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Printverlage verdienen mit Bewegtbild

Sandra Goetz, 19. Januar 2012

Medienhäuser, die vorne mitspielen möchten, setzen bei ihren Online-Auftritten vermehrt auch auf Bewegtbildinhalte. Viele dieser Publisher sind eigentlich traditionelle Verlagshäuser, die inzwischen ihre selbst produzierten Inhalte weitervermarkten und damit auch mittelfristig im Hybrid-TV-Geschäft Fuß fassen wollen.

Diese Entwicklung ist weit weniger bekannt, obgleich der Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger, VDZ, vieles dafür tut, um sich crossmedial in allen Ecken und Enden Gehör zu verschaffen. “Attraktive Flatrates, verfügbare Breitbandverbindungen sowie neuartige Geräte und Anwendungen sind die drei wesentlichen Faktoren, die das Bewegtbild im Internet so spannend machen“, sagte Sven König, Geschäftsführer der VDZ Akademie, auf dem nunmehr fünften Expertenforum rund um Bewegtbild vom Verband. „Potenziale von Bewegtbild! Neue Wege bei WebTV & Video“ war das Thema an einem nebligen Novembertag in Hamburg. „Neben der mobilen Videonutzung und dem Thema E-Commerce auf interaktiven TV-Geräten stehen den Verlagshäusern vor allem mit internetfähigen Fernsehern neue und interessente Erlösquellen offen“, so König.

Sven König

Digitale WebTV-Angebote verzeichnen die höchsten Steigerungsraten „1.500 deutschsprachige WebTV-Angebote gibt es – davon sind 300 auf Verlagswebsites“, berichtet Referent Ralf Klassen, stellvertretender Chefredakteur und Leiter Digital TV stern/stern.de. Diese Videos werden 160 Millionen Mal am Tag abgerufen und die Werbeerlöse betragen für 2011 Schätzungen zufolge 184 Millionen Euro. Das sind 115 Prozent mehr als 2010. 15 Prozent aller digitalen Bewegtbildangebote von Verlagen werden auf mobilen Endgeräten genutzt.

Und diese eigenen Web-TV-Produktionen vermarkten die Mediahäuser inzwischen weiter. Zugegeben, so neu ist die Idee der Zweitvermarktung nicht. Gehört es doch mit zum Kerngeschäft von Verlagen, eine intelligente Wertschöpfungskette zu schaffen, die ihre Marken auf unterschiedlichste Art und Weise lukrativ in den Markt tragen. Und inzwischen lohnt sich das Geschäft mit dem Bewegtbild. Eine Erfolgsgeschichte erzählt gerade das Beispiel von stern.de, die mit ihrem Bewegtbildangebot bereits schwarze Zahlen schreiben. Und das „im zweiten Jahr in Folge“, wie Ralf Klassen betont. Die digitale Abteilung wurde 2007 ins Leben gerufen und von Anfang in stern.de implementiert. Organisatorisch und inhaltlich gehört das Bewegtbildgeschäft vom stern zum Geschäftsfeld digital, und das zählt für die Printmutter zum Bereich Online. Denn in erster Linie ging es darum, Content für den Ableger der Kernmarke zu produzieren. „stern.de war der erste Abnehmer aller Produktionen, und ist und bleibt die erste Heimat“, sagt Klassen.

Ralf Klassen

Dabei werden die Bewegtbildeinheiten, die bei Verlagen wie Gruner + Jahr aufgebaut wurden, in Zukunft deutlich mehr Abspielflächen haben als nur die eigenen Websites. „Die Entwicklung im digitalen Fernsehen/Hybrid-TV“, sagt Klassen, „schreitet so rasant und radikal voran, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Verlage auch im klassischen Fernsehen präsent sind – und dann werden die Karten neu gemischt.“

Die strategische Ausrichtung des Bewegtbildangebots von stern.de/Digital-TV sei von Anfang an auf Zweitvermarktung des Videocontents ausgerichtet gewesen. „Man kann nicht darauf warten, bis User auf stern.de kommen, man muss damit raus, dort die Interessierten abholen und ansprechen, wo sie sind. Wir haben deswegen früh mit Content Syndication angefangen, mit YouTube, smartclip und sevenload oder auch eine Partnerschaft mit t-online.de und Agenturen, die mit unserem Content arbeiten“, so Ralf Klassen zum Erfolgsgeheimnis.

