Mirko Lange berät Unternehmen bei der Koordination ihrer Kommunikationsmaßnahmen hin zu einem stringenten, übergreifenden Storytelling. Er meint: Nur die wenigsten Unternehmen finden ihre echte Story. Dabei ist es gar nicht so schwer.
ADZINE: Woran fehlt es im Markt beim Thema Content Marketing?
Mirko Lange: Man kann die unterschiedlichen Spielarten des Content Marketings gar nicht in einen Topf werfen. Die taktische Variante zielt auf Dinge wie SEO oder Leadgenerierung ab. Die zweite Verständnisebene ist, dass Content Bestandteil jeglicher Kommunikation ist. Bei den meisten Unternehmen ist der Umgang mit Content völlig unstrukturiert. Es erfolgt fast keine Koordination und es gibt keine Planung in der operativen Umsetzung. Jede Kommunikationsdisziplin kocht ihr eigenes Süppchen.
ADZINE: Du ordnest taktisches Content Marketing dem Performance-Marketing zu. Ist dir ein Fall bekannt, wo Content Marketing auch richtig signifikant zum Brandbuilding beiträgt?
Lange: Dove hat zum Beispiel eine ganz zentrale Story: „You are more beautiful than you think“. Oder Always, also Procter and Gamble mit der Idee „Always like a girl“, die das seit vier oder fünf Jahren sehr stringent spielen. In beiden Fällen wird ganz klar eine Story in den Mittelpunkt gestellt und jede Art von Kommunikation – vom kleinen Tweet bis zur großen Kampagne – ist an diesen Storys ausgerichtet. Das sind im B2C-Bereich ganz herausragende Beispiele.
ADZINE: Das geht Richtung Corporate Personality und wirkt nicht nur nach außen, sondern auch nach innen.
Lange: Absolut. Wir sprechen im Content Marketing immer von einer „Core Story“ oder einem „zentralen Narrativ“, aber im Idealfall ist das natürlich die Marke oder die Vision. Das Why. Aber als Content-Berater sollte man sich hüten, das Wort „Marke“ in den Mund zu nehmen. Die ist meist heilig und da werden manche Leute ganz schnell sehr sensibel. Aber wenn man das zu Ende denkt, dürfte es keinen Unterschied zwischen Vision, Marke und Core Story geben.
ADZINE: Zurzeit gibt es im Content Marketing einen großen Hype um Native Advertising. Ist das gerechtfertigt?
Lange: Bei manchen Marken und in mancher Praxis grenzt das an Verzweiflung. Die machen Product-Placement auf Teufel komm raus, vor allem im Influencer-Marketing. Wenn „Native“ so verstanden wird, dass man Werbung nicht mehr als Werbung erkennen soll, dann grenzt das an Betrug. Das sehe ich sehr kritisch. Da braucht es viel mehr Abmahnungen als bisher.
Wenn wir es aber als Medienkooperation verstehen und man mit guten Geschichtenerzählern zusammenarbeitet oder ein Unternehmen von der Grundidee her journalistisch denkt, dann ist das sehr positiv.
ADZINE: Die Zusammenarbeit mit den Brand-Studios der großen Verlagshäuser macht also Sinn?
Lange: Ich habe da leider auch schon sehr schlechte Beispiele gesehen, weil die Studios die Unternehmen nicht genug führen. Wenn ein Werbungtreibender Werbetexte abliefert und die mit Budget durchdrücken will, sollten die Studios auch Nein sagen können. Sie riskieren sonst auch ihre eigene Marke. Handwerklich keine Frage: Der Verlag kann Geschichten besser erzählen.
Im Idealbild steuern wir auf einen Dreiklang zu: Die Marke setzt die Geschichte, die Kreativagentur setzt visuell um und die Autoren – egal ob intern oder extern – erzählen die Geschichten.
ADZINE: Baut man eher einen zentralen Newsroom auf oder arbeitet man mit kleinen, verteilten Teams?
