Facebook ist bisher ein Paradies für Marken. Hier treffen Hersteller ihre Zielgruppe direkt, können sie ansprechen, mit ihr interagieren, sie targeten und sie erfahren Dinge über ihre Interessenten, für die jede herkömmliche Marktforschung sechsstellige Summen verschlingen würde. Und das Beste: Viel Werbewirkung gab es bisher für umsonst. Wer eine Unternehmensseite hatte, konnte nach Belieben Inhalte und Botschaften posten, die automatisch im Newsfeed der Fans aufpoppten. Reichweite für umme, Marketing für lau – damit ist nun Schluss.
Eine Untersuchung der Werbeagentur Ogilvyhat vor einigen Wochen viele Marketer wach gerüttelt. Die Social-Experten hatten herausgefunden, dass die organische Reichweite von Inhalten, die auf einer Facebook-Page gepostet werden, seit Herbst vergangenen Jahres stark sinkt. Tendenz: Es könnte gegen Null laufen. Irgendwann.
Im Dezember vergangenen Jahres hat das soziale Netzwerk seinen News-Feed-Algorithmus noch einmal grundlegend geändert. Mehr als 100.000 Indikatoren sollen das Ranking eines Inhaltes angeblich beeinflussen. Mittlerweile ist der Facebook-Algorithmus ebenso sagenumwittert wie der Google-Algorithmus. Wichtiger denn je ist es nun, qualitativ hochwertige Inhalte zu produzieren, die für den Nutzer tatsächlich relevant sind. Kostenlose Reichweite ist auf Facebook kein Selbstläufer mehr. Erste Marken meldeten sich zu Wort, man müsse seine Facebook-Strategie nun überdenken. Einige wenige schalteten ihren Auftritt tatsächlich ab. Der in sozialen Netzwerken häufige geäußerte Vorwurf: Man habe Geld in die Hand genommen, um eine Facebook-Page zu bauen und nun reißt das soziale Netzwerk die teuer gebauten Brücken zu den Fans ein.
Eine keineswegs abwegige Überlegung. Denn wozu soll eine Unternehmenspräsens gut sein, deren Inhalte kaum noch jemanden erreichen? Doch ganz so einfach ist es nicht. Während die einen davon sprechen, dass Facebook die Reichweite organischer Inhalte kappt, sind die anderen der Meinung, dass Facebook vielmehr die Qualität der Inhalte zwangsweise erhöht. Und von einer höheren Qualität profitieren in der Regel alle Beteiligten.
Sachlicher diskutieren
Aus Sicht von Reza Malek, Geschäftsführer von Neo@Ogilvy, sollte die Diskussion in Deutschland jetzt sachlicher und objektiver geführt werden. „Die Drosselung ist völlig nachvollziehbar“, sagt Malek. „Und es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sowohl für Facebook als auch für die Nutzer“.
Insbesondere dem sogenannten Like-Baiting hat Facebook den Kampf angesagt. Aber auch andere belanglose Posts, wie Tierfotos oder Blondinenwitze, dürften es künftig schwerer haben, sich zu verbreiten. Auch vieles, was Marken ihren Nutzern an Inhalten anboten, hatte in jüngster Zeit wenig mit der Marke zu tun. Viele Posts, wenig Relevanz. Damit waren User schon lange überfordert.
Nicht zuletzt ist die jetzige Entwicklung eine logische Konsequenz von Facebooks Erfolg: Denn die Plattform zieht immer mehr Menschen und Unternehmen an, die alle immer mehr Content produzieren – zu viel Content für den Newsfeed. Die Verbindungen nehmen zu, Inhalte werden so häufig geteilt wie nie zuvor und der Wettbewerb ist gigantisch. Aussagen von Facebook zufolge konkurrieren bei einem Newsfeed-Aufruf rund 1.500 potenzielle Stories darum, eingeblendet zu werden. Viele Marktbeobachter sind sich einig: Facebook musste reagieren und die konkurrierenden Inhalte besser filtern.
Geldmaschine Facebook
Fest steht auch: Facebook ist kein Wohltätigkeitsverein, sondern ein börsen- und gewinnorientiertes Unternehmen. „Die verknappte organische Reichweite ist nicht nur für den Nutzer gut, sondern auch für die Werbungtreibende“, sagt Malek. Marketer seien nun gezwungen, sinnvollen Content zu produzieren und ihn kreativ so aufzubereiten, dass er verbreitet wird. Nur wenn Fans tatsächlich interagieren und sich mit Inhalten auseinandersetzen, ist Content auch für Unternehmen nützlich. Insbesondere Mehrwerte für den Nutzer – beispielsweise Tipps und Tricks werden dem Experten zufolge auf Facebook weiterhin ihre Daseinsberechtigung haben. Kreative Ideen und eine solide Redaktion sind dabei gefragter denn je. „Die Frage ist, wer macht nur Reklame und wer wirbt um die Aufmerksamkeit der Menschen. Die Spreu wird sich jetzt vom Weizen trennen“, prognostiziert Malek. Dem Experten zufolge sind Unternehmen nach wie vor gut beraten, auf Facebook präsent zu sein – vorausgesetzt, sie verstehen es, relevante Inhalte zu bereitzustellen.
