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DIGITAL MARKETING - Interview mit Matthias Wahl

Frischer Wind beim BVDW?

Jens von Rauchhaupt, 6. Juli 2015

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) hat seit Juni mit Matthias Wahl einen neuen Präsidenten. Der bisherige Präsident Matthias Ehrlich hatte sich aus Unternehmensgründen nicht wieder zur Verfügung gestellt. Matthias Wahl, der neben seiner Verbandstätigkeit auch Geschäftsführer des Premiumvermarkters OMS ist, galt lange Zeit als schärfster Kritiker des Programmatic Advertisings. Wir sprachen mit ihm über den automatisierten Mediaeinkauf, Adblocker, den europäischen Datenschutz und die zukünftige Ausrichtung des BVDW.

Adzine: Herr Wahl, nicht nur Sie als Präsident sind neu im Amt, auch das gesamte Präsidium wurde komplett neu gewählt. Die Vizepräsidenten Christoph N. von Dellingshausen, Harald R. Fortmann, Ulrich Kramer und Burkhard Leimbrock sind nicht mehr an Bord. Steht der BVDW vor einer Art Zeitenwende oder heißt es eher „Business as usual“?

Matthias Wahl: Als ‚Zeitenwende‘ würde ich diese Neuwahl des BVDW-Präsidiums nicht bezeichnen wollen, auch wenn bis auf Achim Himmelreich jetzt lauter neue Köpfe an Bord sind. Nahezu alle jetzigen Präsidiumsmitglieder sind langjährige Sprecher verschiedener Gremien im BVDW, so dass allein schon hier Kontinuität sichergestellt ist. Und die großen, grundsätzlichen Themen für den Verband stehen ja fest. Gegebenenfalls wird es an der ein oder anderen Stelle eine Verschiebung der strategischen Schwerpunkte geben, aber die grundsätzliche Positionierung bleibt: Der BVDW steht für die gesamte Bandbreite der digitalen Wertschöpfung und Wirtschaft und ist das zentrale Kompetenzzentrum für die digitale Transformation.

Adzine: Ihr Vorgänger Matthias Ehrlich kündigte Anfang 2015 an, neue Branchensegmente erschließen zu wollen, werden Sie hier die Arbeit Ihres Vorgängers nahtlos fortführen? In welchen Bereichen wollen Sie mit dem BVDW die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft besonders unterstützen?

Matthias Wahl: Die gesamte Wirtschaft befindet sich in einem gewaltigen digitalen Umbruch Das betrifft nicht nur Handel und Dienstleistungen, sondern vor allem auch die klassischen Industrien. Die einzelnen Branchen sind hier, insbesondere was auch die Disruptivität der digitalen Transformation betrifft, unterschiedlich weit: Technologie, Medien und Unterhaltung, Handel und Finanzdienstleistungen sind davon schon stärker erfasst als bspw. die pharmazeutische Industrie. Sie alle will und soll der BVDW mit seiner Kompetenz, seinem Know-how und seiner vielfältigen Expertise in diesem Prozess begleiten.

Adzine: Es gibt ja auch andere Verbände, die sich diese Aufgabe auf die Fahne geschrieben haben, ist man da nicht weiterhin in einer Konkurrenzsituation?

Foto: BVDW Matthias Wahl

Matthias Wahl: Grundsätzlich liegt die Stärke des BVDW in der Konzentration auf die digitale Wirtschaft, und dies seit nun 20 Jahren. Natürlich haben auch andere Verbände das Thema Digital auf die Agenda genommen und beginnen es jetzt punktuell zu besetzen. Unser Vorteil als BVDW ist hier aber sicherlich unser ganzheitlicher Blick auf die Themen der digitalen Wirtschaft und unsere ganzheitliche Expertise in der digitalen Wertschöpfung. Mit dem vielfältigen und vielseitigen Know-how seiner Mitglieder ist der BVDW das native Kompetenzzentrum in Sachen Digitalisierung – niemand beherrscht so gut wie wir die Schnittstelle Mensch-Maschine. Das macht uns zur ersten Adresse für die Politik, Gesellschaft und andere Wirtschaftsbranchen, wenn es um rechtliche, soziale und ökonomische Fragen der digitalen Transformation geht. Und hier wollen und werden wir unsere führende Rolle weiter stärken.

