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PROGRAMMATIC

Programmatic-Advertising-Marktausblick: Datenschutz, Digital Out-of-Home, KI und Blockchain

Jens von Rauchhaupt, 30. Oktober 2018
Bild: Melpomene - Adobe Stock

2018 lagen die größten Herausforderungen für die digitale Werbebranche im Datenschutz. Die intensiven Diskussionen und Umsetzungsbemühungen bezüglich der DSGVO sowie deren unterschiedliche Rezeption am Markt wird lange in den Köpfen bleiben. Und so dominiert auch weiterhin das Thema die Gedanken vieler in der Branche, denn auch zukünftig bestimmt die DSGVO maßgeblich die weiteren Bemühungen. Aus diesem Grund sprachen wir dazu mit Christopher Reher, Managing Director Germany bei der DSP Platform 161 und Vorsitzender des BVDW Ressorts Data Economy.

ADZINE: Herr Reher, das IAB Transparency & Consent Framework soll als einheitlicher Standard für die Übermittlung des Nutzerwillens und der weiteren rechtlichen Grundlagen für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in der programmatischen Werbung dienen. Hat sich das Framework nach Ihrer Auffassung bereits etabliert?

Bild: Platform 161

Christopher Reher: Theoretisch schon, praktisch eher nicht. Das IAB Transparency & Consent Framework ist derzeit, aufgrund strategischer Erwägungen der teilnehmenden Parteien und der uneinheitlichen Positionen innerhalb des europäischen Marktes eine work in progress und in Bezug auf die komplexen rechtlichen und technischen Fragen findet eine konstante Annäherung statt.

ADZINE: Warum ist das so?

Reher: Es gibt hier unterschiedliche Betrachtungen von Sinn und Zweck des TCF zwischen einigen amerikanischen Unternehmen und dem europäischen Standpunkt. Soll das TCF ernst genommen und tatsächlich als einheitlicher und verbindlicher Standard fungieren sowie technische Sicherheit generieren, dann muss es alle nötigen Fallkonstellationen und Rechtsgrundlagen granular abdecken und so keinen Interpretationsspielraum lassen. Aus deutscher Sicht muss aber auch gesagt werden, dass die Zusammenarbeit zwischen den Marktteilnehmern immer besser funktioniert und sehr gute und vor allem praktikable Vorschläge eingebracht werden.

Leider ist es aber auch immer noch so, dass nicht bei allen Marktteilnehmern angekommen ist, dass neben den Plänen für eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf Basis des legitimen Interesses schon lange die Pläne für die Verarbeitung solcher Daten auf der Basis von z. B. Einwilligungsmodellen vorhanden und umsetzbar sein sollten. Bekanntlich ist der Schritt hier nicht so groß wie zumeist befürchtet und würde insgesamt, entsprechende Vorbereitungen vorausgesetzt, zu erheblich weniger Zukunftsangst in der Branche führen.

ADZINE: Es mangelt also an einen konsequenten Umsetzungswillen. Apropos Zukunftsangst. Mit der E-Privacy Verordnung (ePV) besteht für die Branche doch ein weiteres Drohszenario.

Reher: Hier herrscht leider eher Angstmache denn rationale Betrachtung vor, gerade auch weil noch immer nicht klar ist, ob sie kommt oder nicht. Auch ist nicht klar, wie exakt sie umgesetzt werden soll.

ADZINE: Werden denn die bisher genutzten Consent-Modelle nicht ausreichen?

