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ADTECH - Interview mit Max Conze, CEO ProSiebenSat.1

Ein Medienhaus rüstet sich gegen Facebook & Google

Frank Puscher, 23. September 2019
Bild: ProSiebenSat.1 Presse ProSiebenSat.1-Chef Conze: „Wer heute und auch in Zukunft gewinnen will, muss auch eine Tech-Company sein“

Max Conze krempelt den Medienkonzern um. “Tech-First” heißt die klare Devise und sie geht Hand in Hand mit viel Vortrieb in Sachen digitaler Vermarktung. Dafür geht man sogar eine Kooperation mit dem härtesten Wettbewerber ein und löst sich vom „First-Screen“-Paradigma.

So ändern sich die Zeiten. Noch vor zwei Jahren war sich der damalige ProSiebenSat.1-Chef Thomas Ebeling sicher, dass TV weiter wächst, dass Fernsehen das Rückgrat des Konzernumsatzes bleibt und dass digitale Werbung schon mal unter Clutter, Bad Neighborhood und Adblocking leidet. „Das kann bei TV nicht passieren“, sagte Ebeling auf der Noah-Konferenz 2016.

Und heute? Sein Nachfolger Max Conze gibt zu, dass TV zumindest in Sachen Werbeumsatz zurückgehen wird. Er sieht in der digitalen Reichweite das zentrale Thema für Zukunftssicherheit für den Medienkonzern. Und der Vorstandsvorsitzende widerspricht seinem Vorgänger in einem ganz zentralen Punkt. Ebeling meinte: „Wir verstehen, dass wir keine gute Tech-Company sind, daher investieren wir in Tech-Companys“. Conze meint: „Das ist ein Fehler“. Tech ist ein zentrales Inhouse-Thema für ProSiebenSat.1. 14 Prozent der Mitarbeiter arbeiten in der IT.

Conze baut ProSiebenSat.1 um. Aus dem Drei-Säulen-Plan „TV, Content, Digital“ wird eine zweigleisige, fast klassische Struktur. Content und dessen Vermarktung auf der einen sowie E-Commerce und Digital Services auf der anderen Seite. Er hat einen starken CTO ins Haus geholt: Nick Thexton. Der war früher unter anderem CTO bei Cisco. Und Conze verhandelt mit dem „Feind“. Beim Aufbau digitaler Reichweite, vor allem im Bereich Addressable TV, wollen RTL und ProSiebenSat.1 künftig zusammenarbeiten. Die Kooperation D-Force soll in dieser frühen Phase die Advertiser für den neuen Kanal begeistern.

ADZINE: Herr Conze, wie kam es zu D-Force?

Max Conze: D-Force ist entstanden, weil wir eine sehr klare Sicht haben, dass adressierbare Reichweite für uns das Wichtigste ist, um uns für die Zukunft sicher aufzustellen. Nur mit adressierbarer Reichweite schaffen wir einen Markt für regionale oder lokale Werbung und damit ein konkurrenzfähiges Produkt gegenüber Google und Facebook.

Für die Werbeindustrie ist es besser, wenn RTL und Prosieben die Kräfte bündeln. Der Gedanke kam schon einem sehr frühen Gespräch zwischen Thomas Rabe und mir auf. Die Werbetreibenden sagen uns jeden Tag, dass sie mehr adressierbare Reichweite möchten, das aber nicht auf vier Plattformen einkaufen wollen. “Könnt Ihr das nicht für uns aggregieren?“.

ADZINE: Geht es nur um Addressable TV? Das steht ja nicht explizit drauf.

Conze: Am Ende des Tages werden wir ein Portfolio an adressierbarer Reichweite aufbauen. Das ist nicht nur das lineare, adressierbare Signal, sondern eben auch die digitale Reichweite zum Beispiel in der neuen App Joyn oder auf unseren Youtube-Kanälen. Und daraus werden dann zum Beispiel regionale Pakete gebündelt. Das ist übrigens auch gut für die Zuschauer, weil dann hoffentlich mehr relevante Werbung ausgespielt wird.

ADZINE: Brauchen wir SevenOne Media perspektivisch dann noch?

