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Crossmedia bleibt eine harte Nuss

Jens von Rauchhaupt, 31. März 2010

Ob 90, 120, 180 oder 360 Grad, man kann das Thema Crossmedia drehen und wenden wie man will, es bleibt die härteste Nuss für Werber. Ging es im internetlosen Zeitalter vorrangig um die Frage, wie man eine Werbekampagne zwischen Radio, Print, TV, Kino und Plakat vernünftig gewichtet und diese Kanäle erfolgsversprechend verknüpft, haben es die Agenturen im Internetzeitalter ungleich schwerer, die richtige mediale Mischung in der Kreation und Planung zu finden. Schließlich stehen den Werbungtreibenden immer mehr Kommunikationskanäle zur Verfügung, gleichzeitig werden die Marketing-Budgets nicht gerade größer.

Am 26. Mai kämpfen die Agenturen wieder um den Neptun Crossmedia Award, dem wohl prestigeträchtigsten deutschsprachigen Crossmedia-Wettbewerb. Hamburg@work sucht auch diesmal die ideenreichsten, wirkungsvollsten und wirtschaftlichsten crossmedialen Kampagnen des vergangenen Jahres. Der Clou: Nicht eine Jury, sondern das Publikum wird mit dem Handy letztlich darüber entscheiden, welche der fünf Agenturen in der Endausscheidung das Rennen macht. Dabei hat das Publikum nach den gleichen Kriterien zu entscheiden wie die siebenköpfige Agenturen-Jury, die aus den gut 40 erwarteten Einreichungen die Vorauswahl treffen wird.

Diese Kriterien haben die Macher von Hamburg@work in den fünf folgenden Fragen gebündelt: Besitzt die Kampagne eine durchgängige Leitidee? Gibt es eine schlüssige Strategie? Nutzt die Kampagne die Möglichkeiten der Medienkanäle inhaltlich, zeitlich und zielgruppenspezifisch aus? Sind die Gestaltung und Kreation optimal auf die Medienkanäle abgestimmt? Gibt es eine aussagekräftige Erfolgskontrolle? „Das sind genau die Fragen, die man sich stellen muss, wenn man eine erfolgreiche Crossmedia-Kampagne realisieren möchte“, sagt Harald Kratel, Geschäftsführer der Werbeagentur Madaus, Licht + Vernier und Leiter der Fachgruppe Crossmedia bei Hamburg@work dazu.

Martin Wider, JWT

Kanalmix noch nicht crossmedial

Daher wählen die Agenturen die Mediakanäle immer nach der Aufgabenstellung aus. Doch selbst das ist schon eine Herausforderung. „Wenn ich mich nicht irre, haben Mediaspezialisten gut 28 planbare und messbare Kanäle ausfindig gemacht. Daher ist das Bewerten und Messen der Kanäle extrem schwierig. Gute Agenturen sind natürlich in der Lage, sich eine 360-Grad-Kampagne auszudenken. Dabei bleibt aber die Frage offen, wie viel Grad brauche ich oder welches Grad ist für die Aufgabenstellung richtig und relevant“, erläutert Martin Wider, CEO von JWT Deutschland, der ebenfalls als Jurymitglied die Vorauswahl beim Crossmedia Neptun Award beeinflussen wird. Die sieben Jurymitglieder erhalten bis zu drei der eingereichten Kampagnen, über die sie – wie später auch das Publikum – nach den gleichen Kriterien entscheiden sollen. Eine Kampagne wird dabei immer von drei Juroren bewertet. Dabei weiß kein Neptun-Juror, welche Kampagne die anderen Jurymitglieder bekommen haben. Aus der Bewertung wird eine Durchschnittsnote ermittelt, nach der die besten fünf zum Hauptevent am 26. Mai eingeladen werden.

