Zahlend unterstützen: Das Modell von The Guardian zeigt Wirkung
Cosmin-Gabriel Ene, 25. July 2018Weltweit kann The Guardian mittlerweile auf hunderttausende regelmäßig zahlende Unterstützer bauen – die freiwillig einen Beitrag leisten. Studien legen nahe, dass auch in Deutschland die Bereitschaft steigt, für Online-Nachrichten zu zahlen. Wie aber wird aus der Bereitschaft ein echter Beitrag? Das Guardian-Modell im Tauglichkeits-Check.
„Helfen Sie mit, den unabhängigen Journalismus zu bieten, den die Welt braucht.“ Diesem Aufruf des Guardian sind bereits 500.000 regelmäßig zahlende, freiwillige Unterstützer gefolgt1. Nahezu eine halbe Million Menschen aus mehr als 100 Ländern gehört, Stand Januar 2018, zum Unterstützerkreis. Sie sind es, die regelmäßig finanzielle Beiträge zum Bestehen des Nachrichtenanbieters leisten.
Motivation – Für die gute Sache
Regelmäßig zahlende Unterstützer, das klingt irgendwie gar nicht nach Bezahlschranke und auch ganz anders als Formulierungen wie „zahlende Kundschaft für journalistische Qualitätsinhalte im Netz“. Kann es sein, dass der Guardian seine Leser auf eine ganz andere Reise mitnehmen will, als es beispielsweise die meisten deutschen Qualitätsmedien tun? Sich die Konsumenten der Qualitätsmedien heute so verstanden wissen: als Unterstützer für den freien Journalismus? Und sind sie dann eher bereit, ihre Medien entsprechend zu unterstützen beziehungsweise zu finanzieren?
Während die deutsche Medienlandschaft derzeit vor allem Metered-Systeme und harte Paywalls errichtet, schafft der Guardian in seinem Zweitmarkt USA einen weiteren Meilenstein in seiner Contribution-Kampagne: Anfang des Jahres 2018 erreichte die Dependance über 300.000 zahlende Unterstützer in Amerika. Das Medienhaus sieht hier also eine wachsende Finanzierungsquelle sprudeln, die schon jetzt mehr als ein Drittel der US-Einnahmen ausmacht. Bis Sommer 2019 soll diese dann auch für den größten Teil der Einnahmen sorgen und Anzeigenverkäufe damit auf Platz zwei der Einnahmegaranten verdrängen, so der Guardian-Plan.
Eher sportlich als verbissen
Zwar leisten von den 300.000 zahlenden Unterstützern 230.000 Einmalbeiträge (one-time contributions) – aber was soll’s, das muss dem Guardian erstmal einer nachmachen. Und wer einmal zahlt, der kann diese Bereitschaft auch wiederholt an den Tag legen. In dieser Hinsicht gleicht der gewünschte Beitrag vielmehr einer Bezahlhürde als einer Bezahlschranke – und diese Hürde muss der User selbst nehmen. Der Guardian geht die Motivation seiner User also vielmehr sportlich an, als verbissen eine Paywall hochzuziehen.
Nun ist das Medium zum einen international, zum zweiten ist Philanthropie schon lange Teil seiner Finanzierung. Seit 1936 ist The Guardian in den Händen des Scott Trust, einer Stiftung mit dem Ziel, den freien Journalismus des Guardian zu sichern. Markus Schöberl, Herausgeber von pv digest, glaubt dennoch an eine andere Motivation: „Für mich ist der Kern des Modells, dass der Guardian Leser davon überzeugt, dass sie freiwillig bezahlen, damit er keine Schranke errichten muss, die eventuell nicht zahlungsfähige Leser davon abhalten könnte, die Guardian-Inhalte zu lesen.“ Ebenso wichtig sei den Lesern aber der Erhalt einer von ihnen geschätzten Marke: „Da muss man sich nur Patreon anschauen, wo mittlerweile über eine Million Menschen freiwillig an zigtausende ‚Kreative‘ bezahlen. 2017 sollen darüber 150 Millionen US-Dollar zusammengekommen sein.“ Überall da, wo ein Anbieter mit seinen Inhalten wirklich überzeuge und begeistere, könne er seine User zu Unterstützern machen, meint Schöberl.
Ein Weg aus dem Vermarktungsdilemma
Im Vermarktungsdilemma befinden sich hierzulande viele Online-Medien. Kleine, wie netzpolitik.org, größere, wie die abendblatt.de, oder ganz große wie SPON. Das vorrangige Geschäftsmodell für Online-Journalismus – Werbung verkaufen und einblenden – funktioniert bei vielen nur leidlich. Steigende Adblocker-Raten und Full-RSS-Feeds tragen ihren Teil zum Dilemma bei. Die User haben die technologischen Möglichkeiten, um Werbung zu umgehen, und die werden genutzt. Werbung wird einfach geblockt.
