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MEDIA

Digitale Vielfalt verlangt mehr Kommunikation zwischen Media und Kreation

Frederik Timm, 23. August 2017
Bild: My Life Through A Lens - unsplash.com

Früher war alles besser, hört man des Öfteren Menschen skandieren, wenn sie mit einer Neuerung nicht zurechtkommen oder in Nostalgie schwelgen. In der digitalen Werbebranche stehen Neuerungen auf der Tagesordnung. Gerade die Beziehung zwischen Kreativ- und Mediaagentur war in den letzten Jahren besonders angespannt. Doch warum? Und war deswegen früher alles besser?

In der klassischen analogen Werbewelt ging alles seinen Weg. Die Kreation lieferte Werbemittel, die dann durch die Mediaplanung in die entsprechenden Kanäle verteilt wurde. Gerade im Print- und TV-Geschäft gab es keine Überraschungen und die Kreation wusste – auch ohne Rücksprache mit der Mediaplanung –, welche Formate und Inhalte für die Kampagne notwendig waren.

Angekommen im digitalen Zeitalter, und besonders in Zeiten von Programmatic Advertising, haben sich die Spielregeln jedoch geändert. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein bestimmtes Creative ausreichend war, um mehrere Medien zu bespielen. Mittlerweile sieht sich die Werbebranche vor einem Problemtreiber mit zwei Ausprägungen: Vielfalt.

Entdecke die Möglichkeiten

Die Werbemöglichkeiten, die sich durch immer ausgefeiltere Technologien bieten, zeigen sich besonders in zwei für die Mediaplanung wichtigen Ausprägungen. Zum einen sorgt die Verfügbarkeit von Daten für immer genauere Targeting-Optionen, zum anderen hat die Anzahl der Kanäle und Devices stark zugenommen.

Allein die verschiedenen sozialen Medien machen das Problem sichtbar, vor dem Werbetreibende heutzutage stehen. Facebook, Instagram, Snapchat, Twitter und Co. – sie alle erfordern eine spezielle Ansprache und eigene Kreationen. Schon hier reicht es Kreativen nicht aus, zu wissen, dass der Kunde auch in den sozialen Medien Werben möchte. Es fängt zum Beispiel damit an, dass Snapchat nur vertikale Formate unterstützt. Die Vielfalt an Plattformen hört jedoch dort längst nicht auf. Auch App-Nutzer können potenziell mit anderen Mitteln angesprochen werden, als solche, die sich auf mobilen Webseiten befinden – oder mobile Nutzer anders als solche an stationären Geräten. Hinzu kommen die klassischen digitalen Medien, die ebenfalls in den Mediamix eingebunden sind und eigene Kreationen benötigen.

Zu der Kanalvielfalt kommt, besonders im Programmatic Advertising, die Möglichkeit, mittels Targeting sehr spitze Zielgruppen anzusprechen. Demographische Daten, wie Alter, Geschlecht und Wohnort, bilden dabei nur die Spitze des Eisbergs. Zielgruppen können mittlerweile viele Unterklassen besitzen, die alle das Potenzial besitzen, mit relevanten Kreationen und Content adressiert zu werden. Ein Beispiel: Früher haben alle Männer, vielleicht ab einem bestimmten Alter, dieselbe Werbung für einen Rasierer gesehen – „jetzt mit noch mehr Klingen“. Durch ein verbessertes Targeting wird es möglich, Männern, die sich für Motorsport interessieren, die Formel-1-Edition des Rasierers im Banner Ad zu zeigen, während andere vielleicht empfindliche Haut haben und, aufgrund ihrer Suche nach Pflegeprodukten, die Anzeige für die extra schonende Rasur bekommen.

Fortschritt verändert Machtverhältnis

Für Werbetreibende bietet sich dadurch eine breite Auswahl an Möglichkeiten zur Kundenansprache. Media- und Kreativagenturen kann diese Vielfalt jedoch einiges an Kopfzerbrechen bereiten, da es an Kommunikation verlangt, wo sonst häufig Stille herrschte. Natürlich bemühen sich Agenturen bereits um die Zusammenarbeit von Mediaplanung und Kreation, jedoch gilt es weiterhin, Gräben zu überwinden.

Bild: pilot Presse Thorsten Mandel

Thorsten Mandel, Geschäftsführer der Hamburger Agentur Pilot, erklärt, warum die gemeinsame Arbeit häufig aneinander vorbeiläuft: „Die Bereiche Media und Kreation haben traditionell unterschiedliche Sichtweisen. Vereinfacht gesagt: Mediaplaner sehen sich meist in der strategischen Führung und wünschen sich von den Kreativen eine saubere Umsetzung ihrer Vorgaben. Die Kreationsexperten hingegen sehen sich ebenso häufig im Lead und betrachten die Mediakollegen als Support für die Buchung von Werbeplatzierungen.“

Bild: Mediascale Presse Wolfgang Bscheid

Wolfang Bscheid, Geschäftsführer von Mediascale, sieht den Ursprung dieses Problems in dem Entwicklungsschub, den die Mediaplanung in den letzten Jahren erfahren hat: „Die Mediaplanung hat sich gerade im Bereich der Datennutzung in den letzten Jahren sehr stark entwickelt und stellt nun neue Anforderungen an die Kreation.“ Zudem, so Bscheid weiter, würde eine Mediaagentur – heute mehr als je zuvor – für Leistungsergebnisse der Kampagne geradestehen müssen: „Im Tagesgeschäft muss sie auf wöchentlichem Niveau Performance-Ergebnisse der Kampagne vorlegen. Eine Kreativagentur muss das nur ganz selten. In der Praxis ist es meist so: Eine Mediaagentur MUSS und eine Kreativagentur KANN sich mit den Daten auseinandersetzen.“

