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Inkrementelle Reichweite zu TV – Auf der Suche nach Standards

Karsten Zunke, 5. Oktober 2022
Bild: Nadjib BR – Unsplash

Das Fernsehen gilt in der Werbeindustrie als das Medium, um die Massen zu erreichen. Kaum ein Kanal bietet mehr Reichweite für Werbebotschaften. Allerdings hat das Aufkommen des Streamings und der Video-on-Demand-Inhalte dazu geführt, dass die Reichweite des linearen TV bröckelt. Connected TV (CTV) kann inkrementelle Reichweite zu TV liefern, wenn die Zielgruppe im angestammten Kanal schwer anzutreffen ist. Doch aufgrund des fragmentierten CTV-Marktes gibt es kaum eine Möglichkeit, diesen Reichweitengewinn exakt zu messen und genau zu beziffern.

Bild: IMEDIAG Oliver Migge, Independent Media Guides

Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten: Netflix, TikTok & Co. verdrängen das althergebrachte Unterhaltungsprogramm, das sich nach starren Zeitplänen richtet und nicht nach der Freizeit seiner Zuschauer. Weil sich das lineare Fernsehen dem dynamischen Leben – besonders der jüngeren Generationen – nicht anpassen kann, flüchten große Teile der Zielgruppen in flexible, digitale Programme. Doch unter Umständen sind gerade diese Abwanderer für einen Kampagnenerfolg wichtig. “Inkrementelle Reichweite” heißt das Zauberwort, dass sich immer mehr TV-Marketer wünschen. „TV hat insbesondere bei den jungen Zielgruppen seinen Grenznutzen im Sinne des wirtschaftlichen Nettoreichweitenaufbaus vergleichsweise schnell erreicht und zusätzliche Nettoreichweite kann über Digital dann günstiger eingekauft werden“, sagt Oliver Migge, CDO von Independent Media Guides. Dieser Tipping-Point sei von Zielgruppe, Sender/Zeitsegmentmix, Kampagnenziel, Saisonalität und vielen weiteren Faktoren abhängig. Eine inkrementelle Reichweite für TV zu realisieren und diese auch zu messen, ist jedoch nicht trivial. Aber es kann funktionieren. Wie – das hat Vodafone im vergangenen Jahr in UK gezeigt.

Vodafone macht es vor

Die Telko-Marke wollte Verbraucher dazu ermutigen, vom bisherigen Breitbandanbieter zu Vodafone zu wechseln und startete in Zusammenarbeit mit Samsung Ads eine TV-Kampagne. Bei stark linearen Zuschauern erzielte die Kampagne auf Samsung-Fernsehern eine hohe Reichweite. Bei den schwach linearen Zuschauern – die oft als schwer zu erreichendes Streaming-Publikum bezeichnet werden – war die Durchdringung geringer. Durch die Partnerschaft mit Samsung Ads konnte der Telko-Anbieter auf den Samsung-Fernsehern nun jedoch gezielt CTV-Werbung ausspielen und damit insbesondere Gamer und Streamer ansprechen. Linear bereits erreichte Nutzer wurden aus der CTV-Kampagne ausgeschlossen. Außerdem wurden für das Targeting kontextbezogene ACR-Daten (Automated Content Recognition) herangezogen, um solche Breitbandzuschauer anzusprechen, die ihre Internetgeschwindigkeit erhöhen wollten. Letztendlich erzielte Vodafone auf diese Weise 320.000 Haushalte via CTV zusätzlich und somit eine inkrementelle Reichweite von zwölf Prozent.

Doch solch homogenen Ökosysteme finden sich nicht überall – im Gegenteil. Die CTV-Landschaft ist extrem zersplittert. Zwar kann eine Kampagne im linearen TV und auf unterschiedlichen CTV-Plattformen ausgeliefert werden, doch lässt sich eine inkrementelle Reichweite auf diese Weise nur schwer messen. Überschneidungen, Doppeltseher oder blinde Flecken lassen sich hier kaum vermeiden, da nicht nur in Silos ausgespielt, sondern weitgehend auch in Silos gemessen wird.

Die Krux mit der Messbarkeit

Eine Ex-Post-Erfolgsmessung ist daher nur in Ausnahmefällen möglich. „Leider sind die Nicht-TV-Spot-Seher nicht eins zu eins erfassbar, da die Währungen gewechselt werden müssen“, sagt Migge. Während sich TV auf einen Standard verständigen konnte, gebe es digital keine gemeinsame „Bewegtbildwährung“ und im Bereich CTV keine übergreifende Ex-Post-Messung der Zielgruppe. Ob eine Zielgruppe erreicht wird, lässt sich im Voraus zwar durch diverse Targeting-Option wahrscheinlicher machen, aber ein unabhängiger, im Markt als Standard akzeptierter „proof-of-concept“ ist flächendeckend nicht verfügbar. „Die CTV-Messung ist auch nur fragmentiert auf Haushalts- und nicht auf Personenebene möglich“, so Migge.

