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VIDEO

Die Sehnsucht nach Bewegtbild

Frank Puscher, 4. Juli 2016

Auf dem ersten Play Video Summit in Hamburg diskutierten Werber, Technologieanbieter und Medienvermarkter über die weiteren Entwicklungen in der Videowerbung. Sehnlichst erwartet wird eine Vergleichbarkeit zu TV, doch die scheint noch in weiter Ferne.

Es war der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort für die Organisation des ersten Play Video Summits. In Hamburg sind traditionell zahlreiche Unternehmen aus der Ad Technology ansässig und denen brennt das Thema Video unter den Nägeln. Rund 250 fanden Ende Juni den Weg ins stilvolle Kehrwieder-Theater in der Hamburger Speicherstadt.

Den Auftakt machte Ewald Pusch, Geschäftsführer von Neverest, der anhand der Fallstudie „Café Royal“ zwei Dinge zeigen konnte und damit perfekt den Rahmen für den Tag setzte. Zum einen demonstrierte die Kampagne die Leistungsfähigkeit von Video generell. Café Royal läuft mit dem Testimonial Robbie Williams nämlich frontal gegen Nespresso/Clooney. Zweitens zeigte die Kampagne auch das spannende Potential, das in einer Verzahnung zwischen TV und Online brachliegt. Die Onlineverlängerung mit Gewinnspiel fungiert als Rückkanal des TV-Spots und lässt analytische Schlüsse über dessen Wirkung zu.

Im Anschluss daran präsentierte Dirk Reinbothe von Nielsen Deutschland die nackten Zahlen zur aktuellen Veränderung der Mediennutzung. Die Entwicklung hin zu Video-on-Demand läuft in Deutschland zögerlicher als im Rest Europas. Grund dafür ist die fehlende Set-Top-Box-Kultur bzw. das starke Free-Programm. Eine Bereitschaft, zusätzlich zur GEZ für TV-Inhalte zu bezahlen, erkennt Reinbothe nicht.

Zum Abschluss der ersten Runde machte Oliver Vesper von Smartclip deutlich, dass technologisch schon so ziemlich alles Denkbare machbar ist. So kann auch die Werbung im linearen TV-Signal theoretisch online eingekauft werden – etwa von Region zu Region unterschiedlich. Der Flaschenhals in der Entwicklung sind eher die Organisationsformen, Strukturen und Vergütungsmodelle. Auch fehlt es vielen Werbern an einer vernünftigen Strategie für sinnvolle TV-Online-Kombinationen.

Die komplexe Praxis

Nach der Pause nahm die erste Paneldiskussion genau diesen Faden auf und versuchte herauszufinden, warum die Produktionsseite der Technik hinterherhinkt. Altwerber Thomas Strerath, Vorstand bei Jung von Matt, kritisierte, dass sich viele Marketer vom Content-Marketing-Hype blenden ließen und eher auf Masse als auf Qualität setzen: „Dabei wird inzwischen mehr Video produziert, als alle Nutzer theoretisch sehen können.“ Stefan Wolk, der Online-Marketingleiter von Fielmann, würde unterdessen gerne noch mehr Content produzieren, ihm fehlen aber die Ressourcen: „Wir sitzen auf einem Sack von Content.“

Die Kosten-Nutzen-Relation bei der Videowerbung ist durchaus ein Problem. Wie hochwertig muss eine Produktion angesetzt sein, damit der Nutzer sie goutiert, aber gleichzeitig die Kosten nicht explodieren. Die folgenden drei Vorträge griffen genau dieses Thema auf, in dem sie Varianten zeigten, wie man den ROI des produzierten Videos mittels cleveren Seedings steigert.

Christian Griesbach, Managing Director bei Teads zeigte das am Beispiel Outstream, also der Videoplatzierung in inhaltlichen Umfeldern. „Beim Pre-Roll feilen sich die Nutzer doch die Fingernägel“, geißelte er das aktuell populäre Vermarktungssystem.

