Selten hat ein SPON-Artikel soviel Staub in den letzten Monaten aufgewirbelt, wie derjenige vom 20. Mai. "Firmen bekommen Werbebetrug auf Porno-Portalen nicht unter Kontrolle", titelten die Hamburger und machten (auch) damit klar, dass sie die Kollegen und Kolleginnen der BILD-Zeitung schon lange auf der mittleren Spur überholt haben. Doch davon mal abgesehen rumorte es sofort kräftig in der digitalen Werbewelt, vor allem hinter den Türen mit der Aufschrift 'Public Relations'.
Ketchum PR, zuständig u. a. für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von TradeDoubler, beglückte Adzine (und natürlich alle anderen im Presseverteiler) gleich am 21. Mai mit einem Pressetext, dessen Überschrift es in sich hatte: "Die Zukunft muss sauber sein". Im Folgenden erfuhren wir, dass TradeDoubler mit der Einführung eines Code of Conduct, COC, den "ersten Schritt für die Branche" macht und künstlichen Traffic aus Affiliate-Netzwerken verbannt. Nun, Ehre, wem Ehre gebührt, aber bereits im Jahre 2002 haben Commission Junction und Performicss einen Verhaltenskodex eingeführt, der wiederum von Linkshare übernommen wurde (siehe ).
So häufig, wie das Wörtchen "sauber" in dem TradeDoubler Pressetext vorkommt, ist davon auszugehen, dass Sigmund Freud seine wahre Freude an einer psychoanalytischen Textinterpretation gehabt hätte. Nichtsdestotrotz ist natürlich viel Wahres dran, ein Code of Conduct sollte zur Regel werden und nicht die Ausnahme sein. Schon aus dem Grund, weil Advertiser ihre Marke schützen müssen und nicht in Schmuddelumfeldern, auf rechts- oder linksradikalen Seiten oder generell in Umfeldern zu landen, wo sie nicht sein wollen.
"Brand Compliance, die Sicherheit der Marke, wird zunehmend ein Kriterium für die Wettbewerbsfähigkeit. Im internationalen Vergleich ist das ein Differenzierungskriterium für Netzwerke", erklärt Michael Kruse, der zusammen mit Ralf Hein als Leiter des Arbeitskreises Affiliate-Marketing im BVDW agiert. Seit zwei Jahren sehen Kruse und Hein es als ihre BVDW-Aufgabe an, das Bewusstsein hinsichtlich Affiliate-Marketing zu schärfen, denn es kann nicht angehen, dass einige wenige schwarze Schafe einen soliden und erfolgreichen Vertriebsweg in Verruf bringen.
Isabell Wagner, Managing Director Deutschland von Bigmouthmedia: "Überall da, wo es um Monetarisierung geht, finden sich Betrüger. Das betrifft nicht allein Affiliate-Netzwerke sondern ebenso Bannernetzwerke oder auch Suchmaschinentools wie Googles AdSense, wo sich viele kleine Unternehmen finden."
Doch was tun? Schließlich sind viele Advertiser bereits aufgeschreckt und schlagen Alarm, wenn ihr Banner neben einem redaktionellen Inhalt erscheint, der ihnen nicht funky genug erscheint. Und eine bekannte Fluglinie geht gar soweit, ihre Onlinemarketingaktivitäten zu stoppen, wenn auch nur eine negative Schlagzeile egal aus welchem Ressort in der Nähe ihrer Onlinewerbung auftaucht. Das mag zwar harmlos im Gegensatz zu Schmuddelseiten erscheinen, zeigt aber auch hier einen Teil der Herausforderungen, vor denen die Beteiligten stehen, will man Win-win-Geschäfte abwickeln. Diese sind definitiv dann hinfällig, wenn es um die Rechtsprechung geht, denn Landgerichte machen Werbende dafür haftbar, wenn ihre Werbeeinblendungen die Jugend gefährden, gegen das Urheberrecht verstoßen, das Umfeld indizierte Filme und Seiten sind etc.
Im Klartext: Die Gerichte machen Werbende für etwas haftbar, worüber sie keine ausreichende Kontrolle, aber eben hundert Prozent Verantwortung haben. Die aktuelle Rechtsprechung sagt, dass Verstöße im Vorfeld verhindert werden müssen und nachträgliche Kontrolle nicht ausreichend ist. Und das im Internet ... Dass Affiliate-Netzwerke sehr gut verdrahtet sind, sich untereinander u. a. in Foren auch über Seitenmissbrauch austauschen und gegebenenfalls Abweichler anzeigen, wie Isabell Wagner berichtet, reicht in puncto soziale Kontrolle nicht aus, schon gar nicht für die Gerichte. "Die Frage, wer die schwarzen Schafe in den Affiliate-Netzwerken sind, muss branchenübergreifend beantwortet und gelöst werden", sagt Michael Kruse. Die Netzwerke, Agenturen und Advertiser sind "in der Pflicht, darüber zu wachen, dass kein Missbrauch betrieben werden kann".
Das ist - (noch) leichter gesagt, als getan, denn die AGBs sind eines, Missbrauch etwas anderes. "Es gibt", so Ralf Hein, "in dem Sinne keine >bösen Seiten<, die sichtbar sind. Porno-Seiten sind mit einem Mutterschiff unterwegs, das >sauber< aussieht." Aufwendige Prüfmechanismen, wie sie in den USA eingesetzt werden, gibt es hier noch nicht. (Und auch diese bieten keine 100 Prozent Garantie.) Ebenso ist der Austausch zwischen Affiliates, Agenturen und Netzwerken in Deutschland noch lange nicht so eng, wie er sein könnte. Das sieht in UK ganz anders aus: Hier arbeiten alle eng zusammen und damit ist "auch die Überwachung der Affiliates untereinander größer, um sicherzustellen, dass kein Missbrauch betrieben wird und die Affiliate-Marketing Branche nicht diffamiert wird", so Isabell Wagner.
Letzten Endes dreht sich alles um das Thema größtmögliche Kontrolle mit dem unkontrollierbaren Faktor X. Performance-Marketing ist eine Mischform aus Werbung und Vertrieb. Nicht nur im Onlinevertrieb, auch im Strukturvertrieb, Direktvertrieb oder auch Televertrieb gibt es Vertriebspartner, die Regelungen weiter auslegen, als erlaubt ist. Im Affiliate Marketing "wurden in den letzten zwei Jahren schon eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, um die Qualität zu steigern. Allerdings müssen wir feststellen, dass noch mehr gemacht werden muss - gerade auch unternehmensübergreifend", erklärt Michael Kruse. Dazu Ralf Hein: "Affiliate-Marketing im Besonderen und Performance-Marketing im Allgemeinen ist nichts, wenn es nicht in die Marketingstrategie eines Unternehmens integriert werden kann. Es ist nicht solitär, und man muss sich an gewisse Spielregeln halten, weil sich erst dann die ganze Kraft des Affiliate-Marketing entfalten kann." Hierzu gehört ebenso, dass von Seiten der Advertiser gezielt Prüfmittel nachgefragt werden. Und somit gilt auch hier: "Drum prüfe, wer sich binde."
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