Soziodemografische Daten bilden den Grundstein für das Targeting in der Werbung. Geschlecht, Alter, Einkommen und noch ein paar weitere Informationen sollen dabei Aufschluss über bestimmte Käufergruppen geben. Wirklich genau ist diese Methode jedoch nicht. Daten aus der Psychoanalyse sollen nun dabei helfen, ein besseres Bild von den Menschen zu bekommen, auf die es ankommt – die Kunden.
Welches Bild haben Sie im Kopf, wenn Sie an einen wohlbetuchten Briten über 65 Jahre denken? Bilder von teetrinkenden Männern, die ihre Wochenenden auf ihrem Landsitz bei der Jagd verbringen und wahrscheinlich einen Rolls, Rover oder Aston Martin fahren, kommen in den Kopf – vom Typ her ein Prinz Charles. Jedoch fällt in dieses soziodemografische Profil auch Ozzy Osbourne. Zugegeben, das Beispiel mag extrem wirken, aber im Prinzip zeigt es, wie wenig soziodemografische Daten über eine Person aussagen können.
An dieser Stelle hakt das psychografische Targeting ein. Hierbei handelt es sich um eine Erweiterung des soziodemografischen Targetings. Es rückt die zugrundeliegende Motivation und Persönlichkeit des Käufers in den Vordergrund und beschränkt sich nicht auf die bloßen offenkundigen Daten.
Die Idee des psychografischen Targetings gibt es schon seit einigen Jahren, richtig Bewegung in das Thema kam jedoch erst nach dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump in der Präsidentschaftswahl 2016. Das Unternehmen Cambridge Analytica (CA) behauptete, entscheidend zu Trumps Wahlsieg beigetragen zu haben. Durch psychografisches Targeting hätte man gezielt Wähler mobilisieren können. Die Idee lag nahe, diese Praxis auch für die Werbung zu nutzen, und entsprechende Schritte wurden bereits schon unternommen.
In mittlerweile fünf Kampagnen hat die Serviceplan-Tochter Mediascale in Zusammenarbeit mit der Hochschule Fresenius in Hamburg für die Automobilmarke Mini das psychografische Targeting angewendet. Allerdings mit entscheidenden Unterschieden zu der Methode von Cambridge Analytica, wie Prof. Dr. Joost van Treeck, Studiendekan der Wirtschaftspsychologie, berichtet: „Cambridge Analytica verwendet viele klassische soziodemografische und, meines Wissens nach, pseudopsychografische Daten sowie, als einzig echte Psychografie, Daten zu den Big Five aus einer Facebook-Studie von 2011. Diese fünf bekannten Persönlichkeitseigenschaften sind allerdings nur ein Teil von drei Persönlichkeitsfacetten in der Psychologie. Sie sind zwar sehr gut geeignet, um eine Persönlichkeit zu identifizieren, aber wenn es darum geht, (Klick- oder Kauf-)Verhalten vorherzusagen, sind die Big Five eigentlich nicht die erste Wahl.“
Menschliche Psyche und die Big Five
Kurz gesagt, für erfolgreiche Werbung reicht die Einteilung, nach der CA vorgegangen ist, nicht aus. Die Aufgliederung der Persönlichkeit in die „Big Five“ Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus kommt beim psychografischen Targeting erst an dritter Stelle. Am wichtigsten sei es laut van Treeck, welche drei Basismotive ein Mensch verfolgt. Sie gliedern sich in:
- Macht/Power: Das Streben danach, Einfluss zu nehmen, Dinge unter Kontrolle zu haben und zu bestimmen
- Leistung/Achievement: Das Streben nach Optimierung und dem erreichen hoher Leistungsstandards
- Anschluss: Das Streben nach gemeinschaftlichen Erlebnissen und danach, Teil einer Gruppe zu sein
An zweiter Stelle folgt dann die Einstellung eines Menschen, ob er rational, emotional oder handlungsbezogen, also nach Routine und automatisiert entscheidet.
Diese drei Grundmuster aus Basismotiven, Einstellungen und Persönlichkeit sollen schließlich zu einer guten Einschätzung es Nutzers führen und eine individuelle Ansprache ermöglichen.
