Bewegtbild erobert immer mehr Kanäle und Plattformen. Treiber dieser Entwicklung sind vor allem Mobile, Social und CTV. Mit den Möglichkeiten wachsen aber auch die Herausforderungen für Werbetreibende. Das heterogene Gebilde muss als Ganzes betrachtet werden, um keine Werbewirkung zu verlieren. Damit Kampagnen effektiv umsetzbar sind, müssen TV-Planung und digitale Metriken kombiniert werden – höchste Zeit, Brücken zwischen diesen Welten zu schlagen.
„Die zunehmende Verschmelzung von klassischer und digitaler Bewegtbild-Planung setzt veränderte Prozesse innerhalb der Planung, aber auch im Einkauf und der Forschung voraus“, sagt Marius Gruhne, Data Scientist Product Development Insights bei Mediaplus. Um das Wissen aus dem Planungsalltag unterschiedlicher Disziplinen zu vereinen, können zum Beispiel innerhalb einer Mediaagentur durch Mediaforschung, Einkauf sowie TV- und Digital-Planung gemeinsam entsprechende Tools entwickelt werden. „Eine möglichst effiziente Verlängerung linearer Kampagnen auf digitale Plattformen setzt zunächst eine stabile Datenbasis bezüglich der Zielgruppenerreichung über unterschiedliche Plattformen voraus“, sagt Gruhne. Das Expertenwissen der Planer und langfristige Studien der Media- und Werbewirkungsforschung können sich dabei gut ergänzen.
Beispielsweise erforschen Mediaplus und Seven.One Media seit geraumer Zeit gemeinsam die crossmediale Wirkung von Bewegtbild. Ihre jüngste “Medienäquivalenz Studie” untersuchte den qualitativen Wirkungsbeitrag von TV, Broadcast-Video-on-Demand (BVOD), Youtube und Facebook in höheren Kontaktklassen. Um die crossmediale Wirkung von Bewegtbild zu analysieren, wurden sukzessive die Kontakte aus den monomedialen Kampagnen durch andere Kontakte ersetzt. Kaum Effekte zeigten sich dabei, wenn man TV- durch BVOD-Kontakte ersetzt. Anders sah es aus, wenn TV durch Digital ersetzt wurde: Die Werbewirkungsniveaus sanken deutlich ab. Ein Youtube-Kontakt mindert der Studie zufolge die Werbeerinnerung bei vier Kontakten insgesamt von 61 auf 47 Prozent. Ersetzt man TV-Kontakte durch Facebook, sinkt die Werbewirkung noch deutlicher. In einem reinen Digital-Bewegtbild-Mix war in dieser Untersuchung Youtube der Treiber des spontanen Recall. Einer solch unterschiedlichen Wirkung von Videoinhalten zwischen Kanälen, Formaten, Zielgruppen oder Kontaktdosen müssen sich Planer bewusst sein.
Gemeinsam stärker
„Als Mediaagentur gilt es – im Interesse der Kunden und der konkreten Zielsetzungen der Kampagnen – lineares TV und Streaming-basierte Videodienste von Grund auf gemeinsam zu denken und zu planen“, betont Christian Müller, Managing Partner Activation TV bei OMD. Dabei spielen die digitalen Plattformen aus Sicht des Experten eine weitaus größere Rolle, als lediglich TV-Kampagnen zu verlängern. Der Vorteil digitaler Plattformen ist unbestritten: Sie bieten zusätzliche Reichweitenpotenziale und ermöglichen Zielgruppencluster weit über soziodemografische Daten hinaus. Auch die Kampagnensteuerung und -messbarkeit von Erfolgsparametern gelten als weitere Pluspunkte.
Nach Einschätzung von Dirk Jakobson, Head of Media Digital Video Advertising bei Videobeat, kann Digital dem klassischen TV sogar helfen. Seine Agentur optimiert TV-Kampagnen unter Verwendung eines digitalen Ansatzes und prüft genau, welchen Einfluss einzelne Spots zu unterschiedlichen Tageszeiten auf unterschiedlichen Sendern und Programmen auf die Ziel-KPIs haben. Ein hauseigenes Tool, das diesen Impact in Echtzeit messbar macht, hilft dem Team dabei, die TV-Kampagnen effizient zu gestalten und fast digital auszusteuern. Dabei ist es wichtig, lineares TV und Digital an einen Tisch zu bringen. „Ein TV-Planer muss genau wissen, was die Kollegen im Digital-Team vorhaben, um die beiden Medien aufeinander perfekt abzustimmen.“ Eine solche Abstimmung reicht vom Flighting (wann läuft TV und wann digital) bis zum Cross Media Retargeting, um zum Beispiel Haushalten, die einen TV-Spot gesehen haben, erneut mit Addressable TV oder auch Video Ads anzusprechen. Auf diese Weise können beide Bereiche zusammengebracht werden.
Die Krux mit den Metriken
Die unterschiedlichen Metriken und Nutzungsparameter der Zuschauer sind für die Planung jedoch eine Herausforderung. Nach Einschätzung von Müller kann man dem nur durch intelligente Verknüpfung von verschiedenen Datenpunkten begegnen. „Und es braucht Offenheit und Ehrlichkeit aller Beteiligten für ein gemeinsames Verständnis. Man kann nicht einfach Video Impressions auf Facebook dem TV GRP gegenüberstellen und behaupten, es wäre das Gleiche“, betont der Experte.