Durch dieses Spannungsverhältnis ist mittlerweile jedoch ein fruchtbarer Dialog entstanden, erklärt Mandel: „Das Geheimnis von erfolgreichen Kommunikationskampagnen liegt jedoch in der gelebten Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Jedem Kollegen muss klar sein, dass der größte Erfolgstreiber für wirkungsvolle Kommunikation die Qualität dieses Teamworks ist.“

Verantwortung liegt auch bei Werbungtreibenden

Wolfgang Bscheid sieht ganz klar die Agenturkunden in der Verantwortung, für die Zusammenarbeit der beiden Seiten zu sorgen und neue Strukturen zu fördern. Große Marken hätten das bereits erkannt. Die Einstellung zum Entwicklungsprozess einer Kampagne hat sich bereits geändert. „Es wird nicht zuerst produziert, sondern die neuen Strukturen nach vorne gestellt und die Werbemittel auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Teilzielgruppen hin entwickelt. Das ist die Umstellung im Kommunikationsprozess, die wir gerade erleben. Es kommt nun darauf an, wie diszipliniert die Kreation anhand dieser Vorgaben arbeitet. Bisher mussten sie sich nicht mit so genauen Vorgaben zu Teilzielgruppen befassen“, erläutert Bscheid.

Bild: Kolle Rebbe Presse Tim Keller

Aus der kreativen Ecke erwidert Tim Keller, Executive Director Brand Strategy & Innovation bei Kolle Rebbe, die Arbeit mit spitze Zielgruppen sei für die Kreation das Salz in der Suppe: „Nach der Erarbeitung einer allgemeinen Aussage für die Marke geht es daran, sich Ansprachen für die speziellen Zielgruppen zu überlegen. Genau diese Ansprache macht Kreativen Spaß. Spitze Zielgruppen sind für Kreative ein Fest, um sich auszutoben. Der entscheidende Punkt für einen Strategen ist, die Besonderheiten einer Zielgruppe herauszuarbeiten.“

Keller sieht jedoch auch die Kunden in der Verantwortung, den Rahmen abzustecken, in dem die Agenturen zusammenarbeiten sollen, und sie dazu aufzufordern, auch unabhängig von ihm miteinander zu sprechen und sich zu treffen.

Nach dem Streit der letzten fünf Jahre sieht Bscheid die Branche nun in eine konstruktive Phase übergehen, in der man eben diese Zusammenarbeit lerne. Er kann sich vorstellen, dass die Kreation sich zukünftig schon früher in die Prozesse einklinkt und auch in der Planung mitarbeitet. Auch Keller sieht Potenzial in der frühzeitigen gegenseitigen Abstimmung zwischen Media und Kreation. Jedoch sollten klare Grenzen gezogen werden. Von Kreativagenturen, die anfangen, Belange von Mediaagenturen klären zu wollen, hält er wenig: „Es ist nicht erfolgversprechend, wenn sich die Kreation in die Aufgaben der Mediaplanung einmischt und umgekehrt. Dadurch wird die Integrität der anderen Agentur untergraben. Vielmehr sollte man sich auf eine enge Zusammenarbeit verständigen, ohne in den Kompetenzbereich des anderen zu sehr einzudringen. In einem partnerschaftlichen Verhältnis darf der Mediaplaner auch mal kreativ sein und der Kreative auch mal eine Touchpoint-Idee haben.“

Getrennte Budgets das Problem?

Auch Agenturnetzwerke sieht Keller nicht als Erfolgsgaranten: „Da die Etats getrennt verteilt werden, machen große Agenturen, die beide Bereiche abdecken, nicht gleich mehr Sinn. Selbst wenn ein Etat gemeinsam ausgeschrieben wird, würde ich in Frage stellen, dass die Mediaagentur, die man im Netzwerk hat, die beste Agentur für die jeweilige Aufgabe ist. Hier kann man schnell im eigenen Netzwerk gefangen sein. Wenn man mit einer Agentur gut zusammenarbeitet, ist es letztendlich auch nicht mehr wichtig, ob man derselben Holding angehört und ob ein gemeinsamer Name auf der Tür steht.“

Interessant sei jedoch der Ansatz von Bscheid, die Budgets zusammenzulegen und die Kreation an den Erfolgen der Mediaplanung teilhaben zu lassen. Bscheid erklärt seine Ziele so: „Früher gab es das Media- und das Kreationsbudget. Mittlerweile können Kreativagenturen argumentieren, dass ihre Kreation einen Mehrwert für die Kampagne bietet, der bei der Ausspielung sichtbar wird und dadurch ein größeres Budget rechtfertigt. Kunden könnten also einen Teil der Mediabudgets für die Kreation verwenden und so trotzdem ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis erzielen.“

Fragt sich nur, inwieweit sich die kreative Teilhabe an den Erfolgen der Mediaplanung messbar machen lassen und ob die Kreation diese Rolle annehmen möchte.

Die gesamte Diskussion zeigt, dass mit der zunehmenden Technologisierung und Automatisierung auch die interdisziplinäre Kommunikation drastisch an Bedeutung gewinnt. Der Abstimmungsaufwand nimmt zu, der Faktor Mensch wird wichtiger.

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