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DISPLAY ADVERTISING

Andocken, kopieren oder ignorieren?

Karsten Zunke, 17. März 2011

Manuelles Kampagnenschalten nach Schema F war gestern. Jetzt wird Realtime optimiert, was die Systeme hergeben – und zwar schon bei der Buchung. Demand Side Platforms (DSP), Sell Side Platforms (SSP), Realtime Bidding (RTB): Seit geraumer Zeit werden diese digitalen Säue mit lautem Peitschenknallen zügig durchs Marketingdorf getrieben. So zügig, dass einigen Beobachtern jetzt schwindlig wird. Das vollautomatisierte Realtime Bidding (RTB) baut offenbar eine Drohkulisse für eingefahrene Display-Vermarktungswege auf.

Der Trend aus den USA wird sein Volumen 2011 verdoppeln. In den Vereinigten Staaten macht es laut Forrester in diesem Jahr bereits einen Anteil von knapp 8 Prozent an den Display Media Spendings aus. Wozu sollten Publisher ihr Nicht-Premium-Inventar noch über Werbenetzwerke versilbern, wenn die Maschinen ihnen für jede Platzierung einen optimalen Preis versprechen? Müssen hiesige Ad Networks jetzt zittern – oder ist die Drohkulisse nur Hollywoodgehabe vor billigem Pappmaschee? Die Antwort lautet „jein“.

Jan Winkler

Jan Winkler fühlt sich nicht bedroht. Für den Chef des Ad Networks Adtiger steht noch in den Sternen, was aus dem vermeintlich coolen US-Trend „Realtime Bidding“ wird. „Es ist im deutschen Markt gar nicht so gut umsetzbar wie in den USA“, sagt Winkler, denn der hiesige Markt ticke anders. „Werbekunden in Deutschland fordern ein garantiertes Volumen und möchten den Preis dafür wissen. RTB konterkariert dies. Man weiß nicht, was man bekommt, der Preis schwankt, Planungssicherheit gibt es nicht“, sagt Winkler. Für sein Netzwerk hält er es daher nicht für sinnvoll, an eine automatisierte Plattform anzudocken und mitzubieten. RTB werde eine Nische finden, aber auch ein Nischenangebot bleiben, ist sich der Adtiger-Chef sicher und verweist auf die technischen Einschränkungen sowie die damit verbundenen Kosten. „RTB ist ein schönes Spielzeug. Aber würden alle relevanten Websites ihr Inventar Realtime versteigern und alle großen Agenturen mitbieten, wäre der Rechenaufwand gigantisch und die Kosten unbezahlbar.“

Neue Spielregeln

Zum RTB gehören neben dem Publisher und dem Werbungtreibenden die Sell Side Platform (SSP), die die Publisher-Reichweiten unter ihrer Oberfläche poolt, und die Demand Side Platform (DSP). Sie ermöglicht den Zugriff auf das RTB-Inventar und die Ersteigerung der Reichweiten für Agenturen und Werbekunden. „Eine gute DSP wird Zugriff auf alle SSPs ermöglichen und somit bekommt der Kunde Zugriff auf das gesamte RTB-Inventar“, erläutert Lothar Krause, Vice President Sales von Sociomantic. Das Unternehmen bietet selbst eine Demand Side Platform für performance-orientierte E-Commerce-Betreiber an.

Die Nachfrage von Kunden, die ihr Inventar über RTB vermarkten wollen, wird seiner Ansicht nach aufgrund der überlegenen TKPs weiterhin stark steigen. „Die Ad Networks werden sicher noch stärker an eigenen Technologien arbeiten, um Realtime-Auktionen ihres Publisher-Inventars zu ermöglichen“, so Krause. Doch die technologischen Hürden liegen hoch. „Die gesamte Auktion mit allen Prozessen findet innerhalb von 70 Millisekunden statt. Das zeigt, dass ohne ein massives Investment in Realtime-Technologie eine vollwertige Teilnahme am RTB-Geschäft nicht zu machen ist.“

Welche Macht DSPs in einigen Jahren haben werden und ob es zwischen SSPs und Ad Networks auch zu strategischen Vermarktungskooperationen kommen wird, bleibt in diesem dynamischen Markt abzuwarten.