Die Preismodelle seien laut Klassen unterschiedlich, beispielsweise „teilt man sich die Einnahmen oder verabredet Festpreise pro Video“. Mehr ist aus Klassen nicht herauszubekommen, denn das obliegt dem Geschäftsgeheimnis. Hauptsache, die Zahlen stimmen bei der Bertelsmann-Tochter G+J, und die sind – schwarz. Eine Bibliothek, wie sie die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender für ihren Bewegtbildcontent haben und auf die externe Partner zugreifen können, hat stern.de aber nicht. Für die Zweitvermarktung werden die Kollegen von t-online.de direkt via Server beliefert. Ebenso gibt es Syndication Feeds für Agenturpartner.

Auf Wachstumskurs mit Automotive

Auch die Motorpresse Stuttgart mit ihrem Markenprodukt auto motor und sport setzten auf Bewegtbildinhalte. Dabei sind die Stuttgarter komplett anders aufgestellt, als die Digital-TV-Abteilung von stern/stern.de oder auch Focus TV, die mit Grip ebenfalls ein eigenes Autoformat erfolgreich produzieren.

Jörg Schütte

Die 14-tägig erscheinende Autozeitung auto motor und sport gehört mit mehr als 2,3 Millionen Lesern zu den reichweitenstärksten Autofachzeitschriften Europas. Geboren wurde sie unter dem Namen „Das Auto“ 1946. Die Magazinsendung auto motor und sport wurde von 1995 bis 2007 in Zusammenarbeit mit VOX ausgestrahlt. Seit Juni 2009 gibt es eine Wiederbelebung der Sendung, die auf dem Männersender DMAX läuft. 2010 wurde die Mehrheit der TV-Tochter Motor Presse TV GmbH von der Motor Presse Stuttgart an den TV-Unternehmer Jörg Schütte verkauft. Man wolle die „internen Managementkapazitäten vorübergehend auf Print und Online konzentrieren“, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme. Bereits im Jahr 1997, also zwei Jahre nach dem ersten TV-Auftritt, erblickte auto-motor-und-sport.de das Licht des Webs. Der Verlag, an dem Gruner + Jahr mehrheitlich beteiligt ist, betreibt den Pay-TV-Sender auto motor und sport Channel. Seit dem Start des Spartenkanals fungiert Schütte als Dienstleister.

Von der Printredaktion erhält der Bewegtbildproduzent Motor Presse TV einen Großteil seiner Inhalte, z. B. Testdaten, die dann im Bewegtbild samt Fahrberichten umgesetzt werden. Umgekehrt liefert die Motor Presse TV GmbH Beiträge an den Online-Bereich von auto motor und sport, „die dadurch eine sehr gute Bewegtbildqualität auf TV-Niveau haben“, so Schütte. Der Vorteil liegt auf der Hand: Mit den von Motor Presse TV produzierten Videos der Sender als Pay-TV-Sender beworben. Das Konstrukt sei „komplex“, funktioniere aber „solide und gut“, erzählt Schütte. Da Motor Presse TV mit dem eigenen TV-Channel auf Exklusivität geeicht ist, „setzen wir stark auf den Verkauf von Bewegtbildinhalten an Nutzer. Dafür gibt es auch die Seite, auto-motor-und-sport.tv“, erläutert Schütte.

Bei der Vermarktung von Inhalten gibt es im Pay- und im Free-Video-Bereich unterschiedliche Vermarktungswege. Die kostenfreien Inhalte, die auf auto-motor-und-sport.de abgerufen werden können, werden über freeXmedia vermarktet (Werbevermarktung). Hierbei handelt es sich teilweise um Sequenzen (max. 5 Minuten) aus dem Programm des Pay-TV-Senders. FreeXmedia, die u. a. auf die Vermarktung von Automotive spezialisiert sind, haben bei allen Partnern, so auch der Motor Presse, das Erstvermarktungsrecht. Das Zweitvermarktungsrecht liegt bei smartclip (Adconion Media Group). „Wenn wir denen noch was übrig lassen. Schließlich vermarkten wir 80 bis 90 Prozent unserer Videoreichweiten selbst“, sagt Andreas Engenhardt, Geschäftsführer freeXmedia. Die Inhalte sind dabei „so gut, dass wir diese fünf Mal verkaufen könnten. Das Problem, welches wir haben, ist kein Nachfrage-, sondern ein Reichweitenproblem in der Qualität“, beschreibt Engenhardt das Tagesgeschäft in puncto Bewegtbildvermarktung.

