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PROGRAMMATIC

Programmatic: Wertschöpfung braucht transparente Kosten

Karsten Zunke, 4. Oktober 2017
sandrea izotti - Adobe Stock/Dollarphotoclub.com

Adserving, Targeting, Data, DSP, SSP, DMP, Ad Verification, Brand Safety und, und, und: Damit eine Online-Werbung automatisiert dem richtigen Nutzer im richtigen Umfeld gut sichtbar eingeblendet werden kann, sind verschiedenste technische Plattformen beteiligt. Und hinter jeder Plattform steckt ein Anbieter und somit Kosten. Diese Ad-Tech-Fee trifft Käufer und Verkäufer gleichermaßen und hängt auch immer stark davon ab, welche Services eingebunden werden. Unbestritten ist: Vom Geld, das der Advertiser bezahlt, kommt bei Programmatic nur ein Teil beim Publisher an. Mitunter nur ein kleiner Teil. Umso wichtiger wäre Kostentransparenz in der Wertschöpfungskette. Doch daran hapert es mitunter.

So hatte im vergangenen Jahr der Guardian sein eigenes Inventar gekauft, um besser nachvollziehen zu können, wie viel Geld in der Supply Chain versickert. Das ernüchternde Ergebnis ist bekannt: In manchen Fällen kamen vom 1 investierten Pfund nur 30 Pence beim Publisher an. Ebenso gab es Streit mit dem Technologieanbieter Rubicon. Der Guardian warf der SSP vor, auch von der Demandside Gebühren erhoben zu haben, ohne dass der Publisher darüber informiert wurde. Wenn die Technologiekosten der vorangegangenen Wertschöpfungskette intransparent sind, ist der Ärger quasi vorprogrammiert – oder wie im Fall von Rubicon und dem Guardian – ein handfester Rechtsstreit mit totalem Vertrauensverlust.

Ein Mix aus Komplexität

„Wer bezahlt wen, an welcher Stelle, für welche Leistung. Das ist oft ein Mix aus Undurchsichtigkeit und Komplexität, der auch den verschiedenen Blickwinkeln geschuldet ist“, erläutert Ulrich Hegge, VP Strategic Market Development DACH, Appnexus. In der Regel bezahlt der Werbetreibende seine Agentur und diese bezahlt die DSP. Die DSP wiederum tradet mit der SSP und zahlt dafür mitunter eine Gebühr an die SSP. Gleichzeitig wird die SSP vom Publisher für ihre technische Vermarktungsdienstleistung bezahlt. In dieser Wertschöpfungskette können weitere Dienstleistungen hinzukommen: beispielsweise für Targeting, Datenanreicherung, Brand Safety oder Ad Verification. Die ursprüngliche Idee ist, dass Plattformen diese Prozesse vereinfachen, indem sie eine Art Clearing-Funktion übernehmen – so kann beispielsweise auch die DSP Daten einer DMP zukaufen und verrechnen. Der Advertiser beziehungsweise die Agentur muss sich in diesem Fall nicht mit jedem einzelnen Technologieanbieter auseinandersetzen; man kauft die programmatische Auslieferung im Paket.

„Je weniger Schritte, desto besser ist dies für die Transparenz“, sagt Hegge. Bei Appnexus folgt man daher dem Plattform- und Clearinggedanken. Allerdings sollte laut Hegge jeder Anbieter in der Lage sein, offenzulegen, an welcher Stelle der Wertschöpfungskette welcher Betrag für welche Dienstleistung entnommen wurde. Bereits mehr als 60 Dienstleiter haben einen entsprechenden Code of Conduct Programmatic Advertising des BVDW unterzeichnet. Für Hegge ist dieser Schritt wegweisend. „Jeder Unterzeichner muss auf Nachfrage in der Lage sein, nachvollziehbar offenzulegen, an welcher Stelle Geld abgeflossen ist“, so der Experte. Über seine Platform Policy fordert Appnexus diese Transparenz auch von seinen Technologiepartnern ein. „Sobald wir nicht nachvollziehen können, was innerhalb eines Ad Calls oder Bid Requests passiert, machen wir unsere Partner darauf aufmerksam und klären das Problem“, so Hegge.

Auch Rocket Fuel hat den Code of Conduct unterschrieben. Noch vor Jahren agierte das Unternehmen als Ad Network und war damit vergleichsweise intransparent. So wiesen Werbenetzwerke vor Jahren nicht einmal aus, bei welchem Publisher die Kampagnen ausgeliefert wurden. Das ist heute anders. Rocket Fuel positioniert sich auf der Demandside als digitale Marketingplattform im Selfservice. Auch Managed Services bietet das Unternehmen an. „Wir schlüsseln unseren Kunden detailliert auf, welche Kosten für welche Services entstanden sind“, sagt Volker Ballueder, Managing Director DACH, Rocket Fuel. Auch wenn Advertiser auf fester TKP-Basis einbuchen, sollten Dienstleister dem Experten zufolge stets in der Lage sein, die entstehenden Kosten nachvollziehbar aufzuführen. Schriftlich.

Wir schlüsseln unseren Kunden detailliert auf, welche Kosten für welche Services entstanden sind

(Volker Ballueder, Rocket Fuel)

Intransparente Verträge sind ein Problem

„Im Wesentlichen hängt Kostenintransparenz heute mit den Vertragsmodellen zusammen“, erläutert Oliver Migge, Manager Digital bei Ebiquity Germany. So ist es bei programmatischen Buchungen üblich, Leistungen zu bündeln und auf TKP-Basis anzubieten. Die Agentur erhält eine garantierte Medialeistung, aber wie diese Leistung zustande kommt, ist dem Werbekunden häufig unklar. „Oft bleibt intransparent, welche Services hinzugekauft wurden“, sagt Migge. Erschwerend kommt ein Interessenkonflikt hinzu: „Werden beispielsweise Daten zugekauft, verbessert dies einerseits das Targeting, schmälert aber andererseits die Agenturmarge“, so Migge.