Sascha Jansen

Auf Agenturseite hält man den Ball noch vergleichsweise flach. „DSPs werden noch eine Zeit brauchen, um in der deutschen Agenturlandschaft vollends anzukommen“, sagt beispielsweise Sascha Jansen, Managing Director der Omnicom Media Group/OMG4CE, und prognostiziert: „Es ist nicht davon auszugehen, dass in diesem Jahr mehr als 3 % der Investments, die typischerweise bei Ad Networks realisiert werden, stattdessen über DSPs abgewickelt werden.“

Das Business ändert sich

Längerfristige Prognosen sind in diesem schnelllebigen Geschäft schwierig. Das Daily Business hat sich für Ad Networks in den vergangenen Jahren ohnehin gewandelt. Einerseits Reichweite einzukaufen und sie andererseits an drei oder vier große Advertiser zu verkaufen, ist heutzutage längst nicht mehr das bestimmende Geschäft. Viele Marktbeobachter sind sich sicher: Bereits heute, aber noch stärker in der Zukunft müssen Ad Networks neue Technologien einsetzen, um dem Kunden die passende Leistung zu liefern. RTB ist für viele Player in diesem Kontext nur eine Technologie von vielen.

Jörg Jungie

„Wer Realtime Bidding als Gefahr für Ad Networks sieht, überschätzt die Entwicklung. Ein RTB wird kein Ad Network und keine Premium-Vermarktung ersetzen – es ist lediglich eine Maschinerie, die verteilt und handelt“, sagt Jörg Junige, Geschäftsführer der Banner Community. Für ihn ist es lediglich ein weiteres Tool, um Traffic in hoher Qualität zu handeln. Er sieht RTB daher eher als eine Chance für die Werbenetzwerke „Es könnte ein gutes Tool sein, um Spitzen auszugleichen“, so Junige. So seien die RTB-Plattformen gut geeignet, bei Bedarf Traffic einzukaufen oder ihn zu verkaufen.

Ad Networks zwischen Skepsis und Euphorie

„Für Ad Networks ist RTB Chance und Gefahr zugleich“, sagt Oliver Hülse, Geschäftsführer von Adconion. Da Erfahrungswerte aus den USA nicht 1 zu 1 auf andere Märkte übertragbar sind, testet man bei Adconion Deutschland momentan eine RTB-Lösung. Ziel ist es, die Chancen und Risiken des Realtime Bidding für Ad Networks besser einschätzen zu können. „Für eine klare Einschätzung von Realtime-Bidding-Plattformen ist es aktuell noch zu früh“, so Hülses erstes Fazit.

Oliver Hülse

Tests unternimmt das Ad Network beispielsweise für den Mediaeinkauf. „Hier hat RTB Vorteile. Man kauft nur das Inventar, das man wirklich benötigt – für eine Preisvorstellung, die so realistisch genug ist, um die Kampagnenziele der Kunden zu erfüllen“, sagt Hülse. Auf der anderen Seite reguliert der Markt den Preis. Eine hohe Nachfrage lässt die Preise steigen, sodass das gewünschte Inventar unter Umständen zu teuer wird und eine Planbarkeit nicht gegeben ist. „Bei vorher erworbenem Inventar ist das kaufmännische Risiko für das Ad Network deutlich höher, aber auch lukrativer“, sagt Hülse. Um sich ein umfassendes Bild zu machen, probiert Adconion hierzulande beide Seiten des RTB aus, also auch den Mediaverkauf.

Andreas R. Heintze

Einen Schritt weiter ist man bereits bei ValueClick. Ab dem zweiten Quartal dieses Jahres bietet das Unternehmen ein eigenes Realtime Bidding für den europäischen und somit auch für den deutschen Markt an. „Unsere Plattform wird eine Schnittstelle für die Echtzeitauktion zu allen bedeutenden Ad Exchanges und Yield-Optimierern haben“, kündigt Andreas R. Heintze, Country Manager Media & Head of Corporate Sales, ValueClick Deutschland an.

