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Rezeptur für mächtig Buzz

Jens von Rauchhaupt, 17. Februar 2011

Volkswagen hat es mit seinem Werbespot zum amerikanischen Super Bowl allen gezeigt, wie es geht. Die herzergreifende Machtlosigkeit des kleinen Darth Vader gegenüber dem neuen Passat-Modell sorgte über alle Kanäle hinweg für viel Gesprächsstoff. Fast 30 Mio. Videoabrufe auf dem amerikanischen Volkswagen-YouTube-Kanal dokumentieren wie die Millionen Kommentare dort den viralen Erfolg. In zahlreichen Ad Rankings nahm der Viralspot des Automobilherstellers den ersten Platz ein. Können andere Advertiser von Volkswagen lernen?

Ohne Anlass kein Buzz

Und plötzlich erscheint wieder alles so einfach. Jedenfalls dann, wenn den Kreativen wie die verantwortliche US-Agentur Deutsch Inc. neben einer smarten Idee und einem ausreichenden Budget die Gewissheit haben können, dass die Verbraucher und die Medienwelt so oder so über die Super Bowl-TV-Ads sprechen werden. Einige Unternehmen gaben für ihren 30-Sekünder drei Mio. US-Dollar aus, ohne Produktionskosten. Für TV-Sender, Zeitungen und Online-Portale sind die Super Bowl-TV-Ads ein solches Thema, dass sie eigene Formate rund um den Werbe-Hype zum Super-Bowl produzieren. Ob der „Admeter“ der Zeitung USA TODAY, der „AdBlitz“ auf YouTube oder die Hulu AdZone, um nur drei Vertreter zu nennen – das Endspiel um den American Super Bowl ist einmalig, kein anderes Sportereignis wird weltweit von den Marken so intensiv zur eigenen Selbstdarstellung genutzt. Allein der Anlass ist hier also schon einmal Buzz genug. Das gibt es so woanders nicht.

Regeln, die man kennt, darf man brechen

Europäische oder deutsche Advertiser können gleichwohl von Deutsch Inc., Volkswagen USA und ein paar anderen Marken hier etwas abschauen. Angeschoben wurde der Buzz um den VW-Viralspot „The Force“ gar nicht über das Fernsehen. Tatsächlich steckte eine Social-Media-Strategie dahinter, wenngleich diese wohl letztendlich eher einer Ahnung von Tim Ellis, Marketingchef von VW USA, entstammte. – Nicht Kalkül, sondern ein Gefühl brachte ihn dazu, eine uralte Super-Bowl-Tradition zu brechen und den Spot bereits vor dem eigentlichen Event zu zeigen.

Tim Ellis sagte diesbezüglich gegenüber USA Today: „Alle sagten, es sei falsch, aber wenn du Teil einer nationalen Diskussion werden willst, darfst du nicht nur einer von vielen beim Super Bowl sein. Du musst voll auf Social Media setzen.“ Und so wurde der 60-Sekunden-Viralspot „The Force“ auf seine Veranlassung, genau wie der 30-Sekunden-VW-Beetle-Spot, bereits fünf Tage vor der Super-Bowl-Ausstrahlung auf Facebook und YouTube lanciert. Zwei weitere Unternehmen, nämlich Pepsi und Doritos, agierten hier ähnlich und waren auch ähnlich erfolgreich. VW ließ über einen Web-Monitoring-Dienst auf Facebook und Twitter die Views messen. 40.000 Views in den ersten Stunden, 900.000 nach 24 Stunden und 13 Mio. am Spieltag und 16. Mio. einen Tag darauf im Netz. Die Super Bowl Übertragung selbst haben in den USA übrigens 111 Mio. Zuschauer gesehen. Der Spot lief in der zweiten Halbzeitpause.

Bei Social-Media-Strategien muss man den Buzz messen

Doch Views alleine sind noch kein Buzz. So bestimmt das Online-Monitoring-Unternehmen Alterian in seinem Buzzbowl 2011 den Buzz nach den Social Engagement Index (SEI) und dem Social Sentiment Engagement Index (SSEI), also nach der Quantität der Reaktion und nach der Tonalität der gezählten Reaktion zu einem Thema. Claas Hansen, Director Management Economic Resources beim deutschen Web-Monitoring-Unternehmen ethority, hat vom Social Engagement Index (SEI) oder Social Sentiment Engagement Index (SSEI) auch schon gehört, hält aber von festgelegten Maßstäben nicht allzu viel. „Im Social-Web-Monitoring gibt es noch keine offiziellen Kriterien. Unsere Kunden setzen in der Regel eigene Maßstäbe an, die immer von ihren Zielsetzungen abhängig sind.“

Claas Hansen

Ethority geht da schon weiter, denn viele Key Performance Indicators (KPI) lassen sich laut Hansen heute bereits problemlos messen: „Mit dem Monitoring-Tool lassen sich positive und negative Beiträge erheben, dies kann in normierte Imagewerte umgerechnet werden, sodass hier auch ein optimaler Vergleich z. B. mit Mitbewerbern möglich ist.“ Ethority nutzt zum Monitoring eine selbst entwickelte semantische Analysetechnologie. Dieser „Gridmaster“ crawlt das Web und vor allem das Social Web nach bestimmten, vordefinierten Keywords und nach Absprache mit den Communitys und Social Networks. „Wir setzen uns zuvor gemeinsam mit unseren Kunden zusammen und arbeiten die individuellen Benchmarks, die gewünschten Kategorien und Keywords heraus. Bei Viralspots würden wir beispielsweise die Keywords zunächst quantitativ zählen und anschließend nach ihrer Tonalität auswerten“, erläutert Hansen. Der Gridmaster könnte dabei „unendlich“ lange crawlen. „Um eine saubere Analyse hinzubekommen, reicht uns aber schon ein guter Monat.“