Oliver Gades von Applicaster legte den Fokus auf den Second-Screen, der vor allem dann in den Vordergrund tritt, wenn das On-Air-Signal eine spannende Verzahnung mit mobilen Inhalten oder – im Falle Applicaster – mit einer App eingeht. Outtakes aus Videos oder ganze Erzählstränge können das Sendeformat spannend begleiten. Allerdings widmen sich diesem Thema derzeit vor allem die Sender. „Marken haben sich mit dem Ansatz Second-Screen ganz schön die Finger verbrannt. Sie sind da jetzt zögerlich“, so Gades.

Zum Abschluss des Vormittags erinnerte Andreas Groke vom Mitveranstalter Videobeat Networks an die Basics bei der Videovermarktung, und das ist eben das Seeding. Das sei längst nicht nur eine technische Angelegenheit, sondern Content muss für die verschiedenen Kanäle so aufbereitet sein, dass die Nutzer ihn nicht wegklicken oder überspringen. Da sieht ein YouTube-Video ganz anders aus als eines auf Instagram.

Messbare Vergleiche

Die erste Nachmittagssession stand ganz im Zeichen der Messbarkeit bzw. der richtigen Messgrößen. Den Auftakt machte Henning Strohschneider von Integral Ad Science, der zeigte, dass es nach wie vor an Standards fehlt, dass man aber auf dem richtigen Weg sein und sich auch die Videoriesen Google und Facebook inzwischen aktiv an der Diskussion um Standards beteiligen.

Die anschließende Podiumsdiskussion widmete sich den Herausforderungen im Tracking von Video-Content und spitzte sich dann immer stärker auf das Thema Fraud zu. Von „non-human“ Traffic über manipulierte Klickraten bis hin zu versteckter Videointegration, die eine Sichtbarkeit vorgaukelt, sei alles gang und gäbe in der Branche. Bis zu 40 Prozent der Ausspielungen können Fraud-belastet sein. Sacha Berlik von The Trade Desk pointierte unmissverständlich: „Fraud ist Betrug und gehört vor Gericht. Punkt.“

Nach der hitzigen Diskussion erfolgte ein ziemlich harter Schnitt zu versöhnlicheren, weil kreativeren Themen. Denis Müller von Tube Networks führte in das Thema Snack Content ein. Er zeigte, dass sich aufgrund verkürzter Aufmerksamkeitsspannen das Storytelling im Video ändern muss. „Millenials springen zwischen den Plattformen hin und her, da müssen zum Beispiel die Influencer mitgehen“, sagte Müller.

Thorsten Pfitzke repräsentierte im Folgenden die Agenturlandschaft und hielt ein flammendes Plädoyer für Videowerbung, die so gut gemacht ist, dass der Nutzer sie freiwillig konsumiert. Am Beispiel zweier aktueller Kampagnen aus seinem Hause Razorfish zeigte Pfitzke, dass einerseits Social Media und andererseits neue Technologien wie 360-Grad-Videos in der Lage sind, dieses inhaltliche „Opt-in“ vom Nutzer zu bekommen und mit Shares oder Viewtime zu bestätigen.

Zurück zum Thema Messbarkeit. Das dritte Panel des Tages zog den Vergleich zwischen TV und Online-Video. Man kam schnell überein, dass beide Kanäle unterschiedliche Qualitäten haben, die auch verschieden zu messen sind. Spaßeshalber erwogen Pilot und ZenithOptimedia die Fusion ihrer beiden Betrachtungsansätze.

