Bisher ist Retargeting das am meisten genutzte Targeting im Real-Time Bidding. Es basiert auf den 1st Party Data der Publisher. Doch lediglich Produktangucker und Warenkorbabbrecher erneut ansprechen – damit wird das programmatische Display-Advertising seinen Möglichkeiten bei Weitem nicht gerecht. Einige Anbieter gehen daher einen Schritt weiter und nehmen stattdessen potenzielle Neukunden ins Visier. 3rd Party Data spielen dafür ebenso eine Rolle wie CRM-Daten und die bisher völlig unterschätzen 2nd Party Data.
Die einen nennen es New Audience Targeting, die anderen Prospecting. Gemeint ist das Gleiche: nämlich die gezielte Ansprache von potenziellen Neukunden mit Display-Ads, die in vielen Fällen über Real-Time-Bidding-Systeme ausgespielt werden. Eine gute Möglichkeit dafür ist das Contextual Targeting. Hier geht es darum, dass Umfeld und Werbung zusammenpassen. Die Selektion passender Umfelder erfolgt entweder über die gezielte Auswahl von Domains oder anhand des Inhalts einer Seite. In letzterem Fall werden die Seiteninhalte semantisch analysiert und ausgewertet. Auch das altbekannte Behavioral Targeting eignet sich für die Ansprache neuer Kunden. Im Aufwind ist zudem eine Neukundenansprache mithilfe von 3rd Party Data. Allerdings hapert es hier oft – sowohl bei den Taxonomien, die je nach Datenanbieter unterschiedlich sind, als auch bei der für den deutschen Markt zur Verfügung stehenden Datenmenge. Via Facebook Exchange lassen sich ebenfalls in Echtzeit Neukundenkampagnen umsetzen.
Zwillinge im Trend
Als besonders effizientes Mittel gilt im Rahmen des Prospecting das sogenannte „Look-alike Targeting“. Mithilfe statistischer Zwillinge werden dabei Nutzer angesprochen, die bisher die Website des Anbieters noch nicht angesurft haben, aber deren Profil dem der Käufer ähnelt. Dazu wird das Nutzerverhalten aktueller Käufer ausgewertet und mit dem Verhalten anderer User verglichen. Über RTB-Plattformen können die passenden Profile dann in Echtzeit mit Display-Ads angesprochen werden.
„Das Targeting auf statistische Zwillinge funktioniert besonders in spitzen Zielgruppen sehr gut“, sagt Jens Jokschat, Mitgründer und CEO von d3media. Der Hamburger RTB- und Targeting-Dienstleister ist auf Audience Targeting spezialisiert und bietet es als Managed Service an. In spitzen Zielgruppen lässt sich der Streuverlust Jokschat zufolge sehr gut abschneiden, während hingegen es bei massentauglichen Produkten schwieriger sei, eindeutige Merkmale herauszuarbeiten, die für eine hohe Kaufwahrscheinlichkeit sprechen. „Vor jeder Kampagne ist die Entscheidung zu treffen, ob eine große Reichweite oder eine möglichst exakte Zielgruppenansprache gewünscht ist“, erläutert der Experte. Sehr exakte „Look-alikes“ erzielen in der Regel höhere Conversions bei vergleichsweise geringerer Reichweite. Nimmt man hingegen Profilunschärfen in Kauf, winkt eine höhere Reichweite. Jedoch ist die Conversion-Wahrscheinlichkeit der einzelnen Impression dann niedriger.
Um Zielgruppen zu identifizieren, greift d3media auf Dienstleister zurück; die RTB-Kampagnen werden über die eigene Infrastruktur geschaltet. Parallel sammelt der Targeting-Spezialist zahlreiche Daten, um Kampagnen zu optimieren, beispielsweise Kampagnendaten, die Aufschluss über Verhaltensweisen, Umfelder, technische Rahmenbedingungen oder Anzahl und Dauer des Werbekonsums liefern.
Echtzeit ist entscheidend
Auch bei Quantcast sieht man im Neukunden-Targeting großes Potenzial. Das Unternehmen aus San Francisco ist in Deutschland mit einer Niederlassung in München aktiv und hat sich auf digitale Audience-Messung und die Auslieferung von digitalen Werbemitteln in Echtzeit spezialisiert. Dazu kooperiert der Dienstleister mit zahlreichen Publishern. Diese erhalten kostenfrei ein Analysetool für ihre Websites. Über diese Kooperationen kann Quantcast nach Verlassen der Website das Surfverhalten der anonymen User mithilfe der gesetzten Cookies analysieren. Auf diese Weise kann der Big-Data-Spezialist auf einen großen Datenpool zurückgreifen. Seine anonyme, profilbasierte Medialeistung verkauft der Vermarkter über RTB-Plattformen.