Gruhne sieht das ähnlich: „Es ist wichtig, sich auf eine weitestgehend objektive Betrachtung aller Randbedingungen der einbezogenen Kanäle zu verständigen“. Beispielsweise könnten Video-Formate, die millionenfach ausgespielt werden, ohne zumindest wenige Sekunden gesehen worden zu sein, nicht sinnvoll in ein Verhältnis zum klassischen TV-Spot gesetzt werden. Ein weiterer Fallstrick ist, dass Digital-Plattformen eine Vielzahl von KPIs und Formaten bieten, die auf den ersten Blick kostengünstiger als lineare Schaltungen wirken können. Erst bei genauerem Hinsehen zeigt sich dann, dass ein Vergleich hinken würde. „Die Planung setzt gleichwertige Video-Formate, realistische Einschätzungen oder auch – soweit möglich – die Kontrolle von Vermarkter-Reichweiten, die Harmonisierung von Daten unterschiedlicher Datenbasen und die Weiterentwicklung der Verrechnung zwischen den Kanälen voraus“, so Gruhne.
Metrik Netto-Reichweite besonders wichtig
Als eine der wichtigsten Metriken gilt dabei die Netto-Reichweite. In diesem Zusammenhang müssen Mediaplaner eine Antwort darauf finden, welche Personen auf welcher Plattform am besten erreicht werden – auch unter dem Gesichtspunkt bekannter Wirkungsparameter. Ebenso muss die Frage geklärt werden, wie diese Nutzer richtig angesprochen werden können. Diese Ansprache kann unter Umständen sehr individuell ausfallen. „Solange eine gemeinsame Währung am Markt nicht vorhanden ist, muss man sich mit der Verknüpfung verschiedener Datenquellen behelfen. Was dabei viele unterschätzen, ist die Analyse der Nicht-Erreichten“, sagt Müller. So sollte eine Antwort darauf gefunden werden, was man von den Personen lernen kann, die mit der TV-Kampagne nicht oder nur in geringer Dosis erreicht werden konnten. Die richtige Kontaktdosierung bietet zudem echte Chancen, mehr aus einer integrierten Bewegtbild-Kampagne herauszuholen. Bei OMD schaut man daher konsequent auf Zielgruppensegmente und Nutzertypen. Darüber hinaus wird auch die Kontaktqualität beleuchtet; dazu gehört laut Müller die Rezeptionssituation ebenso wie die Parameter Ton, Bildqualität, Bildgröße, Durchsichtsraten, Interaktion und Ablenkung.
Aufmerksamkeit, Aktivierung und Cost-per-Minute-Watched
Auch für Videobeat ist neben den üblichen Reichweiten KPIs und GRPs vor allem entscheidend, wie aufmerksam Nutzer die Werbung verfolgen und ob sie in Folge auch aktiviert werden können. Für TV hat sich für die Agentur der Cost-per-Visit oder der Cost-per-App-Install als ein guter Aktivierungs-Indikator erwiesen. Bei digitalen Video-Kampagnen sind CPMs und Frequenz hingegen nur bedingt nutzbar. „Wir brauchen hier neue Methoden, um die Aufmerksamkeit, die ein Nutzer der Werbung schenkt, wirklich messbar und auch vergleichbar zu machen“, sagt Jakobson. Eine Möglichkeit sei der Cost-per-Minute-Watched als eine KPI, die über alle Video-Kanäle hinweg die freiwillige Markenkontaktzeit des Nutzers messbar macht.
Doch bei der Messung von Bewegtbildkampagnen geht es nicht nur um die Integration von linearem TV mit digitalen Reichweiten. Schon die digitale Bewegtbildlandschaft ist stark fragmentiert, sowohl was die Anbieter angeht (die Walled Gardens der GAFA vs. „klassische“ Publisher), als auch die Plattformen von Apps, Websites bis hin zu Smart-TV und Digital-Out-of-Home. Zudem werden lineares Fernsehen und digitale Kampagnen fundamental anders geplant, ausgeliefert und abgerechnet. „So lange es noch keine einheitliche Währung gibt, müssen wir weiter die einzelnen Kanalreichweiten über agentureigene Informationen hinsichtlich tatsächlicher Reichweite und Wirkung auf Kanal- und Formatebene qualifizieren und schlussendlich verrechnen, um ein realistisches Gesamtbild der Bewegtbildkampagne zu erhalten“, sagt Gruhne. Bei Mediaplus beobachtet und begleitet man die Ansätze von AGF und WFA, die im Markt derzeit diskutiert werden, mit großem Interesse und hofft, dass es zu einer übergreifenden Lösung kommt, die von allen Marktpartnern getragen und akzeptiert wird.
Derzeit ist ein gemeinsames Reporting von TV- und Streaming-Bewegtbild also noch nicht möglich. Walled Gardens und unterschiedliche Mess-Metriken sind (bisher) eine zu hohe Hürde. Nichtsdestotrotz ist die Branche auf einem guten Weg. „Die segmentierte Messung und Analyse der bestehenden Datenquellen ermöglicht bereits heute eine viel genauere Zuordnung als noch vor einigen Jahren“, sagt Müller, der darauf hinweist, dass auch die Messung innerhalb eines Systems, wie beispielsweise dem AGF TV-Panel, auf Wahrscheinlichkeiten basiert. Ebenso, wenn Digitalanbieter ihre gemessenen Reichweiten auf Basis von gesehenen Videos oder Einkaufsverhalten einem Geschlecht und Altersgruppen zuweisen. „Ein bisschen mehr Gelassenheit beim Thema Einheitswährung und die Besinnung auf die Stärken von Bewegtbild täte uns allen daher gut.“
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