fotos legen können. Hinzu kommen nicht abbrechbare Sechssekundenclips, die zwischen den Premium-Inhalten gebucht werden können. Unter Premium-Inhalten laufen bei Snapchat die Discover-Kanäle von Medienpartnern wie Spiegel, Bild, Vice und Co.

Im Livestreaming ist Twitch die Nummer eins und für Marketer ein zentraler Anlaufpunkt, um eine Zielgruppe zu erreichen, die sich sonst hauptsächlich innerhalb von Spielen aufhält. Werbung auf Twitch bietet Werbetreibenden derzeit noch eine der einfachsten Möglichkeiten, sich in das sonst sehr werbefreie Umfeld der PC- und Konsolenspiele einzukaufen.

Herausforderungen der veränderten Mediennutzung

Im Vergleich zu jedem identifizierten TV-Substitut erreichen Werbetreibende Konsumenten über das klassische lineare Fernsehen aufgrund der hohen Nutzungsintensität immer noch am zuverlässigsten – falls sich ihre Zielgruppe dort noch aufhält. Bei der zunehmend fragmentierten Mediennutzung bleibt bisher eine Frage offen: Wie lassen sich TV-Nichtseher in einem anderen Kontext identifizieren?

Noch gibt es keine einheitliche Lösung für den Markt. Nutzer, die kein lineares TV mehr schauen, können nur schwer gezielt angesprochen werden. Einzelne Agenturen und Technologieanbieter behelfen sich daher durch Insellösungen und Workarounds, die zum Beispiel auf Panelbefragungen und anschließender Lookalike-Bildung beruhen. Feste Metriken, um einzelne Kanäle und Plattformen miteinander zu vergleichen, sind bisher nicht etabliert. Um eine einheitliche Lösung bereitzustellen – wenn sie denn nötig und gewünscht ist –, müssten beispielsweise AGF- und Digitalmetriken zusammenkommen. Bei der starken Fragmentierung des Medienmarktes bleibt es sonst bei Individuallösungen.

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