Bild: Mediaplus Michael Beuth, Mediaplus

Damit stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten bleiben, um mit einer CTV-Kampagne genau jene Personen zu erreichen, die den linearen Spot noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Da kein Branchenstandard und keine übergreifende Währung existiert, müssen Vermarkter und Agenturen nach Einschätzung von Michael Beuth, General Manager von Mediaplus Germany, auf eigene „proprietäre Tools“ setzen, um die realen Bedingungen bestmöglich abzubilden. „Das gelingt einzelnen Akteuren mal besser und mal schlechter. Welches Tool und welcher Ansatz sich durchsetzen wird – auch im Hinblick auf das bevorstehende Ende der ‚Third-Party-Cookies‘ ist noch völlig offen“, sagt Beuth, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass er Mediaplus diesbezüglich gut aufgestellt sieht. Dem Experten zufolge suchen momentan nicht nur Vermarkter von CTV-Reichweiten, sondern zunehmend auch Endgeräte-Hersteller die direkte Nähe zu Agenturen, um “potenzielle Income-Quellen” zu erschließen. Zwar gilt Samsung mit einem hauseigenen Vermarkter als die Speerspitze, doch viele andere Gerätehersteller entdecken diesen Markt gerade für sich.

Planung ja, Vergleichbarkeit nahezu unmöglich

Eine inkrementelle Reichweite einzuplanen, ist also durchaus möglich. „Allerdings dürften sich die meisten Planungen aus unterschiedlichen Quellen speisen, was eine eindeutige Vergleichbarkeit nahezu unmöglich macht“, sagt Beuth. Entsprechend würden alle führenden Vermarkter versuchen, über Haushaltsgraphen oder Cross-Device-Graphen ihr System als Ableitungstool zu implementieren. Um die CTV-Nutzung mit der linearen TV-Nutzung zu matchen, fehlen hauptsächlich die gemeinsamen Datenpunkte. Noch behelfen sich daher viele Agenturen bei der Planung mit Annahmen und Ableitungen, doch Vermarkter sind bereits sehr bemüht, Abhilfe zu schaffen.

Bild: Linkedin Isabella Thissen, Ad Alliance

Beispielsweise bietet die Ad Alliance mit “Cross Contact” bereits einen Leistungsnachweis für die inkrementelle Netto-Reichweite von Videokontakten auf Kampagnenebene in der gebuchten Zielgruppe. „Damit zeigen wir – insbesondere bei crossmedialen Kampagnen – auf, welche Gattung welchen Reichweitenbeitrag in der anvisierten Zielgruppe geleistet hat“, erklärt Isabella Thissen, Chief Operating Officer der Ad Alliance. Cross Contact ist Teil der Innovations-Initiative „Cross Over Evolution“, die sich in die Bereiche Transparenz, Wirkung und Technologie gliedert, und künftig den Rahmen für eine Vielzahl von Initiativen und Produkten für die gattungsübergreifende Vermarktung bilden soll. Thissen zufolge reagiert die Ad Alliance mit dieser Lösung auf den Wunsch des Marktes nach gattungsübergreifenden Kennzahlen.

Qualitätssicherung: Unabhängige Marktstandards nötig

Auch wenn viele Bemühungen bereits in eine richtige Richtung laufen: Um die Anforderungen der neuen Smart-TV-Werbewelt zu bewältigen, braucht es übergreifende Anstrengungen sowie eine zuverlässige Qualitätssicherung. Nach Einschätzung von Migge wäre es nötig, unabhängige und objektiv überprüfbare, transparente Marktstandards in einer einheitlichen Währung zu schaffen.

„In einer idealen Welt wird eine unabhängige Instanz dafür zuständig sein, die Bewegtbildwerbung device- und plattformübergreifend zu erfassen und auszuweisen. Aus deutscher Perspektive wäre es wünschenswert, wenn ein unabhängiges Institut wie die AGF eine Lösung zur Messung der Nutzerschaft zur Verfügung stellen kann.“ Eine rein technische Messung auf Basis „Haushalt“ wäre aus Sicht des Experten aber nicht ausreichend. Hingegen würde ein repräsentatives Panel, dasssowohl die anonymisierten Nutzer als auch Nutzung sekundengenau misst, qualitative Aspekte – beispielsweise Reichweite in der Zielgruppe – liefern. „Interessant wird es sein, ob die Umsetzung eines einheitlichen Cross-Media-Messsystems unter der Leitung der World Federation of Advertisers (WFA) belastbare Ansätze liefert, die auf unseren Markt übertragbar sind.“

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