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DIGITAL MARKETING

Zutaten für Digitale Transformation: Kundenfokus, Experimentierfreude und Kollaboration

Anton Priebe, 6. August 2019

Björn Bloching ist Senior Partner und Digitalchef bei Roland Berger. Er leitet das “Spielfeld”, den Berliner Digital-Hub der globalen Strategieberatung. Bloching ist studierter Volkswirt und Wirtschaftsingenieur, hat in Makroökonomie promoviert und sich neben seiner Beratertätigkeit vor allem auch als Buchautor mit dem Fokus auf Daten einen Namen gemacht. Der Experte für Digitale Transformation bewertet im Interview den Stand der Digitalisierung in Deutschland und verrät, wer noch Chancen hat, international mitzuspielen.

ADZINE: Hallo Herr Bloching, Roland Berger verbindet man mit klassischer Beratung. Ordnen Sie Ihr Unternehmen bitte einmal in den Beratermarkt ein. Was machen Sie anders als Accenture oder Deloitte? Wer sind Ihre Kunden und was tun Sie für sie?

Bild: Roland Berger Presse Björn Bloching, Global Head Roland Berger Digital

Bloching: Roland Berger ist nach wie vor eine Management- und keine IT-Beratung. Und da Digitalisierung ungeachtet aller Technologie vor allem eine Managementaufgabe ist, sind wir mit unserem Angebot gut aufgestellt. Zumal wir natürlich Kompetenzen in Feldern wie IT-Strategie, Cybersecurity oder Data Analytics im Haus haben. Und zudem in unserem Partnernetzwerk Terra Numerata mit spezialisierten Partnern zusammenarbeiten und so auch umfangreiche IT-/Technologieprojekte end-to-end durchführen.

Da die derzeit notwendigen erheblichen Veränderungen nur funktionieren werden, wenn die Unternehmensspitzen diese wollen, vorleben und konsequent betreiben, setzen viele unserer Projekte zunächst dort an: Wir arbeiten mit ihnen beispielsweise an Vision und Purpose und entwickeln Programme zur Kulturveränderung. Und wir unterstützen grundlegende Änderungen im Portfolio – nehmen Sie den Wandel vom Automobil- zum Mobilitätsunternehmen. Oder wir revidieren oder eliminieren Prozesse oder Strukturen, die den Wandel behindern. Und natürlich führen wir digitale Lösungen schlüsselfertig ein – von der Konzeption bis zum Roll-out. Am Kunden-Frontend genauso wie im Backend in der Lieferkette.

ADZINE: Sie begleiten das Management also in Zeiten der Digitalen Transformation. Ist Deutschland wirklich so schlimm, was die Digitalisierung betrifft, wie man seit Jahren lamentiert? Wie sind Ihre Erfahrungen in deutschen Unternehmen?

Bloching: Die meisten deutschen Unternehmen, die ich kenne, nehmen die Digitalisierung sehr ernst und wenden erhebliche Ressourcen auf, um den Wandel zu gestalten. Von "schlimm" würde ich hier nicht sprechen. Aber es stimmt, dass sich viele deutsche Unternehmen mit den weitreichenden Veränderungen schwertun. Wenn sie 100 Jahre lang Erfolg mit einem produktzentrischen Geschäftsmodell hatten, ist der Schwenk zum Anbieter einer Serviceplattform inhaltlich und kulturell ziemlich schwierig.

ADZINE: Wer tut sich denn besonders mit Veränderungen schwer? Haben Sie eine Anekdote für unsere Leser auf Lager? Den “schlimmsten” Fall sozusagen?

Bloching: Wirklich schlimm war zum Glück nichts – die meisten Unternehmen sind ja anständig geführt. Aber es gibt natürlich immer wieder schöne Stilblüten. So wie die Bank, die im Sinne der Agilität und Vertrauensbildung kleinere Budgets sehr unbürokratisch und schnell als "Spielgeld" für digitale Experimente zur Verfügung stellen möchte. Und dann über ein halbes Jahr in zig Gremien einen hochkomplexen Kriterienkatalog dafür entwickelt. Und die Initiative damit vor ihrem Start tötet. Das Beispiel zeigt sehr schön den Unterschied zwischen dem wohlgemeinten Anspruch der Veränderung und den Beharrungskräften der "alten" Welt.

ADZINE: Was machen Ihrer Meinung nach viele Unternehmen, auch abseits der Banken, in der digitalen Transformation heute noch falsch? Woran hakt’s am ehesten? Und welche Grundlagen müssen diese eigentlich schaffen, um überhaupt voranzukommen?