Auf das Produkt kommt es an

Laut Wider macht es schon Sinn, an einen Hauptkanal bei einer Crossmedia-Kampagne zu denken. Neben der Aufgabenstellung sei für die richtige Wahl des Hauptkanals auch von der Branche und dem Produkt des Advertisers abhängig. „Wir bei JWT haben sehr viele FMCG-Kunden. In dieser Branche kann die TV-Werbung, trotz Onlinewerbung, am besten ein Konsumentenverhalten bewirken. Die Konsumenten sehen die Fernsehwerbung und kaufen sich am nächsten Tag das Produkt. Bei Autos sieht es beispielsweise ganz anders aus. Hier haben die Verbraucher vorgefertigte Markenpräferenzen und informieren sich sehr viel über andere Medien als TV. Hier ist der wichtigste Kontakt der Car-Konfigurator, bei dem der Verbraucher sich sein Wunschauto zusammenstellen und sich über Kosten und Finanzierungen informieren kann. Daher läuft dort inzwischen sehr viel über den Onlinekanal. Es hängt also immer von der Branche und der Aufgabenstellung ab. Der größte Fehler wäre aber, aus einem Hauptkanal alles abzuleiten. Man muss immer versuchen, die ‚Big Idea‘ zu finden, die in allen Kanälen funktioniert.“ Ähnlich sieht es Lowe, doch er will erst gar nicht einen Hauptkanal ausfindig machen: „Jede Kampagne braucht eine Strategie und ein Konzept. Diese bestimmen die Mittelallokation.“

Kombination

Grundlegend würde laut Wider aber ein Bewegtbildmedium – egal ob Web-TV, TV oder Kino – für Awareness und Emotionen sorgen, für tief gehende Informationenaufnahme empfiehlt er dann andere Kanäle wie etwa Online, Print oder ein Mailing. „Bei vielen Produkten macht es die Kombination: Wir Konsumenten wollen ja unsere emotionalen Entscheidungen dann noch einmal rational entemotionalisieren und unsere Kaufentscheidung auf eine Faktenlage stellen. Bei FMCG ist das weniger so, da ist ja das Entscheidende, dass mir das Produkt im Kühlregal auch auffällt. Hier kommt es also auch auf die Verpackung und Promotion an“, sagt Wider. Welcher Kanal nun zu welchem passt, ist daher kaum allgemeingültig zu beantworten.

Harald Kratel, Madaus, Licht + Vernier

Allerdings raten alle Fachleute davon ab, einfach einen TV- Spot ins Web zu übertragen. „Einfach einen TV-Spot auf einem Onlineportal für Jugendliche abspielen zu lassen, kann ja gar nicht funktionieren. Der Werbungtreibende würde da eher Sympathiewerte verlieren; kein Mensch schaut sich online einen 30-Sekunden-TV-Werbespot an. Da muss man sich schon mehr einfallen lassen und diesen Spot für den Onlinekanal anpassen: Entweder geht das über einen witzigen und viralen Kurzspot oder man bereitet das Material auf und erzählt die Geschichte online weiter“, erläutert Kratel.

Crossmedia Wirkung mehr als linear

Doch ist Crossmedia in Zeiten knapper Werbebudgets überhaupt das Gebot der Stunde? „Leider denken viel zu viele Experten in linearen Wirkungskurven der einzelnen Kanäle. Dabei müssen wir in den klassischen S-förmigen Wirkungsmodellen denken und bei geringen Budgets führt ein zu ambitionierter Kanalmix treffsicher in die Wirkungslosigkeit. Doch das ist nur die Kanaloptimierungsseite. Wir müssen die kommunikativen Funktionsweisen betrachten: eine Marke, die durch Interaktion, Relevanz und Word-of-mouth näher am Konsumenten ist, kann durch eine klassische Kampagne nicht mehr eingeholt werden ‑ jedes noch so hohe Budget läuft ins Leere“, mahnt Lowe und kommt zum Ergebnis: „Wir müssen lernen: Es gibt nicht einfach nur neue Spielregeln im Markt für Kommunikation. Es gibt auch viele neue Spielfelder. Wir müssen crossmedial denken ‑ das bedeutet nicht, dass wir uns nicht am Ende auch mal für eine Monokanalkampagne entscheiden.“

Martin Wider sieht jedenfalls keinen Spielraum mehr für Experimente. „Es wird nicht wieder wie vor der Finanzkrise. Aber es ist wieder Bewegung im Markt. Vor der Finanzkrise haben Kunden und Agenturen viel mehr versucht und wollten neue Erfahrungen im Mobile- und Onlinebereich sammeln. Das ist natürlich komplett zusammengestrichen worden und man hat sich auf das konzentriert, wo man weiß, dass es funktioniert. Und auch dort wo wurde gekürzt. Einen 30-Sekünder gibt es doch schon lange nicht mehr. Teilweise sind Spots nur noch 18 Sekunden lang.“

