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PROGRAMMATIC

Profilgestützte Kreation als zentraler Erfolgsfaktor für Programmatic Advertising

Julian Simons, 1. September 2015

„Keine Innovation der letzten zehn Jahre wird den digitalen Media-Markt so grundlegend verändern wie Programmatic Advertising.“ Stimmt, doch der Grund hierfür ist nicht, wie oft diskutiert, das technische Eco-System mit unzähligen Firmen, die darin entstanden und inzwischen auch teilweise wieder verschwunden sind, oder die Möglichkeit, jeden einzelnen Nutzer medial identifizieren und ansprechen zu können. Der wahre Grund liegt in der Verschmelzung von inhaltlicher Botschaft und medialer Adressierung, immer bezogen auf den einzelnen Nutzer, immer abhängig von der Position des Nutzers im Kaufentscheidungsprozess eines Produktes. Doch war das nicht schon immer die Aufgabe jedes Marketeers und seiner Dienstleister: die medial richtige Ansprache seiner Zielgruppe mit der richtigen inhaltlichen Botschaft zu verknüpfen? Was hat sich hier mit Programmatic Advertising geändert, wo ist der Paradigmenwechsel?

Der Werbetreibende muss verstehen, wie sehr eine inhaltlich und medial integrierte Kampagnensteuerung auf Profil- und nicht mehr nur auf Umfeldebene seinen Außenauftritt der Kampagne, also das Gesicht seiner Marke nach draußen, verändert. Er wird sein inhaltliches Denken und seine Kampagnenkonzeption radikal überdenken und überarbeiten müssen, denn nur so wird er in einer fragmentierten Mediawelt seine Kunden dauerhaft erreichen und entlang des Kaufentscheidungs-Funnel begleiten.

Genau dies jedoch passiert heute in viel zu wenigen Fällen. Wir sind umlagert von stumpfen Retargeting-Kampagnen, deren Werbemittel das Wort „Werbung“ nicht
verdient haben und deren Logik auf einer einfachen Kontaktdosenmaximierung basiert, immer mit dem einen Ziel: Der letzte Click zählt in der Zuweisung der
Order, den muss ich und nicht der andere realisieren! Und das, auch wenn dem einzelnen Nutzer mit einer Kontaktdosis von 150 nach zwei Monaten noch ein Schuh angeboten wird, den er schon vor zwei Wochen gekauft hat. Oder er penetrant von Babywindeln in Standardwerbemitteln mit drei Platzierungen pro Website verfolgt wird, nur weil seine Frau einmal auf dem gemeinsamen Rechner beim E-Commerce-Anbieter für Babysachen vorbeigeschaut hat.

Wir dürfen uns nicht wundern, denn Werbetreibende beauftragen genau das, Agenturen schlagen genau das vor und Kunden müssen genau das sehen. Da kann man verstehen, dass der Nutzer zum Ad Blocker greift. Erst wenn sich Agenturen und Werbetreibende den sechs zentralen Herausforderungen, die profilbasierte, medial und kreativ integriert aufgesetzte Kampagnenkonzeptionen leisten müssen, stellen, wird digitale Kommunikation in Zukunft den Stellenwert erreichen, den es verdient:

1. Integrierte Datennutzung

Kern jeder profilbasierten Kampagne muss eine integrierte Datennutzung sowohl im kreativen als auch im medialen Bereich sein. Was hilft die exakte mediale Aussteuerung auf einen Nutzer, von dem bekannt ist, dass er schon drei Kampagnenkontakte mit meiner Marke hatte, sich für genau drei Produkte interessiert hat und sich in einer ganz bestimmten Lebenssituation befindet, wenn die propagierte inhaltliche Botschaft immer die gleiche und oft am realen Interesse des Nutzers vorbeidesignte Kampagne ist? Kreative müssen sich in gleichem Maße mit den über den Nutzer / Interessenten / Kunden vorhandenen Daten und den damit realisierbaren Kampagnenkonzepten auseinandersetzen, wie Mediaspezialisten es schon heute tun – die Welten wachsen hier rasant zusammen.

2. Storytelling

Wir kennen den Nutzer, wir wissen, in welcher Phase der Produktentscheidung oder welchem Zeitraum vor einem Wiederkauf er potenziell steht. Wir können ihn
medial vermarkterübergreifend mit einer frei definierbaren Menge an Kontakten adressieren. Kurzum, wir können ihm eine Geschichte über mehrere Ads, über längere Zeiträume, entlang des Customer Life Cycle erzählen. Doch meist scheitern die Kampagnen exakt daran: Wir erzählen noch keine Geschichten, die über einen Spot hinausgehen, die den Nutzer immer näher ans Produkt oder an den Wiederkauf bringen. Wir sind inhaltlich noch immer rein auf Push ausgelegt, dass der Nutzer uns, unser Produkt und unsere USPs versteht und akzeptiert. In Zukunft werden wir über Pull agieren, versuchen unseren Kunden zu verstehen und unsere Kampagnen danach ausrichten, was er werblich erleben möchte. Und dies hört nicht in der Kampagne auf, es geht über die Website hin zum Interessenten und Kundendialog. Nur dann werden Geschichten erlebt und wertgeschätzt werden.

