Die Digitalisierung hat das Marketing fest im Griff. Insbesondere das Online-Marketing. Neben immer stärker automatisierten Werbeauslieferungs- und Aussteuerungstechnologien (sogenannte Adtech) stehen den Advertisern auch immer mehr Marketingtechnologien zur Verfügung, mit denen die Auslieferungstechnologien gespeist werden können. Diese Marketingtechnologien sammeln und organisieren Daten – und das bevorzugt in Silos. Hinzukommt oft eine Lücke zu den Werbeauslieferungssystemen. Die Frage ist, wie können diese Lösungen zusammenwachsen?
Adserving-Lösungen, Trading Desks, DSPs, Ad Exchanges, SSPs oder Tools für Bidmanagement, Targeting und Ad Verification: Werbetechnologie hat viele Gesichter. Die unter dem englischen Begriff Adtech zusammengefassten Lösungen ermöglichen eine immer genauere Auslieferung von Online-Werbung. Doch dies ist nur die Spitze des Eisberges. Im Hintergrund stehen dem Marketing zahlreiche weitere Tools zur Verfügung, die sich unter dem Begriff „Marketingtechnologie“ zusammenfassen lassen. Hier sind neben den umfassenden Online-Marketing-Suiten unter anderem Lösungen für das Customer Relationship Management (CRM), für Datenanalysen und das Nutzertracking verbreitet. Unter anderem. So hat Scott Brinker, Co-Founder & CTO beim Softwareanbieter ion interactive, in seinem Blog kürzlich eine Infografik zur Marketing-Technologie-Landschaft gepostet – mit knapp 2.000 Anbieterfirmen. Selbst wenn jede Firma nur eine Software anbieten würde, wäre das ein überaus großes Angebot, bei dem die Grenzen zwischen den Lösungen naturgemäß verschwimmen, so dass eine klare begriffliche Abgrenzung zwischen Marketing-Technologie und Ad-Technologie nicht immer möglich ist.
Kampf den Silos
Aber fest steht: Um Kundenwünsche zu erkennen und mit relevanter Kommunikation und Angeboten zu beantworten, muss ein Unternehmen die Historie und den aktuellen Kontext des Kunden kennen. „Marketingverantwortliche sammeln Daten aber an verschiedenen Stellen. Beispielsweise haben große Unternehmen oft spezialisierte Fachbereiche, wie das digitale Marketing, einen Fachbereich für traditionelle Kanäle wie Printwerbung oder auch die Öffentlichkeitsarbeit“, erläutert Christian Jenewein, Director Marketing Consulting, Marketing Applications bei Teradata. Dem Experten zufolge verlieren die Verantwortlichen auch auf dem Weg zwischen Marketing und Verkauf beziehungsweise Kundenservice eine Menge Information. „Es werden verschiedene Datenbanken, CRM-Systeme oder andere Tools genutzt, die nicht miteinander verbunden sind“, so Jenewein. Ein Abgleich finde – wenn überhaupt – oft nur über manuell generierte und eingespeiste Excel-Dateien statt.
Zudem gibt es verschiedene Datentypen (zum Beispiel Kaufhistorien, CRM- oder Social-Media-Daten) und entsprechend auch verschiedene Technologien für die Speicherung großer Datenmengen oder Plattformen für die Analyse von Daten und deren Zusammenhänge. Die jeweilige Plattformtechnologie berücksichtigt diese Unterschiede bei den Datentypen und ist darauf spezialisiert. Gerade für große Unternehmen sei darum eine einzige Lösung nicht zielführend für die Datenspeicherung, -verwaltung, und -nutzung, sagt Jenewein. „Damit aus spezialisierten Plattformen aber keine Silos werden, ist es zentral, dass diese miteinander verbunden sind und dem Nutzer, zum Beispiel dem Marketer, einen einheitlichen Blick auf seinen Kunden erlauben“, so der Experte. Teradata bietet darum beispielsweise die sogenannte Unified Data Architecture (UDA) an. Sie verbindet unterschiedliche Datenquellen von Teradata, aber auch von anderen Anbietern zu einem Ökosystem.
Besseres Zusammenspiel nötig
Doch nicht nur die einzelnen Marketingtechnologien sollten nahtlos ineinandergreifen. Wünschenswert wäre auch ein harmonisches Zusammenspiel mit den Auslieferungstechnologien von Werbung. Aus Sicht von Holger Mews, Senior Vice President Europe bei Adform, kann dies nur klappen, wenn die Basis eine einheitliche, deduplizierte Tracking-Lösung ist. Ebenso sollten ein intelligentes Daten-Matching und eine Real-Time-Synchronisationsfähigkeit möglich sein. Damit Systeme einheitlich kommunizieren können, müssen sie dem Experten zufolge möglichst „nahe realtime“ Daten verarbeiten und bereitstellen können. „Hier muss ein Abgleich und eine Vereinheitlichung vorgenommen werden“, so Mews.
