Die Zukunft der Werbung im Zeitalter autonomer KI-Agenten
Anton Priebe, 15. Oktober 2025Interview mit Peter Wallace, Gum Gum

KI-Agenten durchsuchen zunehmend eigenständig Online-Angebote, evaluieren sie und präsentieren sie gefiltert den Menschen. Erste Studien haben gezeigt, dass Agenten wie GPT, Claude oder Gemini dabei durchaus auf Werbeanzeigen reagieren. Anders als Menschen priorisieren sie jedoch strukturierte und faktische Informationen. Visuelle oder emotional aufgeladene Formate, die für Menschen konzipiert sind, haben deutlich weniger Einfluss. Muss sich die Werbeindustrie bald auf eine neue, maschinenzentrierte Zielgruppe einstellen? Peter Wallace, General Manager EMEA & JAPAC vom Contextual-Targeting-Anbieter Gum Gum, hält dagegen. Im Interview erklärt er, warum klassische, kreative Werbung nicht an Bedeutung verlieren wird, auch wenn Menschen künftig ihre Entscheidungen immer mehr in die KI-Assistenten auslagern.

ADZINE: KI-Agenten übernehmen zunehmend Rechercheaufgaben, vergleichen Produkte und bereiten Ergebnisse für ihre Nutzer auf. Ist es da nicht nur ein kleiner Schritt, dass wir bald auch Kaufentscheidungen an Maschinen übergeben, Pete?
Peter Wallace: Ich bin da zwiegespalten. Natürlich wird künstliche Intelligenz in Zukunft eine immer wichtigere Rolle im Entscheidungsprozess spielen, im Handel genauso wie im B2B-Bereich. Aber wir Menschen sind nun einmal emotionale Wesen. Wir kaufen nicht nur auf Basis von Daten, sondern auch aus Stimmung, Impuls und Gefühl heraus. Das lässt sich nicht einfach durch Algorithmen ersetzen und ich glaube auch nicht, dass wir das sollten.
KI wird uns helfen, Informationen zu sammeln und Alternativen zu vergleichen, aber die Entscheidung, was uns wirklich anspricht, bleibt emotional geprägt. Werbung, soziale Medien, redaktionelle Inhalte oder nutzergenerierte Beiträge werden weiterhin beeinflussen, wie wir Marken wahrnehmen. Diese menschliche Dimension verschwindet nicht.
ADZINE: In Österreich gab es kürzlich eine erste Untersuchung dazu, wie KI-Agenten auf Online-Werbung reagieren. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass Agenten Anzeigen nicht ignorieren, aber ganz anders darauf reagieren als Menschen. Wenig überraschend verarbeiten Maschinen Werbung sachlich und strukturiert. Wenn wir immer mehr autonome Agenten ins Netz schicken, könnten diese doch zur Zielgruppe für Marken werden, oder nicht?
Wallace: Ich glaube nicht, dass wir jemals anfangen werden, Bots mit bezahlter Werbung zu füttern. Das wäre nicht der Sinn von Werbung. Anzeigen sollen Menschen berühren und keine Maschinen ansprechen.
Natürlich können Agenten Informationen aus Werbeflächen oder Produktbeschreibungen auslesen, wie etwa Preis, Verfügbarkeit oder ähnliche Eigenschaften. Aber das bedeutet nicht, dass sie „überzeugt“ werden können. Was sich ändern wird, ist die Art, wie wir Inhalte strukturieren. Marken müssen künftig sicherstellen, dass ihre Botschaften maschinenlesbar sind und von Agenten richtig eingeordnet werden können. Das ist im Grunde die nächste Entwicklungsstufe der Suchmaschinenoptimierung, diesmal mit Blick auf KI-Systeme statt auf klassische Suchmaschinen.
ADZINE: Das klingt, als wäre in deinen Augen das „Business-to-Agent“-Advertising – also Werbung, die direkt auf KI-Agenten zielt – nicht am Horizont?
Wallace: Ganz genau. Wenn wir anfangen würden, Werbung an Bots auszuliefern, wäre das im Grunde nichts anderes als Ad Fraud, also nicht-menschlicher Traffic. Marken müssen in der sich verändernden Suchlandschaft sichtbar bleiben, aber am Ende richten wir uns immer an Menschen.
ADZINE: Welche Chancen ergeben sich, wenn Agentic AI stärker in die Customer Journey eingebunden wird?
Wallace: KI wird in Zukunft ganz selbstverständlich Teil der Customer Journey sein. Wir erleben ja schon heute, dass immer mehr Nutzer gar nicht mehr klicken, sondern Antworten direkt von Chatbots oder Such-KIs erhalten – Stichwort Zero-Click-Search.