Und freiwillige Zahlungen? Die funktionieren auch hierzulande bereits teilweise. Aktuell zahlen immerhin über 12.000 User für taz.de – bis zum Jahresende will man 20.000 Unterstützer gewinnen. Der Verlag motiviert dabei ähnlich wie der Guardian: „Freier Wille braucht Freiwillige“, so das Credo. Bei der taz passe das Zahlungsmodell „taz zahl ich“ zu den Leser- und Unternehmenswerten, meint Aline Lüllmann, Leiterin Digitale Transformation bei der Tageszeitung: „Was in jüngeren Jahren als neue Form der Finanzierung von Medienprojekten für Aufsehen gesorgt hat, ist bei der taz schon immer eine feste Größe: die Unterstützung durch die Crowd.“ Das Verlagsteam sei sich der Unterstützung seiner Leser immer gewiss gewesen – so auch im Falle der Finanzierung.
Nun mag die taz ein außergewöhnlicher Fall in der deutschen Medienlandschaft sein, der Guardian, aber auch Plattformen wie Twitch oder Patreon zeigen längst: Freiwillige Zahlungen funktionieren. Im Vergleich zu Amerika oder UK herrscht in Deutschland sicher eine andere Art der Freigiebigkeit. Die Chancen stehen aber auch in Deutschland gut, wenn man den richtigen Ton trifft. Wer gute Inhalte anbietet und es dem User einfach macht, bekommt Support. Das bedeutet: Eine Ein-Klick-Lösung mit einem festen Beitragsrahmen, welche den Impuls, Gutes zu tun, binnen Sekunden in einen Kauf wandelt. Wer zu viel überlegen muss, der überlegt es sich anders.
Fake News als Treiber
Mit Beginn der Fake-News-Diskussion scheint es, dass sich immer mehr User wieder vermehrt den Leitmedien zuwenden. So stellte Teads kürzlich in einer internationalen Studie fest, dass sich seit der zunehmenden Verbreitung von Fake News 75 Prozent der Internetnutzer weltweit bewusst auf hochwertigen Quellen informieren, wenn es um aktuelle Nachrichten geht. Der aktuelle „Digital News Report“ des Reuters Institute kommt sogar zu dem Schluss, dass die Bereitschaft, für Nachrichten im Internet Geld auszugeben, in allen Altersgruppen angestiegen ist5. In der Krise scheint der Wert des Qualitätsjournalismus vor einer Renaissance zu stehen. Auch die Werbeumfelder würden von dieser neuen Zuwendung profitieren.
Reichweite setzt Lokalmedien enge Grenzen
Dennoch, grenzen die Experten ein, eignet sich das Bezahlmodell nicht für jeden Fall. Regionale Tageszeitungen dürften mit Contributions wenig Erfolg haben, meint Schahab Hosseiny, Geschäftsführer der MSO Digital GmbH: „Nein, denn tatsächlich kann The Guardian auf eine fantastische Reichweite referenzieren, wohin gehgend regionale Tageszeitungsverlage online nur auf einen Bruchteil dessen verweisen können. Das Angebot adressiert somit keine lokale eingrenzende User-Basis, sondern gilt multinational. Contributions ist daher eine Bezahlmöglichkeit, die in direkter Abhängigkeit zur Reichweite gesetzt werden muss. Schließlich ist hier der Ansatz, über Kleinstbeträge ein relevantes Signifikanzniveau zu erreichen. Dies wird lokal ausgerichteten Medien, nicht gelingen.“ Markus Schöberl sieht die Grenzen des Modells im Fachmediensegment: „Da sehe ich prinzipielle Hürden und ich kenne auch kein Beispiel für ein B2B-Angebot, das mit freiwilligen Bezahlungen monetarisiert wird.“
Bindungen neu denken
Bleibt festzuhalten: Die Welt braucht guten, unabhängigen Journalismus und guter, unabhängiger Journalismus braucht zahlende Unterstützer. Medien, die ihre User nicht nur als passive Rezipienten wahrnehmen, sondern als Teil einer Bewegung ansprechen – die für etwas steht, wie Werte, Demokratie, Qualitätsjournalismus –, können dabei ganz neue Bindungen entwickeln. Auf diese Bindungen lässt sich aufbauen. Unterstützung eben. Tatkräftig, finanziell, gegenseitig.
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