Für das Prospecting setzt Quantcast auf statistische Zwillinge und sucht jene Nutzer, die die Website des Werbekunden noch nicht besucht haben. „Gefragt sind eine hohe Übereinstimmung in Mediennutzungsverhalten, Soziodemografie und Kaufverhalten“, erläutert Paco Panconcelli, Managing Director von Quantcast Deutschland. Der Real-Time-Aspekt ist für ihn dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor. „Wichtig ist ein möglichst identisches Nutzungsverhalten zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wer nicht in Echtzeit agiert, verpasst den entscheidenden Moment für eine wirksame Nutzeransprache“, so Panconcelli.
Die Ansprache potenzieller Neukunden ist mittlerweile nahezu beliebig granular möglich, wenn zusätzlich CRM-Daten des Publishers oder Daten von Werbepartnern in die Kampagnen einfließen. So lassen sich beispielsweise Neukunden ansprechen, die eine hohe Kaufwahrscheinlichkeit für Waschmaschinen haben. Aber auch auf den „Return of Advertising“ lassen sich Kampagnen optimieren. In diesem Fall würde man die Warenkorbhöhe als Kriterium für die Profilauswahl zugrunde legen. „Egal, auf welche Kennzahl man eine Neukundenkampagne optimiert, bei einer vierwöchigen Kampagnenlaufzeit sollten im Idealfall durchschnittlich 1000 Aktionen oder Conversions erfolgen“, rät Panconcelli.
2nd Party – die unterschätzte Datenbasis
Dass beim Neukunden-Targeting viele Wege zur Zielgruppe führen, zeigt Semasio. Das Unternehmen versteht sich als private DMP, welche 2nd Party Data in Nutzerprofile und Zielgruppensegmente umwandelt. Der Fokus liegt dabei auf dem Behavioral Targeting. Dieses Targeting erfolgt aber nicht kategorie- oder taxonomiebasiert, sondern auf Basis semantischer Analysen. Die Besonderheit: Die Daten für die Zielgruppenansprache werden über den Kampagnenkontakt generiert. Hat ein Nutzer Kontakt zu einer Werbekampagne, sammelt die DMP Daten, indem der Website-Content semantisch analysiert wird. Ziel ist es herauszufinden, für welches Thema sich der Nutzer im Moment des Werbemittelkontaktes interessiert.
Wichtige Keywords werden von der DMP im User-Profil gespeichert. Surft der User anschließend weiter, wird das Profil auf jeder Website mit Kampagnenkontakt weiterentwickelt und mit weiteren Informationen angereichert. „Die 2nd Party Data wurden bisher vernachlässigt. Wir wandeln die in Data Assets um“, sagt Semasio-Geschäftsführer und Mitgründer Kasper Skou. Aus den Profilen tatsächlicher Kunden und Käufer werden auch hier statistische Zwillinge abgeleitet. Diese Profilzwillinge bilden dann die Zielgruppe für die folgende Targeting-Kampagne.
Vor allem in großen Agenturen laufen aufgrund des hohen Kampagnenoutputs viele Daten zusammen. So könnte in den Agenturen ein großer Pool semantisch gewonnener Profildaten entstehen. In Dänemark hat Semasio damit bereits gute Erfahrungen gesammelt. Doch in Deutschland tun sich Agenturen mit 2nd Party Data noch schwer. Darum hat der Profiling- und Targeting-Spezialist angekündigt, in Kürze eine eigene Profildatenbank aufzubauen. „Diese Profildatenbank besteht aus Rohdaten, unkategorisiert und untaxonomiert“, betont Skou. So würden keine Informationen zerstört und es könne jede beliebige Zielgruppe modelliert werden. Nach Aussagen von Skou verfügt Semasio somit in Kürze über eine Profildatenbank von 45 Millionen Internetnutzern.
Herausforderung Messsystem
Doch bei aller Euphorie gibt es auch Hürden. Während sich Retargeter am Erfolg ihrer Werbemaßnahmen direkt messen lassen können, haben es die Neukunden-Targeter schwerer. Sie sorgen zwar für Nachschub im Verkaufstrichter, aber nur selten für sofortige Abverkäufe. Die Früchte ernten andere Kanäle oder das Retargeting. „Die größte Herausforderung für Prospecting ist es, eine passende Erfolgsbewertung zu finden“, sagt Jokschat. Das Problem: Traditionelle Messsysteme wie Adserver oder Webanalyse messen nur allzu oft auf Basis des letzten Cookies – mitunter sogar klickbasiert. Die einfachste Lösung aus Sicht des Experten ist es, die Customer Journey umfassend zu analysieren. „Alternativ können Engagementprozesse gemessen werden“, sagt Jokschat. So könne auch eine Verfügbarkeitsabfrage, ein gefüllter Warenkorb oder eine heruntergeladene Broschüre ein Indiz dafür sein, dass die richtige Zielgruppe angesprochen wurde. Entsprechende Bewertungsmethoden sollten laut Jokschat zusammen mit dem Werbekunden entwickelt werden. „Es sind noch dicke Bretter zu bohren, aber der Bedarf für Prospecting via RTB ist riesig.“
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