Adzine: Wird der BVDW eigentlich weiterhin fachlicher und strategischer Partner der Tools Expo bleiben?

Matthias Wahl: Digitale Unternehmensprozesse sind eine Entwicklung, die längst nicht mehr nur die Unternehmen der digitalen Wirtschaft betrifft. Immer mehr bestimmt die digitale Transformation die Art und Weise, wie auch Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung ihre Geschäftsabläufe konzipieren und steuern. Webbasierte Businesslösungen sind dabei ein zukunftsweisender Trend, den die Tools mit einer fokussierten Branchenplattform bedient. Wir werden uns überall engagieren, wo relevante Themen der Digitalisierung und unseres Verbandes anstehen – in welcher Form auch immer.

Adzine: Die Entwicklung der Online-Werbung hängt ganz wesentlich von den gesetzlichen Rahmenbedingungen im Datenschutz ab. Ob bestehendes deutsches Recht (und damit die Rechtmäßigkeit des Cookie-Opt-out) für die E-Privacy-Richtlinie ausreicht, scheint ja weiterhin strittig. Wie wollen Sie sich als BVDW Präsident auch auf politischer Ebene mehr Gehör verschaffen?

Matthias Wahl: An Gehör mangelt es uns nicht – hier hat der BVDW in den letzten Jahren maßgeblich an Stimme und politischem Gewicht gewonnen. Jetzt geht es um die politische Durchsetzung auf europäischer Ebene. Wir haben in Deutschland mit der Pseudonymisierung und dem Opt-out eine praxisnahe und effektive Lösung gefunden, Datennutzung und Datenschutz zu harmonisieren. Das hat auch die deutsche Regierung und Politik anerkannt und wird auch von der Europäischen Kommission vollumfänglich unterstützt. Die aktuell wieder aufgeflammte Diskussion um die Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie in Deutschland ist nicht nur politisch motiviert, sie kommt auch noch zur Unzeit. Denn die Kommission fängt bereits diesen Sommer mit der Evaluierung der bereits bestehenden Richtlinie an – mit dem Ziel, diese zu überarbeiten. Insofern sollte sich die Bundesregierung eher darauf konzentrieren, als bereits geklärte Fragen wieder aufzuwärmen. Abgesehen davon werden wir uns weiter mit Nachdruck für diese gesetzliche Regelung und einen freien, selbst regulierten Markt einsetzen, der seinen Mitgliedern keine Nachteile im globalen Wettbewerb aufzwingt. Das gilt insbesondere für die Reform des europäischen Datenschutzrechts, denn hier haben die entscheidenden Verhandlungen im Rahmen des Trilogs gerade begonnen. Hier stehen wir im kontinuierlichen engen Austausch mit den Entscheidungsträgern in Berlin und Brüssel.

Adzine: 20 Jahre Displaywerbung, die Spendings steigen weiter, wenn auch nicht mehr so dynamisch, doch Adblocker-Anbieter wie Adblock Plus machen den Vermarktern das Leben schwer. – Wie kann der BVDW hier die Verlage und ihre Vermarkter, aber auch die Advertiser unterstützen? Ist vielleicht eine technische Lösung geplant? Oder wäre es zum Beispiel nicht Zeit, eine gemeinsame Aufklärungskampagne zu starten, die sich an die Verbraucher richtet? Rechtlich ist doch gegen Adblock Plus kaum mehr etwas auszurichten.