Die richtigen Daten
Um die unterschiedlichen Personas im Web wiederzuerkennen, hat Mediascale Daten zum Surfverhalten mit den Ergebnissen aus Marktforschungsdaten gematcht. Die Fragen aus der Marktforschung stammen aus der klinischen Psychologie und wurden für das Marketing angepasst. Die Daten zum Surfverhalten der Nutzer stammen aus der Nero-Profildatenbank von Mediascale. Nach eigenen Angaben besitzen etwa 84 Prozent aller deutschen Onliner ein Nero-Profil mit durchschnittlich 80 Einträgen zum Surfverhalten.
Auch wenn Cambridge Analytica durch die lockeren Datenbestimmungen in den USA Personen bis auf einen Häuserblock genau ausfindig gemacht haben soll, geht es bei psychografischem Targeting nicht darum, ein möglichst präzises Persönlichkeitsprofil zu erstellen, erklärt van Treeck: „Für ein psychografisches Targeting reicht im Grunde bereits das erste Datum aus. Es geht nicht darum, ein möglichst präzises Persönlichkeitsprofil zu erstellen, sondern darum, gegen den Münzwurf anzutreten. Mit dem ersten Datenpunkt ist man besser als der Münzwurf und spätestens beim dritten Datenpunkt können wir bereits erstaunlich präzise sein. Tatsächlich müssen wir uns ja nicht mit dem Münzwurf messen, sondern mit dem Besten, was das soziodemografische Targeting zu bieten hat.“
Ganz ohne Soziodemografie kommt man jedoch nicht aus. So helfen die Daten, um Zielgruppen grob einzugrenzen. Im Fall des Minis wurden dadurch nur Nutzer über 18 Jahre und mit einem bestimmten Einkommen angesprochen. Mediascale-Geschäftsführer Wolfgang Bscheid sagt: „Es wäre unsinnig, auf einen soziodemografischen Beschnitt zu verzichten. Soziodemografie ist jedoch nicht beschreibend. Soziodemografie kann sehr gut große Nutzergruppen aus der Kommunikation ausschließen, für die das Produkt überhaupt nicht geeignet ist. Jedoch egal wie filigran die Zielgruppe damit definiert wird, es kommt am Ende keine Beschreibung einer Zielgruppe heraus, die erklärend ist und genauen Aufschluss über die Nutzer gibt.“
Das Bauchgefühl beschreiben
Wie Bscheid und van Treeck berichten, arbeiten sie nach dem erfolgreichen Auftakt der Mini-Kampagnen mittlerweile an mehreren neuen Kampagnen und Pitches für die verschiedensten Unternehmen, darunter Retail, Versicherung und Automotive. „Wir haben in der Fläche sehr viel Nachfrage und machen sehr viele Workshops. Werbetreibende fangen jetzt an, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und versuchen zu verstehen, in welchen Kampagnensegmenten es anwendbar und wie die Planbarkeit ist“, sagt Bscheid.
Für Marken bedeutet die Targeting-Option ein Umdenken, berichtet Joost van Treeck. Der Werbetreibende müsse den Willen mitbringen, das Denken in soziodemografischen Zielgruppen wie jung, alt, arm, reich, männlich oder weiblich über Bord zu werfen. Denn Soziodemografie sei überhaupt nicht mehr beschreibend für den Typen, das wäre sie eigentlich noch nie gewesen. Allein das Alter, Geschlecht, Einkommen wären keine Indikatoren für die Persönlichkeit eines Nutzers.
Auch die Kreation wird sich auf den neuen Targeting-Ansatz einstellen müssen. Fragt man Wolfgang Bscheid, so soll das psychografische Targeting nicht in die Arbeit der Kreativen eingreifen. Es biete ihnen bloß einen besseren Anhaltspunkt, von dem aus sie arbeiten können. Was früher von ihnen nach Bauchgefühl oder eigener Recherche erledigt wurde, nämlich die Einschätzung der Persönlichkeit eines Nutzers und seiner präferierten Werbeansprache, könne somit in klare psychografische Profile, die Personas, aufgeteilt werden.
Für Bscheid steht fest, dass psychografisches Targeting in Zukunft gute Chancen hat, sich zu etablieren: „Momentan wird noch daran gearbeitet, wie ein intelligenter Prozess aussieht, der die Psychografie als Grundlage für die Kreation nimmt. Für mich persönlich ist das spannend. Hier besteht ein ernst zu nehmendes Interesse auf Seiten der Marken, langfristig altmodische Modelle durch ein psychografisches zu ersetzen. Sonst würde ich so einen Prozess gar nicht anfassen. Prozessveränderungen gerade auf Europaebene brauchen einfach etwas länger. Da muss es sich auch lohnen.“
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