In der auf Mediaeinkauf fokussierten Diskussion wurde deutlich, dass Online-Video häufig nicht besser funktioniert als TV, schon allein wegen der Kosten. „Wir haben derzeit einen regelrechten Targeting-Wahn bei den Agenturen, das reibt die Preise“, so Stefan Beckmann von SpotX. Und stellvertretend für die Werber holte er diesen granularen Targetingansatz, der gerne von den Online-Vermarktern ins Feld geführt wird, auch wieder zurück auf den Boden: „Wenn ich für drei Euro TKP einkaufe, dann sind die Streuverluste darin natürlich einkalkuliert.“

Die Zukunft von TV

Nach der letzten Pause stellte Marc Lauriac von Freewheel dar, warum es für die Sender so schwierig ist, sich auf Programmatic TV einzulassen: „Es kann ja nicht sein, dass in einem Werbeblock zweimal der gleiche Spot läuft, weil einer über eine Online-Plattform eingebucht wurde und der andere direkt.“ Freewheel setzt verstärkt auf die bessere Monetarisierung der Online-Contents der Sender, die diese Erlösquelle bislang brachliegen lassen.

Das folgende letzte Panel des Tages konzentrierte sich ebenfalls auf die Online-Vermarktung des linearen Programms. Einhellige Meinung war, dass mittelfristig kein Weg daran vorbeiführt, dass zumindest Teile des Inventars der Fernsehsender programmatisch buchbar werden. „Es gibt eine unheimliche Gier nach Bewegtbild zur Zeit“, pointierte Dirk Fromm von MediaCom. Gleichzeitig bremste allerdings Bernd Hauprich von SevenOne Media die Erwartungen. Es sei schon ein enormer Umbauprozess nötig, vor allem, weil im Bereich des linearen Fernsehens auch die Kabelnetzanbieter ein Wörtchen mitzureden hätten.

Mit Spannung erwartet wurde der darauffolgende Auftritt des ehemaligen YouTubers und Y-Titty-Mitglieds Oz Yilmaz. Er gewährte Einblicke in die Absurditäten dessen, was erfolgreiche Influencer mit fantasielosen Werbern erleben. Gleichzeitig hielt er ein Plädoyer dafür, dass man den „richtigen“ Influencer wählt – was keineswegs der größte sein muss – und den schon frühzeitig in die Kampagnenplanung einbezieht.

Im folgenden Vortrag erweiterte Werbetexter Michael Matthias nochmal das Aufnahmespektrum des Publikums. In einem mitreißenden Vortrag zeigte er, dass die Qualität einer Geschichte nicht von der technischen Umsetzung abhängt. Die Story braucht einen Kern, der funktioniert, und erst dann kommen Knalleffekte und Virtual Reality ins Spiel.

Apropos Virtual Reality: Der Vortrag von Sabine Georg von Google markierte das Ende des diesjährigen Play Video Summit. Georg zeigte das 360-Grad-Format und dessen Vermarktungspotenzial. Sie lud die Teilnehmer ein, dringend mit diesem neuen Format zu experimentieren: „Das wird in drei Jahren Standard sein bei Hotelbesichtigungen oder bei Automobilpräsentationen.“

Fazit

Der erste Play Video Summit zeigte eine ausgewogenen Mischung aus Content, Technik und Media und konnte eindrucksvoll belegen, dass im Thema Video-Advertising sehr viel Musik drin ist. Einzig ein paar mehr Kundencases wären noch spannend gewesen, zum Beispiel zum kanalübergreifenden Storytelling TV/Online. Aber man muss auch für nächstes Jahr noch Ziele haben.

Bild Frank Puscher Über den Autor/die Autorin:

Frank Puscher arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist in der Online-Branche. Er schreibt regelmäßig für Publikationen wie ADZINE, InternetWorld Business, Ct, Internet-Magazin oder die Absatzwirtschaft. Seine Lieblingsthemen sind Usability, E-Commerce und Online-Marketing. Seit 12 Jahren arbeitet Puscher außerdem als Moderator auf Online-Veranstaltungen. Außerdem berät er Unternehmen und öffentliche Institutionen im Umgang mit Online-Marketing und Social Media.

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