Im Wesentlichen hängt Kostenintransparenz heute mit den Vertragsmodellen zusammen.

(Oliver Migge, Ebiquity Germany)

Zur Vorsicht rät der Experte, wenn beispielsweise nicht bekannt ist, mit welchen DSPs die Agenturen im Rahmen einer Kampagne arbeiten. Werbetreibender und Agentur sollten daher vertraglich festschreiben, welche DSPs mit welchem Prozentsatz zum Einsatz kommen. „Ebenso müssen Transparenzrechte festgeschrieben werden, beispielsweise, dass die Kosten für die DSP 1 zu 1 an den Werbetreibenden weitergereicht werden“, so der Experte. Generell sollten alle Kosten offengelegt werden, auch für zugekaufte Daten. Als Konsequenz hat der BVDW nun auch ein Zertifikat Programmatic Advertising für Agenturen entwickelt. Damit ergänzt der Verband den bereits bestehenden Code of Conduct Programmatic Advertising und gibt Orientierung bei der Auswahl geeigneter Dienstleister. Letztlich muss die gesamte programmatische Wertschöpfungskette in den Transparenzprozess einbezogen sein, um das Vertrauen der Werbetreibenden nicht zu verlieren.

Joachim Schneidmadl, COO von virtual minds, sieht ein latentes Problem für die Kostentransparenz auch in den verschiedenen Vertragsverhältnissen. So gibt es in der Regel ein Vertragsverhältnis zwischen Werbekunde beziehungsweise seiner Agentur mit der DSP. Auf der Verkäuferseite ist es ähnlich. Hier besteht ein Vertragsverhältnis zwischen Publisher beziehungsweise Vermarkter und der SSP. Das bedeutet: Der Werbetreibende bezahlt die DSP, der Publisher die SSP. An diesen Stellen lässt sich über gut gemachte Verträge volle Kostentransparenz herstellen.

Zurück zur Direktabrechnung?

Doch außerdem gibt es ein Vertragsverhältnis zwischen DSP und SSP. Wenn es nun zwischen DSP und SSP zu Intransparenzen kommt, bleibt die gesamte Wertschöpfungskette intransparent. „Wenn Geld in der Wertschöpfungskette ‚verloren geht‘, dann passiert dies in der Regel in diesem Zwischenschritt zwischen DSP und SSP“, erläutert Schneidmadl. „Vor allem wenn DSP und SSP zusammenfallen, in Form eines Ad Exchanges, führt das häufig zu einem intransparenten Modell.“ Sowohl DSP als auch SSP haben laut Schneidmadl die Möglichkeit, den übergebenen Auktionspreis beziehungsweise den Clearingpreis zu verändern.

Lesen Sie die Verträge genau und hinterfragen Sie diese. Und scheuen Sie offene Auktionen!

(Joachim Schneidmadl, virtual minds)

„In den jeweiligen Systemen bleiben die Zahlen stimmig. Darauf basierend erhalten DSPs und SSPs von ihren jeweiligen Kunden ihre Gebühren. Ob zusätzlich Geld zwischendrin abgeflossen ist, wissen aber nur DSP oder SSP oder der Ad Exchange“, so Schneidmadl. Sein Rat: „Lesen Sie die Verträge genau und hinterfragen Sie diese. Und scheuen Sie offene Auktionen.“ Nur so lasse sich die Kostentransparenz in Programmatic verbessern. Die offene Auktion ist aus Schneidmadls Sicht das Einfallstor für eine intransparente Preisfindung. Auch Direktabrechnungen könnten nach seiner Ansicht die Kosten im Programmatic Advertising transparenter machen. Die Dienstleistung würde bei diesem Modell zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber geregelt, die Media rechnen Werbetreibender und Publisher direkt miteinander ab. Der Publisher würde in diesem Fall für die erbrachte Medialeistung direkt vom Werbetreibenden bezahlt werden. Außerdem stellt die SSP dem Publisher eine Rechnung über die erbrachte technische Dienstleistung aus. Ebenso würden alle anderen beteiligten Dienstleister verfahren. Der Vorteil des Clearings wäre somit aber obsolet.

Ich gehe fest davon aus, dass es schon bald technische Verfahren geben wird, die jeden einzelnen Transaktionsschritt im Programmatic Advertising transparent und nachvollziehbar machen sowie auf seine Validität prüfen.

(Ulrich Hegge, AppNexus)

Aus Sicht von Hegge ist die Direktabrechnung der Medialeistung nicht der Königsweg, um Kosten transparent zu machen. „Da in einem solchen Fall viele Einzelrechnungen zu managen sind, geht wertvolle Flexibilität verloren.“ Je nach Kampagnen- oder Deal-Struktur könne dies „sinnvoll oder katastrophal“ sein. Perspektivisch glaubt Hegge daran, dass sich mit technischen Lösungen eine Kostentransparenz herstellen lässt. Aktuell schaut sich der Dienstleister das Blockchain-Konzept sehr genau an. „Ob dies geeignet ist, mehr Transparenz herzustellen, sei dahingestellt. Aber ich gehe fest davon aus, dass es schon bald technische Verfahren geben wird, die jeden einzelnen Transaktionsschritt im Programmatic Advertising transparent und nachvollziehbar machen sowie auf seine Validität prüfen.“ Letztlich gehe es nicht darum, dass jeder jederzeit über alles informiert sein muss. Aber die Option sollte bestehen. Der Code of Conduct Programmatic Advertising ist für Hegge ein erster Schritt in die richtige Richtung.

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