Drosselung war absehbar
„Wir sind nicht überrascht, die Entwicklung war vorherzusehen“, sagt Daniel Pannrucker, Geschäftsführer der Kölner Multi-Channel-Content-Agentur LEOTAINMENT. Auch aus seiner Sicht hat eine Facebook-Seite weiterhin ihre Berechtigung. „Aber Facebook als alleinige Strategie funktioniert nicht mehr“, so Pannrucker. Seine Agentur hat sich schon frühzeitig mit dieser Thematik beschäftigt. Als Multi-Channel-Content-Dienstleister hat man noch nie lediglich auf einen Kanal gesetzt. „Für unsere Arbeit ändert sich wenig. Außer, dass wir nun noch enger mit Mediaagenturen zusammenarbeiten“, sagt Pannrucker.
Selbst mit dem neuen „Qualitätsriegel“ werde Facebook ein wichtiger Social-Media-Kanal für Unternehmen bleiben, ist Pannrucker sicher. „Momentan rechnet sich Facebook noch.“ Die fehlende organische Reichweite könne über andere Kanäle kompensiert werden, die durch den veränderten News-Feed-Algorithmus nun mehr Gewicht bekommen. „Selbst mit der Verknappung auf Facebook gibt es noch genug Reichweite, um mit einem Multi-Plattform-Mix erfolgreich zu sein“, erklärt Pannrucker, der ein Social-Media-Engagement stets unter Kosten-Umsatz-Relationen betrachtet. „Man muss KPIs hinterlegen, Geld investieren und den Erfolg messen. So lässt sich das Preis-Leistungs-Verhältnis sicher bestimmen“, so der Experte. Waren früher nur die Fanzahlen interessant, sind heute konkrete Anmeldungen oder zusätzliche Besucher auf der klassischen Website häufige Messgrößen. Diese Messbarkeit macht es möglich, den Einsatz von Content und Medialeistung zu koordinieren. Während sich an einer Stelle bezahlte Media besser rechnet, kann an anderer Stelle Content die bessere Wahl sein.
Der Mensch ist das A und O
„Die Grundlage von allem ist der Nutzer“, sagt Vincent Nicolai. „Dann werden sowohl Marken als auch Aktionäre mit Facebook erfolgreich sein.“ Der Geschäftsführer Beratung der Berliner Social-Media-Agentur buddybrand empfiehlt seinen Kunden schon seit ein paar Jahren, Paid-Elemente in die Facebook-Strategie zu integrieren. So setzt die Agentur beispielsweise gezielt Sponsored Posts ein, um zu testen, wie sich die virale Reichweite bei bestimmten Inhalten entwickelt. Wichtige Erkenntnis: Ein prinzipiell für die Zielgruppe relevanter Inhalt reicht nicht aus. „Man muss auch diverse äußere Faktoren wie Uhrzeit, Wetter oder Wirtschaftslage berücksichtigen“, erläutert Nicolai. Welcher Content passt zu welcher Zeit auf welche Nutzer – das ist die hohe Kunst, um mit Inhalten eine hohe organische und virale Reichweite auf Facebook zu erzielen. Entscheidend ist zudem, an welchem Punkt in der Customer Journey sich der Nutzer befindet.
Auch aus Sicht von Nicolai bleibt Facebook ein Muss in der Digital-Strategie von Marken. Nicht zuletzt deshalb, weil Marken via Facebook auch viele andere Bedürfnisse befriedigen können, zum Beispiel Kundenservice oder Support. Nach seiner Einschätzung entwickelt sich Facebook zu einem Paid-Kanal, der Earned Media fördert.
Doch die organischen Reichweitenverluste 1 zu 1 durch Mediaschaltungen zu substituieren, davon raten Experten ab. „Das ist der falsche Weg“, sagt Malek. Jetzt gehe es vielmehr darum, redaktionell relevante Inhalte zu produzieren. Sein Rat: „Der Nutzer sollte im Newsfeed keine Reklame mehr finden, sondern Mehrwerte. Dann lässt sich auch weiterhin organische Reichweite generieren.“
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