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ONLINE VERMARKTUNG

Gutefrage.net profitiert von Programmatic-First-Strategie

Frank Puscher, 23. Januar 2019
Bild: Holtzbrick Digital Markus Forster

Vor zweieinhalb Jahren krempelte gutefrage.net seine Vermarktungsstruktur radikal um. Heute heißt es Programmatic First. 90 Prozent aller Flächen werden programmatisch verkauft. Wie Markus Forster, CSO der Gutefrage-Mutter Holtzbrink Digital Content Group, im ADZINE-Interview erklärt, hat sich der mutige Schritt ausgezahlt.

ADZINE: Herr Forster, nicht viele Publisher schreiben sich hierzulande Programmatic First auf die Fahne. Was verbirgt sich dahinter?

Markus Forster: Vor zweieinhalb Jahren hatten wir noch eine eher klassische Vermarktung. Wir liefen im Display-Netzwerk von Ströer und setzten außerdem Google Adsense ein. In diesem Setup waren die Umsätze zu dem Zeitpunkt rückläufig. Dann bin ich zum Team gestoßen und hatte von Anfang an eine sehr starke Programmatic-Vision.

Programmatic First bedeutet, dass wir unser gesamtes Inventar programmatisch anbieten. Es gibt keinen Wasserfall mehr und keine Premium-Deals.

ADZINE: Ohne Ausnahmen?

Forster: Prinzipiell ohne Ausnahme, es gibt allerdings Formate, die noch nicht vollumfänglich programmatisch gehandelt werden. Von der Umsatzseite liegen wir bei 90 Prozent programmatisch.

ADZINE: Und wie teilt sich ihr Programmatic-Geschäft auf?

Forster: Wir generieren knapp 80 Prozent unseres Programmatic-Geschäfts über den Open Market. Der Rest teilt sich auf die anderen Modelle auf. Wobei hier der Fokus auf Private Auctions liegt. Preferred Deals sind grundsätzlich möglich, aber nicht unser Fokus. Programmatic Guaranteed sehen wir eher als ein Modell, um Kunden, die bisher noch IO-Buchungen bevorzugen, in ein programmatisches Modell zu shiften.

ADZINE: Was sagte damals ihr Sales-Team zu diesem Wechsel? Gab es Diskussionen?

Forster: Nein, denn wir haben das Team im Hinblick auf die neuen Anforderungen neu auf- und ausgebaut.

ADZINE: Wo hat man 2017 Mängel in der Vermarktung gesehen?

Forster: Wenn man sich das Portal gutefrage.net anschaut, dann ist das eben anders als bei einer klassischen Website-Vermarktung wie zum Beispiel T-Online.de. Diese riesigen Direktkampagnen, bei denen ein Kunde für ein sechsstelliges Budget die Startseite für einen Tag übernommen hat, die gab es bei uns nicht. Wir waren schon immer im Bereich der Rotationsbuchungen anzusiedeln. Und da ist man dann als Marke eben bei den großen Werbungtreibenden nicht so auf dem Schirm für große Kampagnen.

Gleichzeitig haben wir beste Voraussetzungen für Programmatic. Wir haben eine sehr hohe Nettoreichweite und wissen viel über unsere Nutzer. Und weil die Umsätze rückläufig waren, haben wir uns zu diesem Schritt entschieden. Es war ja auch nicht so, dass wir von heute auf morgen alles umgeschaltet haben. Das war ein Prozess, der seit zweieinhalb Jahren andauert. Wir haben uns Stück für Stück herangetastet.

ADZINE: Hat es sich gelohnt?

Forster: Ja. Wir erzielen deutlich höhere TKP als vorher. Programmatic interessiert sich halt weniger für das Umfeld als für den User. Wir haben nicht die Marke z. B. einer FAZ, auf der der Marketer unbedingt buchen will, aber wir haben die User.

ADZINE: Sehen Sie innerhalb Ihres Inventars Unterschiede in den Themenkategorien?

Forster: Ja, die Unterschiede sehen wir, aber es ist natürlich auch sehr davon abhängig, welche Ziele der Advertiser verfolgt und welche Daten er mitbringt. Will zum Beispiel ein Automobilhersteller nur neuen Traffic ohne spezifisches Targeting, wird er nicht besonders hoch bieten. Hat er aber gesehen, dass der User schon bei ihm auf der Site war, und will den nun zu einer Probefahrt bewegen, dann ist der Kontakt mit eben diesem User deutlich mehr wert. Bei Produkten mit geringen Margen passiert das natürlich weniger.