Lange: Der Newsroom-Gedanke ist ja mehr als ein Konferenzraum mit Stehtischen und Monitoren an der Wand. Es sind ganz andere Kommunikationsstrukturen gefordert. Das Zentrale, also die gemeinsame Story oder die Planung der Themenfelder sind unabdingbar. Bei ganz großen Konzernen geht das aber nicht. Das ist ein Konglomerat von kleineren Unternehmen. Die müssen zum Teil auch eigenständig arbeiten. Die beiden Pole sind da und man muss sich dazwischen einfinden. Beide Gedanken müssen drin sein.
ADZINE: Welches Tool braucht Content Marketing am dringendsten?
Lange: Es gibt ja bekanntlich keine größere Verschwendung, als das Falsche richtig gut zu machen. Viele fokussieren auf Einzelwerkzeuge zum Beispiel zur Distribution. Das ist so, als würde man den Mittelstürmer ans Kopfballpendel stellen und hoffen, damit die Mannschaft zu verbessern. Es fehlt aber vor allem am Verständnis des Spielsystems, also wie man das Spiel aufbaut, damit jemand eine Flanke auf den Mittelstürmer schlägt. Dafür braucht es zunächst Strategie-, Kollaborations- und Planungstools.
ADZINE: Was ist die häufigste Hemmschwelle für einen guten Aufbau von Content Marketing im Unternehmen?
Lange: Aus den rund einhundert Mandaten in den letzten Jahren habe ich gelernt, dass es Unternehmen vor allem schwerfällt, klare Schwerpunkte zu setzen. Die Content Marketer werden getrieben von den Stakeholdern im Unternehmen und machen mal da eine Geschichte und mal hier eine.
ADZINE: Wie löst man das?
Lange: Wir machen ein Topic-Scoring. Wir sammeln Themen, geben Kriterien vor und erarbeiten dann gemeinsam mit dem Team eine Rangliste.
ADZINE: Welche Kriterien?
Lange: Wir arbeiten mit insgesamt zehn Kriterien, z. B. dem potenziellen Beitrag zur Story, dem direkten Geschäftsnutzen, der Aktualität des Themas, wie viel Resonanz zu erwarten ist, aber auch wie viel Substanz vorhanden und wie leicht das Thema umsetzbar ist. Dadurch ergibt sich ein sehr umfassendes Bild darüber, welche Themen man angehen soll und viel wichtiger: welche nicht.
ADZINE: Ist Content Marketing ein langfristig ausgelegtes Spiel?
Lange: Man kann Content Marketing auch punktuell einsetzen. Aber das „strategische Content Marketing“ ist auf jeden Fall langfristig ausgelegt. Das ist einfach nur modernes Kommunikationsmanagement. Allerdings: Wenn man keine kurzfristigen Ansätze drin hat und keine Quick Wins erzielt, tut man sich viel schwerer, so ein strategisches Content Marketing im Unternehmen zu verankern.
ADZINE: Man kann das doch mit Zahlen nachhalten.
Lange: Nein, das ist nicht vollständig abbildbar. Es gibt eine ganze Reihe von Wirkungsketten, die nicht zu quantifizieren sind. Die letztendliche Wertschöpfung ist von so vielen Faktoren abhängig, dass man nicht mehr kausal sagen kann, wer welchen Anteil am Erfolg hatte. Das ist bei Investitionen häufig so. Und ein Wandel in den Kommunikationsprozessen ist immer eine Investition.
ADZINE: Reden wir bei dem Thema eigentlich nur über große Unternehmen?
Lange: Keineswegs. Wir haben viele Nutzer, die sogar mit einem einzigen Mitarbeiter das Thema besetzen. Der einzelne ist viel flexibler in der Umsetzung, die Prinzipien aber bleiben die gleichen. Eine geile Story und ein Fokus sind das A und O, gerade für kleine Unternehmen. Der Rest kommt danach.
ADZINE: Aber viele sagen doch, sie haben nichts zu erzählen.
Lange: Ja, das ist oft auch richtig. Aber wie sagte Wittgenstein schon: Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen. Wer Leidenschaft für das hat, was er tut, der hat Geschichten zu erzählen. Wer das nicht hat, sollte „Content Marketing“ vielleicht besser lassen. Es gibt ja noch viele andere Marketingdisziplinen.
ADZINE: Vielen Dank Mirko, für das spannende Gespräch.