Die Rechte zur Video-on-Demand-Verwendung der kostenpflichtigen Inhalte auf externen Plattformen (iTunes, maxdome etc. ) vergibt die Motor Presse TV direkt an die Verbreitungspartner „Pay-TV hat Ähnlichkeiten mit dem Verlagsgeschäft. Es geht darum, Inhalte zu verkaufen – nicht zu verschenken. Deswegen ist es für Verlage sinnvoll, ihre Marken in den Bewegtbildbereich weiterzuentwickeln“, sagt Schütte. Darüber hinaus könne man sich als Medienmarke mit Bewegtbild noch gut profilieren:

„Bewegtbild in sehr guter Qualität ist Online sehr begrenzt vorhanden. Voraussetzung ist, dass die Inhalte bei Fachthemen richtig und kompetent recherchiert sind und die Information stimmig ist“, meint Schütte. Ist die Zielgruppe doch nicht nur „treu, sondern ebenso kritisch und kompetent“. Jörg Schütte ist sich im Übrigen sicher, dass sich die Strategien der erfolgreichen Zweitvermarktung auch auf andere Bereiche, die eine breite Zielgruppe haben, übertragen lassen. Dazu gehört Lifestyle und vor allem Reise.

Ob sich die jeweiligen Vermarktungs- und Zweitvermarktungsstrategien wirklich so einfach auf andere Bereiche übertragen lassen, ist fraglich. Online-Werbevermarkter Andreas Engenhardt stellt die berechtigte Frage ob, so ein Aspekt, Bewegtbild-TV nicht noch viel mehr spezielle Formate für das Internet kreieren muss. „User Generated Content läuft sehr gut, vor allem, wenn das Umfeld im Automotivebereich, zum Beispiel auto motor und sport und Genfer Autosalon, stimmt. Das haben wir an BMW verkauft.“

Matthias Pfeffer

User Generated Content ist auch für Matthias Pfeffer, Geschäftsführer und Chefredakteur Focus TV, ein heißes Eisen. Auch für ihn spielen die Umfelder eine entscheidende Rolle. Wie bereits seine Bewegtbildkollegen ist ebenso Pfeffer optimistisch, wenn es um das riesige Potenzial von bewegenden Bilderwelten geht: „Zum ersten Mal können hier Erlöse erzielt werden. Es herrscht ein Hunger nach attraktiven Inhalten. Für uns als Verlag ist das die Zukunft“, so der TV-Experte, der seit Gründung von Focus TV 1995 an Bord ist. Das von Focus TV produzierte Grip – Das Motormagazin läuft auf RTL2. Die Zielgruppe: Junge Männer zwischen 19 und 39 Jahren. Mehr als 132.000 Fans hat Grip auf Facebook, bei auto motor und sport sind es etwas mehr als 12.500. Die Grip-Videos werden auch mal eine Million Mal auf RTL2.de abgerufen.

Doch Focus TV produziert nicht nur ein Autoformat, sondern vieles mehr, zum Beispiel Gesundheitsvideos, Image-, Industrie- und Promotionfilme. Auch wenn Print, Online und TV unterschiedliche Geschäftsfelder sind, gibt es enge Kooperationen mit Print vor allem im Gesundheitsbereich. Fünf DVDs wurden bereits für das Magazin produziert; diese werden im Netz in entsprechenden Channels und Outlets weiterverarbeitet und zur Zweitvermarktung gegeben. Der erste Gesundheitssender, Focus Gesundheit, ist zwar nach fünf Jahren Bestehen auf der Sky-Plattform 2010 vorerst gescheitert. Doch strebt das Produkt eine alternative Verbreitungsstrategie sowie Ausbau der Marke im Internet an.

Auch bei Focus TV stellt sich die Frage nach den Vermarktungsstrategien – und diese enden früh. In den meisten Fällen liegen die „Rechte nicht bei uns, sondern beim Sender“, so Matthias Pfeffer. Buy-outs sind kostenintensiv und lohnen sich nur dann, wenn man auch das Backoffice in der Vermarktung hat. Bei Grip liegt die nationale Vermarktung bei RTL2, allerdings vermarktet Focus TV das Format international. „Vor allem Länder mit Geschwindigkeitsbegrenzung haben ein großes Interesse am Grip-Bewegtbild. Das sind Japan, Israel, aber auch nach Finnland und Norwegen wird verkauft“, bekundet Pfeffer.

Last but not least

Dass der Markt um Bewegtbild trotz erster positiver Vermarktungsbeispiele offensichtlich nicht immer einfach und rentabel ist, sieht man dennoch am Beispiel von Spiegel TV, die Entlassungen angekündigt haben. Online mit all seinen Möglichkeiten ist und bleibt damit die erste Option von Print. Es gilt, diese endlich langfristig auszuschöpfen.

Anmerkung der Redaktion: Der Inhalt wurde am 20. Januar geändert. Weder Focus TV noch RTL2 betreiben einen YouTube Kanal für das Format Grip. Die nationale TV-Vermarktung von Grip liegt in der alleinigen Verantwortung von RTL2.

Bild Sandra Goetz Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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