ADZINE: Gibt es Kategorien von Werbungtreibenden, die besser mit Programmatic umgehen können als andere?

Forster: Es ist schwer, pauschale Aussagen zu treffen, aber E-Commerce und Finance sind schon weiter als Pharmazie oder Travel.

ADZINE: Verändern diese Erkenntnis den Content auf der Seite?

Forster: Es hat sich einiges verändert. Nicht, was die konkreten Inhalte angeht, aber den Umgang mit Werbung. Das Produkt-Team hat sich immer viel Mühe gegeben, die Seite so einfach und angenehm wie möglich für den Benutzer zu machen. Der Werbebereich hatte damit aber nichts zu tun. Das ist inzwischen anders.

Jetzt haben wir eine neue Flexibilität und Freiheit. Heute können wir Werbung und Content jetzt als Einheit betrachten. Produkt, IT, Sales und Community-Management haben sich 2018 zusammengesetzt und die Frage gestellt, wie man die Seite besser machen kann. Heraus kam, dass wir im Zuge der Neugestaltung der Seite auch die Anzahl der Werbeplätze reduziert haben. Manche Werbeplätze waren zuvor richtig kontraproduktiv für das Nutzererlebnis.

ADZINE: Welche zum Beispiel?

Forster: Alles, was den Lesefluss stört. Zuvorderst natürlich Werbeplätze, die den Content überlagern. Aber da waren wir immer vorsichtig, weil unser Geschäftsmodell stark SEO-getrieben ist. Aber wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass User aufhören, Content zu lesen, weil Werbung im Stream kommt. Sie dachten, die Seite ist dort zu Ende. Dadurch, dass wir diese Platzierungen dann herausgenommen haben, haben sich wichtige KPIs wie zum Beispiel Time-on-Site deutlich verbessert. Das erzeugt wiederum mehr Klicks und das lässt sich ja auch wieder vermarkten.

Durch die Reduzierung der Werbeflächen monetarisieren wir besser und waren letztes Jahr einer der größten Gewinner in Sachen Sichtbarkeit bei Google. Wir konnten unsere Sichtbarkeit um 150 Prozent steigern.

ADZINE: Was sehen Sie dabei als Hauptursache?

Forster: Eine geringere Absprungrate und eine deutlich verbesserte Performance der Site in Sachen Geschwindigkeit. Unsere Seite ist um 34 Prozent schneller geworden.

Die Mischung ist für einen Publisher ja super: Wir erzielen höhere TKP und haben gleichzeitig höheren Traffic. Die Strategie hat sich für uns total ausgezahlt.

ADZINE: Gibt es ausgehend von dieser soliden Basis neue Ansätze und Ideen für Exklusivvermarktung?

Forster: Anfragen kommen immer wieder und es gibt natürlich einige Advertiser, die noch gar nicht in der Lage sind, programmatisch einzukaufen. Das schauen wir uns an, ist aber auch nicht unser Ansatz. Dafür sind wir als Team auch nicht aufgestellt. Eigentlich wollen wir das programmatische Modell nicht korrumpieren. Da gibt es natürlich auch Formen wie Programmatic guaranteed, die für uns leichter zu handhaben sind.

ADZINE: Header Bidding bietet ihnen ebenfalls die Möglichkeit, Rosinen zu picken.

Forster: Header Bidding ist einer der wichtigsten Bestandteile unserer programmatischen Strategie. Ich glaube, da sind wir einer der wenigen Publisher, die eigene Lösungen entwickelt haben. Wir können heute mehr als 15 Verbindungen zu SSPs und Direct Biddern aufbauen. Header Bidding war für uns von Anfang an sehr wichtig.

ADZINE: Durch das mutige Modell haben Sie gelernt, wie wertvoll Ihre Daten wirklich sind. Vermarkten Sie sie extern?

Forster: Ja, machen wir. Wir vermarkten Daten über unsere eigene DMP.

ADZINE: Was muss passieren, damit sich der programmatische Markt schneller weiterentwickelt?

Forster: Das Wichtigste aus meiner Sicht ist, dass wir aufhören müssen, Programmatic als Restplatzvermarktung zu sehen. Das ist aus meiner Sicht in Deutschland noch sehr verbreitet. Wenn die Publisher und Vermarkter nur Long Tail in die Plattformen geben, dann wird der TKP nicht steigen. Und bei RTB mangelt es nach wie vor an Transparenz.

Publisher und Vermarkter müssen sich viel mehr öffnen. Es lohnt sich.

ADZINE: Herr Forster, vielen Dank für dieses Gespräch.

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