Fünf Wochen Monitoring zu den Hamburger Wahlen

Und weil wir in Deutschland nun mal kein episches Werbesportereignis haben, suchten wir nach einem aktuellen Buzzthema und wurden mit der bevorstehenden Bürgerschaftswahl in Hamburg am 20. Februar 2011 fündig. Nachdem alle Parteien Anfang des Jahres die „heiße“ Wahlkampfphase einläuteten, analysierte die Hamburger Agentur JOM Jäschke Operational Media den Wahlkampf und die Kommentare dazu im deutschsprachigen sozialen Netz in einem Zeitraum von rund fünf Wochen (1. Januar – 8. Februar 2011). Dabei wollte JOM herausfinden, was im Web 2.0 über die Parteien CDU, SPD, GAL, FPD und Die Linke veröffentlicht wurde. Über 2.800 Kommentare und Äußerungen flossen in die Untersuchung ein, die Blogs, Microblogs, Internet-Foren und -Gruppen sowie Multimedia-Sharing-Portale umfasste.

JOM Jäschke Operational Media stellte fest: Mit über 2.800 Veröffentlichungen besitzt die Wahl in der zweitgrößten deutschen Stadt einen hohen Stellenwert bei den Diskussionen im Netz. Reicht denn diese Zahl, gibt es im Web-Monitoring eigentlich eine kritische Masse? „Auch in sehr wenigen Meinungen und Kommentaren steckt bereits eine Aussage für den Kunden, nämlich zum Beispiel die, dass er im Social Web nahezu nicht stattfindet. Je nach Themenvielfalt lassen sich aber ab einer Größe von 800 bis 1.000 Stück verlässliche inhaltliche Aussagen treffen“, erläutert Volker Neumann, Geschäftsleitung JOM Jäschke Operational, der ebenfalls lieber auf eigene KPIs vertraut als auf glatt gestrichene SSEIs und SEIs wie die von Alterian in den USA. „Derartige Kennziffern tauchen immer wieder im Rahmen des Marken-Monitorings im Social Web auf und sind uns bekannt. Wir bilden jedoch im Rahmen unserer Kundenmonitorings eigene Kennzahlen und ziehen dabei auch Wettbewerbsvergleiche mit ein. Von Anfang an geht es dabei nicht nur um reine Quantität, sonder auch stark um inhaltliche Aussagen.“

Volker Neumann

Inhaltliche Aussagen lassen auch die politischen Parteien in Hamburg vermissen, denn „auffällig ist, dass es im sozialen Netz keiner Partei gelingt, konkrete Themen zu besetzen. Inhaltliche Auseinandersetzungen mit Punkten aus den Wahlprogrammen sucht man wie die Nadel im Heuhaufen. Hier gibt es für alle Parteien noch erhebliches Steigerungspotenzial“, fasst der Geschäftsführer Henning Ehlert von JOM Jäschke Operational noch mal zusammen. JOM Jäschke Operational verfügt übrigens über eigene Crawler-Technologie und kombiniert diese ganz individuell mit öffentlichen Suchmaschinen wie z. B. SM2 oder Radian6. Und so kam man bei JOM Jäschke Operational zu dem Ergebnis, dass entgegen den bisher veröffentlichten Wahlprognosen auf Basis der zustimmenden Kommentare im Social Web aktuell keine der von den jeweiligen Parteien favorisierten Konstellationen (CDU/FDP 43,32% oder SPD/GAL 45,03%) die erforderliche Stimmenmehrheit bekommen hätte. Am erfolgversprechendsten wären entweder eine große Koalition aus CDU und SPD oder eine Rot-Rot-Grüne Konstellation.

Die Geschichte hinter der Geschichte ist der wahre Buzz

Der wahre Buzz-Erfolg des VW-Spots liegt jedenfalls weit tiefer und zeigt sich erst nun in der Nachbetrachtung. Hier kann man Deutsch Inc. nur gratulieren. Denn die amerikanische Agentur zeigte beim Casting des kleinen Vaders echtes Fingerspitzengefühl. Alle Welt wollte nach dem Super Bowl wissen: „Wer steckt hinter Little Vaders Maske?“ Und so wurde der 6-jährige Max Page, also jener Junge, der für so viele Seitenaufrufe verantwortlich ist, landauf, landab durch alle großen TV-Sender geschleust.

Doch wie lange wird ein solcher Buzz im schnelllebigen Social Web halten? „Die Werbewirkung von Viralkampagnen im User Generated Web lässt in aller Regel relativ schnell nach, denn laufend kommen ja neue Impulse nach“, sagt Hansen. Bezugnehmend auf den VW-Spot meint Hansen: „Da den meisten Kunden weniger Mediavolumen zu Verfügung steht, liegt der Schwerpunkt guter Viralkampagnen eher in außergewöhnlich guten Kreativideen.“

Bild Jens v. Rauchhaupt Über den Autor/die Autorin:

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