Das stellt Publisher und Marken vor große Herausforderungen. Sie müssen Wege finden, ihre Inhalte zu schützen und trotzdem auffindbar zu bleiben. Es kann gut sein, dass es irgendwann Gegenbewegungen geben wird, wenn Publisher beschließen, Bots nicht mehr alles frei zugänglich zu machen. Gute Inhalte haben einen Wert, sie schaffen Bindung und Inspiration. Wenn alles nur noch von künstlicher Intelligenz ausgelesen wird, verlieren wir diesen Mehrwert.
ADZINE: Welche Marken werden von dieser neuen Umgebung deiner Meinung nach profitieren? Und welche nicht?
Wallace: Vor allem diejenigen, die schnell reagieren und ihre Inhalte anpassen können. Viele große Marken haben ihre Webseiten und Strategien über Jahre auf Google optimiert. Kleinere oder jüngere Marken, die weniger Altlasten haben, können sich jetzt in dieser neuen KI-Suchwelt positionieren.
Gleichzeitig sehe ich eine große Gefahr, dass Werbung zu rational und gleichförmig wird. Wenn sich alle auf Datenlogik und Automatisierung verlassen, geht die kreative Seele verloren. Werbung funktioniert nur, wenn sie Emotionen auslöst. Marken, die wieder Geschichten erzählen, authentisch kommunizieren und echte Gefühle ansprechen, werden in Zukunft gewinnen.
ADZINE: Kann künstliche Intelligenz Adtech-Unternehmen dabei helfen, solche emotionalen Verbindungen zu verstärken?
Wallace: Ja, aber nur unterstützend. Wir erwarten nicht, dass KI die kreative Idee ersetzt. Sie hilft uns, Prozesse zu beschleunigen, Daten zu analysieren, Ergebnisse zu testen. Aber die kreative Idee muss menschlich bleiben.
Ich sehe häufig Präsentationen oder Texte, die offensichtlich mit Chat GPT erstellt wurden. Sie sind korrekt, aber austauschbar. Es fehlt die Handschrift, die Haltung. Das ist das Risiko: Wir verlieren Authentizität.
Für uns ist Kreativität der Kern unserer Arbeit. KI ist ein Werkzeug, das uns hilft, schneller und datengetriebener zu handeln. Aber sie ersetzt nicht das menschliche Gespür für Wirkung. Wir wollen Technologie nutzen, um Ideen besser zu machen und nicht, um sie zu vereinheitlichen.
ADZINE: Viele Werbetreibende experimentieren bereits mit generativen Tools, die Anzeigen oder ganze Kampagnen automatisch erstellen. Siehst du darin eine Bedrohung für Anbieter wie euch?
Wallace: Ich sehe das eher als Ergänzung. KI wird die Branche verändern, keine Frage. Aber Werbung ist immer eine emotional getriebene Industrie. Wenn du „Mad Men“ gesehen hast, weißt du, was ich meine. Menschen kaufen von Menschen.
Natürlich wird KI Routinearbeiten übernehmen und vieles effizienter machen. Aber sie kann keine Emotionen erzeugen. Marken, die glauben, KI könne Kreativität vollständig ersetzen, werden an Glaubwürdigkeit verlieren.
Wir nutzen KI, um Inhalt und Kontext von Webseiten zu analysieren, Wirkung zu messen und Kampagnen zu optimieren. Aber am Ende zählt, wie gut eine Idee beim Menschen ankommt. Technologie und Emotion müssen im Gleichgewicht bleiben.
ADZINE: Also, wird es irgendwann Werbung geben, die nicht mehr an Menschen, sondern nur noch an KI-Agenten gerichtet ist?
Wallace: Ich hoffe nicht. Eine Welt, in der nur noch Bots Informationen auswählen und Kaufentscheidungen treffen, wäre ziemlich trostlos. Wir brauchen ein Gleichgewicht zwischen Daten und Emotion, zwischen Maschinen und Menschen.
KI kann viele Aufgaben übernehmen, aber der Mensch bleibt derjenige, der entscheidet. Marken müssen weiterhin Geschichten erzählen, Vertrauen schaffen, Gefühle ansprechen. Das ist der Kern unserer Branche – und das wird sich auch durch KI nicht ändern.
ADZINE: Danke für das Interview, Pete.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
EVENT-TIPP ADZINE Live - SPOTLIGHT: Data Innovation
In dieser SPOTLIGHT-Folge nehmen wir Innovationen in der Datenlandschaft unter die Lupe. Jetzt anmelden!