Reher: Das kommt sehr auf die Auslegung der Datenschutzbehörden und Gerichte an. Bei strikter Auslegung der Einwilligungsanforderungen darf davon ausgegangen werden, dass die bisher genutzten Consent-Modelle der großen Marktteilnehmer nicht ausreichen, den Nutzer hinreichend in seiner Entscheidungsfindung aufzuklären, weswegen hier auch weiterhin große Chancen für kleinere Markteilnehmer mit entsprechenden Systemen bestehen. Es gibt hier aber ein Signal von Seiten der Datenschützer, dass es wohl auf ein ordentlichen Nachweisverfahren und nicht unbedingt um eine zwingende Registrierung für eine eindeutige Einwilligung ankommen wird. Zusätzlich wurde von der politischen Seite im Rahmen der letzten Entwurfsänderungen bemerkt, dass eine Bündelung der Einwilligungseinholung auf Seiten der Browserhersteller nicht dem Ziel der ePV entspricht und zusätzlicher Raum für alternative Finanzierungsmodelle von Inhalten ermöglicht werden muss.

ADZINE: Der Umgang mit der DSGVO und insbesondere der Informationspflicht zur Datennutzung gegenüber dem Nutzer scheint ein weiteres Problem zu sein. Warum ziehen nicht alle an einem Strang?

Reher: Eine saubere Vorbereitung und vor allem konsistente Information in Richtung der Nutzer und damit Werberezipienten sowie schon jetzt klares Flagging der datenschutzrechtlichen Erhebungsgrundlage(n) würden jeden Marktteilnehmer wesentlich sorgenfreier in die Zukunft blicken lassen. Würden die Markteilnehmer ihre politischen Positionen für einen kurzen Zeitraum vergessen und gemeinsam daran arbeiten, das schlechte Bild der Branche und der inhärenten Datenverarbeitung wesentlich aufzuwerten, dürften wir schon mittelfristig auf eine wesentlich positivere Marktsituation blicken. Ein Nutzer, der versteht, weswegen es ein Vorteil für ihn sein kann, Daten zu teilen, und der hier nicht ein mystisches „Verfolgtsein“, sondern Kontrolle und Zuversicht fühlt, der wird auch wieder aktiver und positiver auf Produkte und Werbung reagieren.

In Hinblick auf die Zusammenarbeit der Marktteilnehmer ist positiv hervorzuheben, dass starke Anstrengungen unternommen werden, um die oft geforderte Transparenz der Werbekette – speziell im programmatischen Werbemarkt – zu erhöhen. Hier ist besonders der überarbeite Code of Conduct Programmatic Advertising 2.0 zu benennen, der relevante Schritte zu diesem Thema nach vorne macht und eine positive Signalwirkung in Richtung der anderen Disziplinen haben sollte. Hier haben alle Marktteilnehmer konstruktiv und mit einem gemeinsamen Ziel gute Arbeit geleistet.

ADZINE: Wie sehen Sie die generelle Marktentwicklung von Programmatic Advertising?

Reher: Bereits ab Q4 2018 und vor allem im Jahr 2019 wird eine weitere Fokussierung auf den Nutzer an sich und die Möglichkeiten, diesen digital und programmatisch zu erreichen, sehen. Google macht einen weiteren, folgerichtigen Schritt in Richtung DOOH und folgt damit einem weiter aufblühenden Trend, den Nutzer über First und Second Screen zu erreichen. Hier werden immer mehr Budgets in den Markt fließen; ich sehe aber für die kleineren Marktteilnehmer erhebliche Chancen, durch innovative Konzepte und Kollaborationen Marktanteile für sich zu gewinnen und Nutzer in einem positiven Kontext zu bewerben.

In diesem Zusammenhang werden sicherlich auch die weiteren Entwicklungen im Bereich Beaconing und Nahfeld-Kundenansprache interessant werden, wodurch der deutsche Markt die Chance hat, international eine große Rolle zu spielen.

ADZINE: Inwiefern?

Reher: Sollte es hier gelingen, schon früh und produktiv einen Ausgleich zwischen Nutzerrechten, speziell im Datenschutz, und Marktinteressen herzustellen und frühzeitig Nutzer und Politik von einer positiven Grundhaltung überzeugen zu können, dann werden wir mit Location Based Advertising und programmatischem DOOH ein neues Niveau von Kundenansprache und -interaktion erleben.

