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MEDIA

Folgen eines möglichen Absprungs: Stimmen aus der Branche zum Brexit

22. Juni 2016
Bild: Liberowolf - Dollarphotoclub. com

Am morgigen Donnerstag ist es soweit, die britischen Bürger stimmen darüber ab, ob das Land weiterhin Teil der Europäischen Union bleibt oder ob Großbritannien und die Union fortan getrennte Wege gehen werden. Auswirkungen eines Austritts würde es wohl in fast jeder Branche geben, ist Großbritannien doch – hinter den USA und Frankreich – Deutschlands größter Handelspartner. Wie groß der Einfluss auf das Online Marketing wäre, ist stark von der Unternehmensstruktur abhängig wie Stimmen aus der Werbebranche von MediaCom, CrossEngage, Unruly, Exactag, Experian und Zalando verraten.

Größere strategische Bedeutung für Deutschland?

Wie sieht es beispielsweise mit den großen Agenturnetzwerken aus? Fürchten sie durch den Brexit eine Gefahr für das eigene Tagesgeschäft? Schließlich leben und arbeiten sie tagtäglich mit den Kollegen in UK an gemeinsamen Projekten für ihre globalen Werbekunden. Claus Bröckers, Chief Investment Officer bei der MediaCom in Düsseldorf glaubt aber eher nicht, dass ein Brexit das eigene Tagesgeschäft unmittelbar beeinflusst. „Das Geschäft von UK und Deutschland ist nicht 1:1 miteinander gekoppelt. Auch für die globalen Netzwerkkunden wird das Business in Deutschland genauso wie in UK weitergehen. Ich sehe keinen großen wirtschaftlichen Schaden für uns Mediaagenturen. Mittelfristig erwarte ich schon, dass Unternehmen mit Headquarter in London über eine Verschiebung ein den EU Raum nachdenken müssen. Im Banken-Sektorist dies ja sehr offensichtlich." Bröckers wittert also mit dem Brexit auch eine Chance für den eigenen Standort Deutschland:

Deutschland würde damit eine noch größere strategische Bedeutung bekommen. Wir sind dafür gut gerüstet denn wir betreuen bereits heute aus dem global hub in Düsseldorf zahlreiche internationale Kunden. Persönlich würde ich es aber sehr bedauern mit Großbritannien einen so großen Player in Europa zu verlieren.

(Claus Bröckers, Chief Investment Officer, MediaCom )

Kein relevantes Thema?

Für Unternehmen wie den Cross-Channel-Marketing-Anbieter Experian würde ein Austritt Großbritanniens aus der EU wenig am jetzigen Geschäft ändern. Gregor Wolf, Geschäftsführer Deutschland bei Experian, erklärt, dass das Unternehmen regional aufgestellt ist, wodurch das UK- und Irland-Geschäft separat vom EMEA-Geschäft läuft. Wolf führt aus: „Überdies unterliegen wir als global agierender Softwareanbieter in der EU ohnehin dem Marktortprinzip und damit den lokalen Gesetzgebungen der Märkte, in denen wir unsere Leistungen anbieten – unabhängig davon, ob wir sie innerhalb oder außerhalb der EU herstellen. Da Experian Deutschland seine Rechenzentren in Deutschland betreibt und die Datenverarbeitung und -speicherung damit gemäß den strengen deutschen Datenschutzgesetzen hier erfolgt, hätte ein Brexit auch keine datenschutzrechtlichen Effekte im Hinblick auf die Bereitstellung unseres Angebotes, unsere Kunden wären davon nicht betroffen.“

Bild: experian Presse

Für uns ist ein möglicher Brexit Großbritanniens kein relevantes Thema.

(Gregor Wolf, Geschäftsführer, Experian Deutschland)

Zudem bliebe die zentrale Problemstellung der Kunden – die Frage, wie sie mit den Konsumenten relevanter, persönlicher und effizienter kommunizieren können – unabhängig von einem potenziellen Brexit bestehen.

Austritt schafft Barrieren

Sarah Wood, Mitgründerin und Co-CEO des Technologieanbieters für Videowerbung Unruly, steht einem Brexit kritisch gegenüber. Sie sieht die Freizügigkeit des unternehmerischen Handelns sowie die Recruting-Möglichkeiten in Gefahr. So könnte es für Unternehmen wie Unruly komplizierter werden, qualifiziertes Personal aus dem Ausland in Großbritannien einzustellen.

Zusätzlich betrachtet Sarah Wood einen möglichen Austritt aus der Sicht einer Unternehmenrin in der digitalen Industrie. Hier sind zwei Dinge vordergründig. Einerseits ist die nationale Denkweise, die viele Brexit-Befürworter treibt, von der Denkweise des digitalen Wirtschaftszweigs sehr weit entfernt. Andererseits befürchtet sie zusätzliche Regularien und Komplexitäten sollte es zu einem Brexit kommen: „Aus der Perspektive eines Ad Tech Unternehmens wie Unruly fühlt sich ein EU-Austritt aus der kulturellen Perspektive absolut konträr an. Die digitalen Möglichkeiten sind deshalb so groß, weil sie global sind – unsere Kunden denken global, sie erweitern mit uns ihre globalen Video-Werbemöglichkeiten und selbst wenn sie nicht global denken, dann zumindest länderübergreifend in Regionen. Angesichts der Komplexität der digitalen Medienlandschaft möchte keiner über zusätzliche Regularien und Vorschriften nachdenken müssen.“

Gleichzeitig sieht sie mit einem Brexit zusätzliche Transaktionskosten auf Unternehmen zukommen, die insbesondere junge Unternehmen zu spüren bekommen würden.