Das Bereitstellen von standardisierten Import- und Export-APIs der jeweiligen Ad- sowie Marketingtechnologielösungen ist für ihn ebenfalls eine wesentliche Voraussetzung, damit beide Technologiewelten besser zusammenwachsen. Trotz der notwendigen Standardisierung werde fast jede Integration aber auch ein stückweit „custom-made“ sein, meint Mews, „da jeder Advertiser in seinem Kosmos mit Eigenarten und Spezifika aufwarten wird. Daher ist ein professionelles Projektmanagement unabdingbar, um eine Integration und ein Zusammenspiel seriös zu gewährleisten.“
Prozesse und Strukturen gehören auch dazu
Auch Nico Zorn, Mitgründer und Partner der Saphiron Digital Strategy Consultants, sieht die Herausforderungen nicht nur im technischen Bereich. „Häufig wird unterschätzt, dass nicht nur die Technologie, sondern zunächst Prozesse, Verantwortlichkeiten und Strukturen innerhalb des Unternehmens angepasst werden sollten“, sagt Zorn. Wenn einzelne Abteilungen strikt nach Kanälen aufgebaut werden, sei es kaum verwunderlich, dass beispielsweise die E-Mail-Marketingabteilung primär ihren Kanal betrachtet und sich wenig Gedanken darüber macht, wie generierte Daten im Display Advertising genutzt werden könnten.
„Zielführender kann etwa eine organisatorische Struktur sein, die auf den verschiedenen Phasen des Kundenlebenszyklus basiert“, rät Zorn. Anstatt einer „Social-Media-Abteilung“ gebe es dann zum Beispiel eine Kundenbindungseinheit, die unter anderem Social-Media-Kanäle nutzt, um Serviceanfragen zu beantworten und die Kundenbindung zu stärken. „In einem nächsten Schritt sollte technisch und juristisch geprüft werden, wann und wo Daten generiert werden und wofür diese Daten genutzt werden dürfen. Anschließend führt kein Weg daran vorbei, Schnittstellen zwischen den Systemen zu schaffen oder die Systemlandschaft zu konsolidieren“, so Zorn.
Noch viel Arbeit
Doch viele Technologieanbieter haben es dem Unternehmensberater zufolge bislang versäumt, umfassende und standardisierte Schnittstellen für ihre Systeme bereitzustellen. Das Ergebnis führt nicht nur zu Datensilos, sondern auch zu eingeschränkten Möglichkeiten im Controlling und im Kampagnenmanagement.
Das Problem dabei: Dutzende verschiedene Online-Marketingsysteme und -tools sind – zumindest für größere Unternehmen und Konzerne – irgendwann kaum noch sinnvoll steuerbar. Dementsprechend beschäftigt sich Saphiron im Rahmen seiner Beratungsmandate beispielsweise immer häufiger mit der Einführung von Multichannel-Plattformen und Systemen für ein übergreifendes Kampagnenmanagement.
Neue Technologien drängen
Mews beobachtet auf Seiten der Advertiser zudem einen Trend zum Inhousing. Das bedeutet eigene Datenhoheit, eigene Daten- und Technologiekompetenz, Vereinheitlichung von Technologien. „Nicht mehr die Agentur bestimmt die Nutzung der Technologie, sondern der Advertiser konsolidiert die Anzahl der eingesetzten Technologien, fokussiert dabei auf Kernbereiche und integriert diese sinnvoll miteinander“, so der Marktbeobachter.
Dieser Entwicklung entgegen stehen jedoch immer neue Technologien, die nun ebenfalls vom Backoffice-Technologiepark abgedeckt werden müssen. Zum Beispiel kommen mit den Smartwatches jetzt neue Endgeräte hinzu. Mit Hilfe von Marketingtechnologien können sie in die Werbestrategien eingebunden werden. Hier bietet sich zum Beispiel die Kombination mit der Beacon-Technologie an, da die Handgelenkcomputer naturgemäß häufig die Bluetooth-Funktion aktiviert haben, mit der auch Beacon funktioniert. Mit Hilfe der Beacon-Technologie können Nutzerbewegungen unter anderem auch innerhalb von Ladengeschäften getrackt werden. Die gesammelten Informationen – insbesondere zum Einkaufsverhalten vor Ort – können helfen, Konsumenten zielgerichteter online zu umwerben. Der POS kann damit zum messbaren Bestandteil der Customer Journeys werden.
In den Strukturen verankern
„Kundenwissen ist bereits jetzt ein zentrales Asset jedes nachhaltig agierenden Unternehmens. Dies wird in Zukunft sogar noch entscheidender werden“, sagt Jenewein. Viele Firmen investieren bereits in Möglichkeiten, selbst möglichst große Steuerungsmöglichkeiten der Kundenkommunikation zu besitzen, um so gleichzeitig auch das eigene Kundenwissen auszubauen. Dies wird nach Ansicht von Jenewein künftig immer mehr auch Adtech betreffen, die direkt mit der zentralen Kundendatenplattform interagieren wird, um auch hier zielgerichteter Kampagnen in Echtzeit aussteuern zu können.
„Die Anzahl und Bandbreite der Speziallösungen wird weiter steigen, gewinnen werden die übergreifenden Plattformanbieter“, prognostiziert Andreas Dürr, CMO von Brandmaker. Lösungen wie die Marketing Efficiency Cloud von Brandmaker decken bereits den gesamten Marketingprozess ab: von der Planung und Budgetierung über die Kreation und Entwicklung bis hin zur Werbemittelproduktion und -logistik. Eine Analyse und Erfolgskontrolle vervollständigt den Prozess, die Ergebnisse können dann direkt in die Planung und Umsetzung von Folgemaßnahmen einfließen. Dürr ist überzeugt: Um seiner strategischen Rolle gerecht werden zu können, muss das Marketing nicht nur marketinginterne Silos überwinden, sondern darüber hinaus zentral im Unternehmen verankert werden. „Das erfordert Schnittstellen beispielsweise zum Vertrieb und seinem Customer Relation Management oder zum Product Information Management. Wer hier über nahtlose Übergänge und schlanke Prozesse verfügt, ist klar im Vorteil.“
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