Bloching: Zuallererst hängen sie zu sehr an ihrem alten Geschäftsmodell. Natürlich gibt es Branchen, die weniger disruptiert werden. Leider sind diese aber in der Minderheit. Meine Zukunftsvision muss sich konsequent an den Kundenerfordernissen der Zukunft, nicht meiner Produkthistorie ausrichten. Und dann müssen sie aus der Falle des inkrementellen Denkens heraus. Die meisten Unternehmen brüsten sich zwar damit, Jahr für Jahr mehr für Digitalisierung auszugeben. Fakt ist aber, dass die Wachstumsraten bei weitem nicht ausreichen, um mit der Marktdynamik mitzuhalten und das eigene Unternehmen aus der alten Welt in die Zukunft zu führen. Stattdessen muss die gesamte Organisation radikal auf die Vision ausgerichtet werden. Wenn ich – wie es heute noch fast immer der Fall ist – über neunzig Prozent meiner Ressourcen ins traditionelle Geschäft stecke, kann ich nie zukunftsfähig werden. Also: Alle nicht dem Kunden dienenden Strukturen, Prozesse, Projekte und Produkte einstellen und die riesigen freiwerdenden Ressourcen für Innovation und Wandel einsetzen!

ADZINE: Innovation und Wandel klingt gut, aber in welche Richtung? Was sind die Top-Themen, die hiesige Unternehmen momentan mit Blick auf die Digitalisierung beschäftigen?

Bloching: Das hängt natürlich sehr von der Branche und dem digitalen Entwicklungsstand des jeweiligen Unternehmens ab: Viele Unternehmen in bislang wenig disruptierten Branchen sondieren noch, was Digitalisierung für sie bedeutet. Und experimentieren mit neuen Innovationsmethoden, Arbeitsweisen, Prozessen und Technologien – oft leider ohne klare Vorstellung vom „Wofür“ und „Wohin“. Digital erfahrenere Unternehmen haben diese Phase hinter sich, sind vielfach sehr ernüchtert und fragen sich nun, wie die digitale Transformation wirklich gelingt. Also wie aus einzelnen Pflänzchen jetzt die blühende Wiese wird. Das betrifft natürlich alle Aspekte des unternehmerischen Handelns, von der großen Vision bis zur Umsetzung im Kleinen. Technologisch stehen derzeit Künstliche Intelligenz und Interfaces – allen voran momentan die Sprache – im Vordergrund. Um Blockchain ist es aus meiner Sicht etwas ruhiger geworden.

ADZINE: Beim Thema Technologie landet man zwangsweise bei den GAFAs. Was raten Sie Kunden, um sich unabhängig von GAFA zu machen? Wollen die das überhaupt?

Bloching: Als B2C-Unternehmen wird es immer schwieriger, von den GAFA unabhängig zu bleiben. Insofern stellt sich für viele Unternehmen gar nicht mehr die Frage, ob sie unabhängig sein wollen oder nicht. Der Grad der Abhängigkeit liegt aber sehr wohl in der Hand des einzelnen Unternehmens: wenn meine digitale Kommunikation lediglich das Sahnehäubchen auf einem hervorragenden Leistungsangebot ist, dann bin ich natürlich viel unabhängiger als wenn mein gesamtes Unternehmen auf dem Vertrieb mittelmäßiger Produkte über Amazon beruht. Und ebenso sind hervorragend betriebene YouTube- oder Instagram-Kanäle weniger verwundbar als reine Adwords-Werbung.

B2B-Unternehmen kann ich nur raten, mit Hochdruck an guten Lösungen parallel zur GAFA-Welt zu arbeiten. In B2B sind die digitalen Giganten noch nicht so omnipräsent und es besteht nach wie vor die Möglichkeit, sich zumindest Alternativen zu schaffen und damit unabhängiger zu bleiben.

ADZINE: Wagen wir einen Blick in die Zukunft – wie wird sich Deutschland beim Thema digitale Transformation weiterentwickeln? Was denken Sie und was hoffen Sie?

Bloching: Wenn wir uns das B2C-Geschäft anschauen, und dort vor allem die Plattformen, so sind die Würfel gefallen. Dass Europa hier den Anschluss an die USA und China findet, halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Wenn es aber um Industrie 4.0 geht oder das "Internet of Need" – also die Digitalisierung all dessen, was das Infrastrukturrückgrat unserer Volkswirtschaften umfasst – dann ist das Rennen noch offen. Mit unserer Ingenieurkompetenz, unserer Präzision und unserem Fleiß – ich weiß, das klingt abgedroschen – bringen wir einige wichtige Kompetenzen mit. Diese müssen wir aber dringend mit Kundenfokus statt Produktverliebtheit, Experimentierfreude statt Null-Fehler-Denken und Kollaboration statt Status- und Hierarchiedenken ergänzen. Nur dann haben wir weiter eine Chance im globalen Wettbewerb.

ADZINE: Herr Bloching, vielen Dank für das Gespräch!

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