3. Regelbasierte Kampagnensteuerung statt Black-Box-Algorithmen

Schauen wir uns die heute effizienteste Form von Programmatic Advertising, was die harte Leistungsbewertung über bspw. den CPO betrifft, an, so kommen wir an Retargeting nicht vorbei. Das Problem daran: Hier wird immer derselbe Rechner angesprochen, neue Potentiale bleiben unberührt. Um diese Potentiale jedoch heben zu können, brauchen wir v. a. eines: Informationen über das Verhalten des Nutzers und die Reaktion auf unterschiedliche Kampagnenansätze und inhaltliche Argumentationen. Und damit braucht medial und kreativ integriertes Programmatic Advertising v. a. eines: regelbasierte Kommunikation mit transparenten Entscheidungsmechaniken statt algorithmische Blackbox Tools. Nur so sind A/B-Testings möglich, nur so können Learnings kanalübergreifend geteilt werden. Wenn das System nicht transparent Regeln offenlegt, nach denen wir optimieren können, dann ist eine kreative Weiterentwicklung unmöglich.

4. Kreation muss – auch wenn automatisiert gesteuert – kreativ sein können

Wir kennen sie alle, die klassischen Retargeting Banner: drei Produkte, Preis und Streichpreis in einem hässlichen Frame durchrotierend, schwer zu ertragen für einen Kreativen und das Hauptproblem, weswegen heute noch immer so wenig wirklich kreative Ansätze über Programmatic Advertising umgesetzt werden. Kreation muss möglich werden, nur dann wird sich Storytelling durchsetzen, nur dann werden andere Formate als Standard IAB in Programmatic Advertising großflächig verfügbar werden. Wir brauchen die kreative Leitidee, wir brauchen die Geschichte und wir brauchen die Flächen, um diese Geschichten erzählen zu können.

Großformate, Bewegtbild, Native mit profilbasierten Inhalten – die Treiber für mehr Exzellenz in Kreation. Erst wenn diese verfügbar sind, werden Kreative den
Mut und v. a. die Lust haben, sich mit den Möglichkeiten von Programmatic Advertising auseinanderzusetzen.

5. Branding pusht Programmatic Advertising, inhaltlich und medial

Programmatic Advertising war bis vor wenigen Monaten noch primär eine Form des effizienten Mediaeinkaufs, vornehmlich genutzt für Performance-Display-Kampagnen. In diesem Umfeld ist die Leistungsbemessung klar umrissen und der Erfolg meist einfach zu verorten. Doch eben genau diese Form der Kampagne ist endlich und weckt kein Interesse, sie holt ab. Branding-Kampagnen arbeiten vorher, sie wecken Interesse und „schubsen“ in den Funnel. Und genau hier kann integriertes Programmatic Advertising mehr tun, als bisher je möglich war: individuelle Ansprache, individuelle Vorteilsargumentation, individuelle Welten – eben ein guter Verkäufer und Markenbotschafter im Netz, diese Vision kann endlich Wirklichkeit werden.

6. Wandel auch auf Agenturseite – gerade dort

Wird in Zukunft ein Mitarbeiter auf Kundenseite Millionenbudgets und Datentöpfe am Dashboard seiner DSP und DMP verwalten und über ein algorithmisch betriebenes Bannertool 2.000 Werbemittel in Realtime erstellen und einsteuern – ohne Agenturen? Dieses Szenario ist meines Erachtens weit entfernt von jeglicher Realität. Warum? Werbetreibende brauchen mehr denn je Spezialisten, die verstehen, was es bedeutet, den Einzelnen zu adressieren, und trotzdem in der Lage sind, ein Briefing für die große Idee zu formulieren – medial und kreativ integriert, in mehrstufigen Kampagnenkonzepten.

Gesucht sind Analysten, die heterogene Datenbestände beurteilen, daraus Reaktionsmuster erklären und darauf basierend Optimierungen vorschlagen können, um einen Kunden zur richtigen Zeit mit der richtigen Botschaft in der richtigen Frequenz zu adressieren. Und last but not least brauchen sie Kreative, die mehr und mehr in Facetten arbeiten, die keine Angst vor Testings und Optimierungen haben und verstehen, dass kleine Nuancen in der Argumentation oft mehr bewirken als die eine große Idee. Agenturen, die dies in Zukunft leisten, werden unersetzlicher sein als je zuvor. Und die, die es nicht leisten, werden in der Tat ersetzt.

Zum Text:

Der Beitrag ist erstmalig in der dritten Ausgabe des Programmatic Advertising Kompass des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. erschienen. Dieses Kompendium der Fokusgruppe Programmatic Advertising im BVDW stellt in der diesjährigen Ausgabe Qualitätsaspekte eines erfolgreichen Einsatzes von programmatischer Werbung in den Mittelpunkt – von der Media über die Kampagnensteuerung bis hin zur Konzeption. Ausgewiesene Branchenexperten geben Werbetreibenden und Agenturen in ihren Beiträgen alle relevanten Instrumente an die Hand und klären über Chance, Potenziale und auch Stolperfallen auf. Der Programmatic Advertising Kompass 2015/2016 ist ab sofort auf der BVDW-Website als Download.

Bild Foto Julian Simons Über den Autor/die Autorin:

Julian Simons ist seit Juni 2006 geschäftsführender Gesellschafter der mediascale GmbH & Co. KG. In dieser Position verantwortet er im Unternehmen neben dem Personal und den Finanzen die strategische Kundenentwicklung. Simons ist seit der Gründung der mediascale im Jahr 2002 im Unternehmen. Seit 2013 engagiert er sich zudem als stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Programmatic Advertising im BVDW und als Mitglied im Deutschen Datenschutzrat Online-Werbung (DDOW).

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