ADZINE: Der Datenschutz hatte hierzulande schon immer einen besonders hohen Stellenwert. Glauben Sie als BVDW-Vorsitzender für Data Economy, dass Deutschland in diesem Bereich als Innovationstreiber überhaupt eine Rolle spielen kann?

Reher: Vor dem Hintergrund, dass unser Alltag immer mehr digitalisiert wird und wir mittlerweile z. B. sowohl Kühlschränke als auch Autos haben, die ohne Datennutzung nicht den Nutzen für uns Nutzer bringen würden, wie sie es heute schon tun, gilt es, langsam zu akzeptieren, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland eine klare data-based Economy geworden ist. Ich sehe dies durchaus positiv, denn die Akzeptanz dieser Tatsache wird spätestens 2019 dazu führen, das immer mehr Kollaborationen zwischen Unternehmen der klassischen Märkte und dem unseren entstehen, um das Leben der Nutzer einfacher zu machen und tatsächlich umfassend und für jeden Lebensbereich relevante Produkte und Kampagnen umzusetzen.
Hier arbeiten wir derzeit aktiv an der weiteren Verknüpfung der verschiedenen Wirtschaftszweige und bieten Datenschutzbehörden, Politik und Gesellschaft unser Expertenwissen für einen gemeinsamen und zukunftsorientierten Dialog an.

ADZINE: Natürlich dürfen die Hypethemen Blockchain und KI in der Marktbetrachtung nicht fehlen. Beide werden derzeit wahlweise als Allheilmittel oder zukunftsrettende bzw. definierende Technologien gesehen. Zu Recht?

Reher: Ich hoffe, dass wir für den Rest von 2018 und speziell 2019 eine Fokussierung auf eine sachliche Betrachtungsweise sehen werden. Blockchain ist im Kern schlussendlich „nur“ eine Technologie zur Verifizierung von Transaktionen und auf die wenigsten Use Cases ohne massive Anpassungen anzuwenden. Generell zeigen alle bisher vorhandenen Lösungen in diesem Bereich, dass sie stark durch die möglichen Prozesse pro Sekunde und die generell geringe Skalierbarkeit beschränkt werden. Wie bereits bei Adzine berichtet, würden die aktuellen Blockchains schon jetzt an ihr Limit stoßen, wenn nur einer der größeren Marktteilnehmer aus dem programmatischen Bereich diese Technik direkt beanspruchen würde.

Hier ist sicherlich von Interesse zu sehen, wie die von IBM angekündigte Lösung aussehen wird. Ich musste mich vor kurzem zumindest dahingehend belehren lassen, dass die ersten Ansätze sehr vielversprechend sein sollen und gerade, wenn sie nur zwischen dedizierten Partnern zum Zwecke der Transparenz genutzt werden, nicht an Limits stoßen sollten.

Ich erwarte hier für das nächste Jahr erhebliche Fortschritte und bin gespannt, wie sich der Markt entsprechend anpassen wird.

Bezüglich des Themas KI möchte ich gerne Lorena Jaume-Palasi, mit der ich im Juni auf einem Panel zusammen diskutieren durfte, dahingehend zitieren, dass es heute noch keine KI gibt. Was wir heute als KI bezeichnen, ist nicht mehr oder weniger als (advanced) machine learning und wird durch das falsche Label zu etwas aufgebauscht, das es so nicht gibt.

Echte KI wird es auch im nächsten Jahr nicht geben, aber das muss kein Nachteil sein. Vielmehr sollten wir das nächste Jahr dazu nutzen, in einen offenen Diskurs über die technischen und vor allem rechtlichen Notwendigkeiten zu treten, um einen positiven Einfluss entsprechender Mechanismen auf unser Leben möglich zu machen und der Gesellschaft zu helfen, dies als Hilfe und nicht als weiteres Hexenwerk zu begreifen.

ADZINE: Herr Reher, danke für das nette Gespräch.

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