Bild: Unruly Presse

Start-ups und Scale-ups werden unter der Unsicherheit und den möglichen Veränderungen, die ein Brexit mit sich ziehen würde, besonders zu leiden haben. Sie müssten auf zusätzliche Ressourcen und Hilfe von Wirtschaftsprüfern und Anwälten zurückgreifen, um potenzielle Änderungen rechtzeitig und korrekt umzusetzen.

(Sarah Wood, Mitgründerin und Co-CEO, Unruly)

In ihren Augen würde insgesamt die Wirtschaft in Großbritannien extrem belasten: „Ein EU-Austritt würde jahrelange Arbeit mit sich bringen, um neue Handelsbedingungen zwischen Großbritannien und der EU zu verhandeln, im Übrigen auch zwischen Großbritannien und den USA. Es wäre naiv zu glauben, dass unklare Handelsklauseln die Bereitschaft von EU-Unternehmen zur Zusammenarbeit nicht beeinflussen würden. Wenn uns am Wachstum britischer Exporte gelegen ist, können wir uns keine Insel-Mentalität erlauben."

Exactag bleibt gelassen

Jörn Grunert, Managing Director von exactag, behält in der Debatte einen kühlen Kopf: „Ein möglicher Brexit und die negativen Auswirkungen werden kurz vor dem Referendum sehr plakativ diskutiert und es werden Extremszenarien durchgespielt. Dies kann man zum großen Teil als Wahlkampf einordnen. Sollte die Mehrheit der Bevölkerung in Großbritannien am Donnerstag tatsächlich für einen Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft stimmen, dann wird wieder Nüchternheit in die Debatte eintreten."

Bild: exactag Presse

Beide handelnden Parteien entlang des Ärmelkanals wollen keinen Brexit und Außenpolitik ist in Wirklichkeit rationaler als es oft erscheint. Es ist daher zu erwarten, dass Großbritannien wahrscheinlich eine ähnliche EU-Vertragsbeziehung wie die Schweiz bekommen würde.

(Jörn Grunert, Managing Director, Exactag)

Größere Folgen sieht Grunert wie Wood eher für den Handel und Start-ups: „Gravierender könnten allerdings die kurzfristigen Auswirkungen auf die Wechselkurse sein. Dies könnte dann unmittelbare Effekte auf den Handel und wichtige Finanzierungen aus dem angelsächsischen Raum gerade für Start-ups sowie Cross-Market Acquisitions haben."

Totale Verunsicherung

Und auch die Start-up Szene selbst scheint durch den möglichen Brexit stark verunsichert zu sein. Manuel Hinz, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Martech-Startups CrossEngage bringt die Sorgen auf den Punkt: „Bei uns herrscht aufgrund des Brexits völlige Unsicherheit. Das Thema hat für uns höchste Relevanz, weil wir in UK unser zweites Büro eröffnen werden. Neben den USA ist Großbritannien unser wichtigster Zukunftsmarkt. Jetzt wissen wir nicht woran wir sind. Es ist noch völlig unklar, was ein Brexit tatsächlich für uns bedeutet." Seine Fragestellungen sind ganz konkret:

Falls Großbritannien die EU verlassen würde, wirft das für uns gesellschaftsrechtliche, steuerrechtliche wie auch arbeitsrechtliche Fragen auf. Unser Team ist international und kommt aus den verschiedensten europäischen Ländern. Benötigen unsere Mitarbeiter zum Beispiel bald ein Visum für Großbritannien?

(Manuel Hinz, CrossEngage)

Im Fall des Falles: Zalando würde sich anpassen

Auch für den Online-Shop-Gigant Zalando ist UK ein wichtiges Standbein. Entsprechend der Bedeutung für das eigene Geschäft beurteilt Vorstandsmitglied Rubin Ritter die Situation und macht dabei keinen Hehl daraus, dass Zalando ein EU-Verbleib bevorzugt: „Wir sind davon überzeugt, dass ein gemeinsamer europäischer Binnenmarktgroße Vorteile sowohl für unsere Kunden als auch für Unternehmen mit sich bringt.

Grenzübergreifender Handel, Arbeitnehmerfreizügigkeit usw. innerhalb der Europäischen Union sind Schlüsselfaktoren für den Erfolg von Zalando und anderen Playern. Deshalb hoffen wir, dass das Resultat des Referendums eine Entscheidung zu Gunsten eines Verbleibs der Briten in der Europäischen Union sein wird.

(Rubin Ritter, Vorstandsmitglied Zalando SE)

Uns ist jedoch bewusst, dass die Entscheidung über die zukünftige Beziehung zwischen Großbritannien und der EU in der Macht der britischen Bevölkerung liegt. Wir werden das Referendum am 23. Juni sowie mögliche Konsequenzen, die sich daraus ergeben, genau beobachten. Zum Zeitpunkt kursieren viele Spekulationen über die Konsequenzen eines Brexits in den Medien. Es ist wichtig sich vor Augen zu halten, dass dies aktuell eben nur Spekulationen sind. Sollte es zum Brexit kommen, werden wir unsere Prozesse hinsichtlich des britischen Marktes anpassen, um weiterhin gesetzeskonform zu handeln – genauso verhalten wir uns bezüglich der vierzehn anderen europäischen Märkte, in denen wir tätig sind."

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