Eine Herausforderung war auch hier die Technik, insbesondere die Serverlast. So musste das Unternehmen in den USA zusätzlich eine zweite Serverfarm einrichten, um zwischen Ost- und Westküste Realtime Bidding USA-weit anbieten zu können. In Europa müssen diese Voraussetzungen noch geschaffen werden. Die ValueClick-Serverfarm wird in Schweden aufgebaut und kann von dort ganz Europa bedienen.

An Plattformen Dritter anzudocken, war für Heintze keine Option. „Wir verfügen über jahrelanges menschliches und technologisches Know-how und erreichen bereits rund 78 Prozent der deutschen Internetnutzer. Wenn wir durch unser RTB zusätzlichen Traffic ins Netzwerk bekommen, ist das für unsere Kunden grundsätzlich interessant“, so Heintze. Da User immer gezielter angesprochen werden müssen, sei zusätzliche Reichweite ein Thema, vor dem sich kein Ad Network verschließen könne. „Für die Ad Networks, die sich aktiv damit auseinandersetzen, ist Realtime Bidding eine große Chance“, ist sich Heintze sicher.

Chancen nutzen

Aber auch weitere Themen dürften die Entwicklung der Ad Networks künftig beeinflussen. So ist Bewegtbildwerbung zwar noch immer vorrangig für Branding-Ziele relevant, doch mit fallenden Preisen wird sie für Performance-Kampagnen allmählich interessanter.

 „Ad Networks werden sich zukünftig nicht ausschließlich auf Performance-Produkte fokussieren können, sondern kommen auch an dem Thema Bewegtbild nicht mehr vorbei“, ist sich Hülse sicher. Adconion ist schon jetzt für beide Bereiche klar aufgestellt und neben dem klassischen Performance-Bereich mit der Produktmarke Joost im Bewegtbildgeschäft etabliert. Joost bildet standardmäßig Bewegtbildkampagnen ab; darüber hinaus investiert das Unternehmen in exklusiv lizenzierte Video-Inhalte, die als In-Banner, Expandable und In-Stream-Formate genutzt werden können. Dass mit steigendem Vermarktungsaufwand die Margen schrumpfen, befürchtet Hülse nicht: „Wenn man Emotionen mit dem richtigen Konzept und der richtigen Zielgruppe verknüpft, ist die Bepreisung variabler.“

Bleibt abzuwarten, ob Kunden tatsächlich Bewegtbildumfelder in Ad Networks nutzen oder sich dann doch lieber an die Vermarkter direkt wenden. „Es wird schwierig werden, die Werbekunden zu überzeugen“, glaubt Junige. Auch wenn die Bewegtbildwerbung aus seiner Sicht noch immer überbewertet wird, sieht aber auch er darin ein Thema, dem sich Ad Networks nicht verschließen sollten. Denn wer im überfüllten Markt einen Trend verpasst, könnte schnell unter die Räder kommen.

So wie Junige gehen viele Marktbeobachter davon aus, dass sich der Markt in den kommenden zwei Jahren bereinigen wird. Es wird wohl weniger, aber dafür spezialisiertere Ad Networks geben. „Die Entwicklung einzelner Player hängt in Deutschland auch stark vom Thema Qualitätssicherung ab. Wer bei dem IASH-Standard nicht mitziehen kann, wird es schwer haben“, prognostiziert Junige. Immer ausgeklügeltere Technologien, eine zunehmende mobile Webnutzung, neue Realtime-Wettbewerber und hohe Qualitätshürden: Was für große Anbieter eine Chance zur Profilierung ist, könnte kleinen Netzwerken mittelfristig das wirtschaftliche Genick brechen.

Bild Karsten Zunke Über den Autor/die Autorin:

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