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PROGRAMMATIC

Der Programmatic-Markt: Unvollkommenheit in Perfektion!

Arne Schulze-Geißler, 30. Mai 2018
Bild: aquatarkus - Adobe Stock

Mehr VALUE aus digitaler Werbung für Advertiser und Publisher, das ist seit jeher das große Versprechen von RTB, RTA und Programmatic, gemacht von Techanbietern und Mediadienstleistern in Richtung Werbungtreibenden und Publishern. Ist das Prinzip "Programmatic" stark vereinfacht doch mehr als vielversprechend: Marktplatztechnologie bringt Mediaangebot und Nachfrage zusammen, Datenpunkte oder Profile sorgen dabei für den perfekten Match bei jeder Ad Impression, gleichzeitig führt der Auktionsmechanismus zum richtigen Marktpreis. Dabei soll sich das Ecosystem aus vielen kleinen und großen Angebots- und Nachfragetechnologien zusammensetzen und in einem homogenen Handelskosmos münden, den die Akteure von der Mediaangebots- und Nachfrageseite dann mit Leben füllen sollen.

Was in der Theorie als ein tolles Marktkonzept erscheint, hat bisher bei den wenigsten Advertisern und Publishern zu anhaltenden Wow-Effekten geführt. Irgendetwas scheint das Potential des Systems "Programmatic" zu stören und die Effizienzgewinne zu neutralisieren, bevor sie an dem einen oder anderen Ende sichtbar werden. Der Markt entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als uneinheitlich, die Produktwelt diffus, Quantität und Qualität schwer einschätzbar. Zudem gibt es parallel agierende Handelssysteme mit unterschiedlichen Preisen. Der vollkommene Markt als Modell der VWL existiert in der Realität zwar eh nicht, aber auch vom oft bemühten Vergleich zu Finanzhandelsplätzen, also etwa einer Wertpapierbörse wie Xetra ist der automatisierte Werbemarkt Lichtjahre entfernt.

Ich behaupte nun nicht, dass die Handelssysteme für Aktien, Rohstoffe oder auch Derivate die Preisbildung den Händlern völlig transparent machen, aber sie reagieren eben nur auf Nachfrage und Angebot und haben kein Eigeninteresse. Ein wichtiges Detail, dass die Betreiber von Xetra & Co. natürlich nicht auf eigene Rechnung Positionen kaufen und verkaufen dürfen und damit selbst zugelassene Händler in ihrem eigenen Handelssystem sind. Bei neutralen Handelssystemen fallen somit auch nur Gebühren für die Abwicklung der Order an und keine Handelsmargen, die in Steueroasen abfließen können.

Jedenfalls kein Wunder, dass viele Advertiser und auch Agenturen für diese neue Art des Einkaufs zunächst mal Spezialisten ins Rennen geschickt haben, oft Firmen mit "Managed-Programmatic-Produkten". Um eine Parallele zum Finanzsektor zu finden, könnte es sich aus Sicht der Werbungtreibenden dabei um ein strukturiertes Anlageprodukt handeln, also eine gemischte Fondsanlage am besten noch im Mantel einer Lebensversicherung. Soll heißen, dass selbst wenn die Aktien, Immobilien und Anleihen im Fondsportfolio super performen, sich die positiven Effekte beim Anleger nur sehr verhalten bemerkbar machen, da das Management der Versicherungsgesellschaft die Rendite für den Kunden zu steuern weiß. Das Konzept dieser "Anlage" ist nun mal nicht auf die Maximierung des Anlegernutzens ausgelegt, sondern dauerhaft auf den Nutzen des Unternehmens, das sich das Produkt ausgedacht hat.

Man könnte sagen, das ist ökonomisches Handeln, so funktionieren nun mal gewinnmaximierende Unternehmen. Es ist dennoch traurig, dass der größte Renditehebel in diesem Spiel die Unwissenheit und Naivität der Anleger ist.

Ich denke, dass nicht wenige Managed Services, die das Programmatic-Mediageschäft in den letzten 10 Jahren hervorgebracht hat und auch teilweise wieder verschwinden ließ, nach dem Modell "Lebensversicherung" mit ihren Kunden verfahren sind. Dabei lag der Renditeturbo in dem Teil des Kundenbudgets, den man gar nicht erst ausgab. Wenn dann noch 2 bis 3 Techanbieter zu Recht ihren Anteil vom tatsächlichen Werbebudget abzwacken, ist dies natürlich ein Hinweis darauf, warum die eingesetzten Mediabudgets der Advertiser nur in stark dezimierter Form bei den Medien ankamen und teilweise immer noch ankommen.

Die größte "Lebensversicherung" in der digitalen Werbung heißt wohl Google und das ist nicht nur auf die Intransparenz und Gewinnmaximierungsabsichten zurückzuführen, sondern Google liefert vielen Shops und Brands einfach auch den notwendigen Traffic für ihr Geschäft und Publishern nicht zuletzt wichtige Werbeumsätze. Für viele ist Google im Adtech- und Digital-Media-Wild-West einfach der sichere Hafen. Durch die frühe und clevere Positionierung sowohl bei Publishern als auch Werbekunden mit Technologie und Services ist Google zum Betreiber des global wichtigsten Handelssystems im offenen Programmatic-Markt geworden und ist bei weitem der größte Matchmaker in der datenbasierten Werbevermarktung. So gibt es auch ein deutliches Ungleichgewicht im Markt zu Gunsten von Google. Im datenbasierten Segment kann man durchaus von Marktbeherrschung sprechen. Ohne Zweifel macht Google mit seiner Mehrfachrolle als Infrastrukturanbieter, Datenverarbeiter und Media-Händler aus eigener Sicht alles richtig. Früher oder später müssen sich die anderen Marktteilnehmer fragen, ob sie mittel- bis langfristig überhaupt noch in Googles Plänen vorkommen und ob sie nicht schon vorher ihre Zukunft in die eigene Hand nehmen wollen, bevor Google darüber entscheidet.

Nun habe ich einige Worte gebraucht, um eigentlich nur eines zu sagen: Ja, es gibt jede Menge Handlungsbedarf, um den Programmatic-Standort Deutschland und seine Akteure für die Zukunft zu rüsten. Besuchen Sie die Adtrader Conference am 14. Juni und diskutieren Sie mit führenden Akteuren aus Vermarktung, Mediaeinkauf und Technologie konkrete Maßnahmen für mehr „Markt“ im Programmatic Markt.

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