Conze: Schon, weil das eine das andere ja nicht ausschließt. SevenOne Media bündelt die unterschiedlichen Reichweiten und Formate, um attraktive Angebote für die Werbungtreibenden zu schnüren. D-Force ist getrieben von Thomas Wagner und Matthias Dang. Das ist synergetisch. Und die Plattform ist unsere.

ADZINE: Es gibt gerade eine Reihe von Konsortien, die versuchen, digitale Daten und Reichweite aus einer Hand zu vermarkten. Von NetID sieht man aber immer noch nicht viel.

Conze: NetID ist super spannend. Wir haben über 70 Partner, das bedeutet eine theoretische Zugriffsreichweite von 36 Millionen Deutschen – das ist mehr, als es Facebook-Nutzer in Deutschland gibt. Man hört davon noch nicht viel, weil wir gesagt haben, dass wir erst die Partner sammeln und die Technik fertigstellen müssen. Da sind wir jetzt kurz vor dem Abschluss. Und wenn das steht, fahren wir eine große Marketing-Offensive, damit die Menschen verstehen, was das ist und was es für sie tut.

ADZINE: Warum dauert das so lang? Das hat NetID letztes Jahr zur Dmexco doch schon bekannt gegeben.

Conze: Manche Dinge sind eben sehr komplex.

ADZINE: Gibt es einen Interessenkonflikt zwischen 7Pass und NetID?

Conze: Nein. Die beiden sind sehr synergetisch. 7Pass wird der Feeder in Richtung NetID. Wir verbinden die beiden Dinge.

ADZINE: Lange Zeit hat ProSiebenSat.1 gesagt, dass sie keine Technik-Company sind. Würde man das heute anders formulieren?

Conze: Ja, das ist ein Fehler. Natürlich sind wir in erster Linie ein Content-Haus, aber wir sind auch eine Technik-Company. Von den 7.000 Mitarbeitern sind über 1.000 aus der Technik. Hinter Joyn stecken 300 Ingenieure. In der Vergangenheit konnte man sich diese Formulierung leisten, aber wenn ich heute und morgen gewinnen will, muss ich natürlich auch eine Technik-Company sein.

ADZINE: Wenn das so natürlich zusammengehört, warum ist dann ein ehemaliger Pressesprecher der CIO? Das hört sich so an, als liegt in der Kommunikation etwas im Argen.

Conze: Wir haben als CTO der Gruppe einen sehr erfahrenen Mann eingestellt: Nick Thexton. Der hat jede Menge Erfahrung in den Bereichen Medien und Digital. Der schaut sich gerade an, was wir alles haben und wo wir besser werden müssen.

Unser CIO, Boris Radke, hat schon immer Technik gemacht. Der ist ein guter Hans-Dampf in allen Gassen. Er war bei Zalando auch als Pressesprecher tätig, aber das ist bei Startups eben so. Da macht jeder alles.

ADZINE: Ist das eine befristete Rolle für den Change-Prozess?

Conze: Ich kann heute nicht sagen, wie das in einem Jahr aussehen wird. Sicher ist: Wir müssen uns permanent verändern. Aber wie das personell aussehen wird, liegt in der Verantwortung von Nick Thexton. Deshalb habe ich einen großen CTO geholt. Von denen gibt es nicht so viele, vielleicht ein Dutzend.

ADZINE: Was ist ihre persönliche Vision für ein ProSiebenSat.1 in 2023?

Conze: Wir wollen ein gutes, digitales Produkt haben mit spannenden, auf die Länder oder sogar Regionen zugeschnittenen Inhalten, die man umfassend vermarkten kann. Das ist kein kurzfristiger Plan, dafür brauchen wir Jahre. Auf der anderen Seite wollen wir die kommerziellen Aktivitäten bei Parship, Verivox oder Flaconi skalieren. Deren Märkte sind ja praktisch endlos. Und aus beidem entstehen enorme Synergien.

ADZINE: ...die so mancher Digital-Player nicht zu bieten hat.

Conze: Genau: Google und Facebook haben enorme Vorteile in der Adressierbarkeit ihrer Produkte, sie bekommen aber die Zuschauerbreite nicht. Wenn wir diese Breite mit Targetability verbinden können, hat das eine enorme Kraft.

ADZINE: Herr Conze, vielen Dank für dieses Gespräch.

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