Da JWT hauptsächlich FMCG-Kunden hat, sei man von der Werbekrise kaum betroffen gewesen, und Wider macht bei Onlinemaßnahmen auch Schwächen aus. „Bei Crossmedia kann ich nicht alle neuen Kanäle so planen und überprüfen, wie ich es bei den klassischen Kanälen kann. Da habe ich meine bewährte Mediaforschung und meine GfK-Zahlen. Bei Online sehe ich zwar die Klicks und die Analysemöglichkeiten sind wirklich enorm, aber man sieht dort nicht, welche Auswirkungen die Werbung auf mein Business hat“, meint Wider. Kartel sieht jedenfalls gerade jetzt den richtigen Zeitpunkt für Crossmedia gekommen. „Wenn ich als Unternehmen schon Geld für Werbung in die Hand nehme, muss ich mir ja überlegen, was funktioniert. Wenn ich dann zwei oder drei Medien aussuche, ohne dabei die Kampagnen miteinander zu verzahnen, dann ist das schlichtweg Kappes.“

Gunnar Brune, Lowe

Die schwierigste Herausforderung bei Crossmedia

Kommen wir zur größten Herausforderung bei Crossmedia, die sich auch die Agenturen gestellt haben, die ihre Kampagnen noch bis zum 15. April bei hamburg@work auf neptun-award.de einreichen können. Hier gehen die Meinungen auseinander. Gunnar Brune sieht im Timing die größten Schwierigkeiten: „Ganz klar: Die Komplexität und Echtzeit sind die größten Herausforderungen. Die gesamt Branche ist immer mehr auf KPIs (Key Performance Indicators) getrimmt ‑ doch die vermeintliche Exaktheit vermittelt oft die falschen Handlungsempfehlungen. Eigentlich ist es an der Zeit, Kommunikationsmodelle für die neue Komplexität zu entwickeln, aber uns allen fehlen Handlungsmodelle und Erfahrung darin.“ Wider sieht eher das Channel Planning als größtes Problem: „Das größte Problem von 360 Grad ist die Planung. Alle reden über Channel Planning, ich würde mal behaupten, kaum einer kann es. Ich meine damit, wie viel Geld des Budgets soll man in welchen Kanal stecken, um seine Zielgruppe zu erreichen.“

Roter Teppich ist garantiert

Für Wider ist der Neptun Crossmedia Award eine „tolle Sache“, auf die er sich schon freut, denn „ein Publikums-Award lebt von der Präsentation. Das finde ich gut. Schließlich wendet sich jede Werbekampagne an die Konsumenten, also sollen die Konsumenten auch entscheiden.“ Nachdem der Neptun Award letztes Jahr gemeinsam mit der next09 veranstaltet wurde, hat man sich nun wieder für eine eigene Location in Hamburg entschieden. „Diesmal findet der Neptun Award ja im „Streits Filmtheater“ in Hamburg statt. Das Streits ist ein tolles altehrwürdiges Kino, es hat ein wunderschönes Ambiente, eine großem Bühne und einen roten Teppich wird es auch geben. Wenn ich mir die Resonanz unseres Awards der letzten Jahre so anschaue, werden wir irgendwann auch noch größere Hallen füllen, da bin ich mir ganz sicher. Denn es gibt nichts Gleichwertiges zum Neptun Award. Es gibt keine Veranstaltung, die so transparent ist und bei der das Publikum über den Sieger mithilfe einer Handyabstimmung entscheidet“, sagt Kartel, der auch als Moderator durch das Programm führen wird.

Mirko Kaminski, achtung!

Rückblick

Der Sieger vom letzen Jahr, die Kommunikations- und Werbeagentur achtung!, die damals in ihrer Präsentation dem Publikum keine andere Wahl ließ, als für sie zu stimmen, hat vom Neptun Award profitiert, wie CEO Mirko Kaminski erklärt: „Uns hat der Award geholfen, darauf aufmerksam zu machen und zu belegen, dass wir stets von der Zielgruppe ausgehen und dann eine kraftvolle Idee entwickeln. Eine Idee, die in den jeweils wichtigen Kanälen und Medien lebendig und wirksam werden kann. Viele Awards werden innerhalb der engen und künstlichen Grenzen nur einer Disziplin – z.B. nur PR oder nur Werbung ‑ oder gar ausschließlich eines Mediums ‑ z.B. Radiospot oder Plakat ‑ verliehen. Dies geht meiner Ansicht nach vollkommen an der Wirklichkeit vorbei. Der Neptun Crossmedia Award ist erfrischend anders und belohnt Effizienz in der Gesamtkommunikation.“

Über den Autor/die Autorin:

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