Matthias Wahl: Ob Adblocker justiziabel sind oder nicht, ist noch lange nicht entschieden. Selbst wenn, sollten wir darauf allein nicht setzen. Und natürlich wird auch technisch an dem Thema gearbeitet. Ein erster Schritt waren Adblocker Detection Tools. Mittlerweile gibt es Dienstleister, die Werbung so verpacken, dass sie durch Adblocker nicht als solche erkannt und ausgespielt wird, wobei, das will ich ganz klar sagen, es nicht der richtige Weg sein kann, dass nur solche Vermarkter ihre Werbung ausspielen können, die entsprechende Technologien einsetzen. Ich denke, wir müssen an zwei Punkten ansetzen: Werbetreibende müssen die Bereitschaft entwickeln, auch im Internet weniger und dafür wirksamere Werbung zu schalten und dafür angemessene Preise zu bezahlen. Damit reduziert sich die Werbelast und die Publisher können trotzdem die Refinanzierung hochwertiger Angebote sicherstellen. Gleichzeitig müssen wir die Nutzer weiter über ihre erhebliche Konsumentenrente aus kostenfreien, werbefinanzierten Internetdiensten – laut einer McKinsey Studie inzwischen sicher deutlich über 40 Euro pro Haushalt pro Monat – aufklären und sie dafür sensibilisieren, dass diese in Gefahr ist, wenn der Konsens, für die Nutzung von Inhalten und Services im Internet entweder zu bezahlen oder alternativ Werbung zu akzeptieren, durch die Nutzung von Adblockern aufgekündigt wird. Dazu gibt es ja bereits Kampagnen im Markt.

Adzine: Der Nachweis zur Sichtbarkeit (Viewability) von Videowerbung und Sonderwerbeformen ist in Deutschland noch immer nicht wirklich standardisiert. Sollte der BVDW hier nicht gemeinsam mit dem OVK eine Harmonisierung bzw. Standardisierung der Messmethodik durchsetzen?

Matthias Wahl: Der BVDW arbeitet kontinuierlich an der Entwicklung von Qualitätsstandards, insbesondere auch im Bereich Viewability. Das schließt neben der Standardisierung der Messsysteme, der Messbasis, des Messbereichs, des Messpunkts und der Werbeformen auch die der Messmethodik von Videowerbung und Sonderwerbeformen mit ein.

Adzine: Sie gelten nicht gerade als großer Freund des automatisierten Mediahandels (Programmatic Advertising). „Robot Marketing und Premium passen nicht zusammen“ ist eine Ihrer Aussagen. – Inzwischen vermarkten auch die Top-AGOF-Medienhäuser gut 10 Prozent ihres Inventars über solche Systeme. Haben Sie inzwischen Ihre Haltung zum plattformbasierten Mediahandel geändert?

Matthias Wahl: Ich gebe gerne zu, dass ich persönlich durchaus meine Zeit gebraucht habe, mich mit dem Thema anzufreunden. Wir haben uns bei OMS sehr früh damit beschäftigt und hier unseren eigenen Weg gefunden. So wie sich die Entwicklung im deutschen Markt mit der Differenzierung zwischen Programmatic und Programmatic Premium darstellt, bietet die Automatisierung auch Qualitätsvermarktern nachhaltig ein ergänzendes Vermarktungsmodell zu den klassischen Kanälen. Das ist wichtig und gut.

Adzine: Wie bewerten Sie als BVDW-Präsident die jüngst vereinbarte Kooperation zwischen AdAudience und InteractiveMedia? Ist das nicht der langersehnte Befreiungsschlag der deutschen Topvermarkter, um gemeinsam Google, Facebook und Co. Paroli zu bieten?

Matthias Wahl: Der Ansatz ist sicher interessant und es wird jetzt zu beobachten sein, was sich daraus entwickelt.

Adzine: Die mobile Werbung kommt – bei allem respektablen Wachstum der letzten Jahre – nicht wirklich in Schwung. Das ist allerdings ein weltweites Phänomen. Wie bewerten Sie die Zurückhaltung der Brand Advertiser und was kann ein Branchenverband hier tun, um die Entwicklung der mobilen Werbung positiv zu beeinflussen?

Matthias Wahl: Ich sehe nicht, dass mobile Werbung nicht in Schwung kommt – seit Jahren ist Mobile neben Bewegtbild der stärkste Wachstumstreiber von Display-Werbung. Das werbliche Potenzial wird aber derzeit noch nicht voll ausgeschöpft. Als Verband ist es unsere Aufgabe, die Leistungskraft mobiler Werbung insbesondere durch Standardisierungen in allen relevanten Bereichen zu befördern und Wirkungsnachweise zu erbringen. Das tun wir regelmäßig, zuletzt z. B. mit einer Studie zur Werbewirkung interaktiver Rich-Media-Werbeformate.

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